Nicht nur einen Bart hat Philippé Matern von seiner Reise mitgebracht, sondern auch jede Menge Erlebnisse. Foto: Sybille Neth

Seit 27 Jahren ist Philippé Matern HIV-positiv. Bei seiner Tour nach Berlin traf er auf großes Verständnis und jede Menge Hilfsbereitschaft.

S-West – Die Füße müssen sich erst wieder an normales Schuhwerk gewöhnen. 1000 Kilometer ist Philippé Matern innerhalb von drei Monaten gewandert, und seit gut vier Wochen ist er wieder zurück in Stuttgart. Sein langer Marsch unter dem Motto „HIV-bewegt“ führte ihn bis nach Berlin (wir berichteten) und auf der Strecke durch das schwäbische Unterland, durch Unterfranken und die neuen Bundesländer warb er um mehr Toleranz für HIV-positive Menschen.

Matern selbst lebt seit 27 Jahren mit der Infektion. „Ich habe mich auf meiner Reise gleich zweifach geoutet“, sagt er. „Als HIV-Positiver und als Schwuler.“ Aber alle seine Begegnungen waren erfreulich, erzählt er. Allerdings traf er nicht überall auf Menschen. „In manchen Landstrichen in den neuen Bundesländern war es wie in einer Geisterstadt“, berichtet er. Das hat ihm zu schaffen gemacht. Mal eine Blase am Fuß zu haben oder völlig erledigt zu sein, nach 20 Kilometern Fußweg bei Hochsommertemperaturen, sei zu ertragen, aber die Einsamkeit nicht.

Es gibt Landstriche, in denen es keinen Laden mehr gibt

„Es ist eigentlich alles ganz anders gekommen als ich dachte“, sagt er rückblickend. So hatte er an Kleinigkeiten wie an eine Mehrfachbuchse zum gleichzeitigen Laden von Handy, Kamera und MP3-Player nicht gedacht. „In den Herbergen gibt es meistens nur eine Steckdose und in der steckt die Nachttischlampe,“ weiß er jetzt. „Auch Trinkwasser war manchmal ein Problem. Es gibt Landstriche, in denen es gar keinen Lebensmittelladen mehr gibt“, erzählt er. An Tankstellen war es ihm zu teuer, denn die Reisekasse war schmal. „Ich habe dann schon mal auf dem Friedhof Wasser gepumpt.“

Bei seinen Stationen in Heilbronn, Würzburg, Jena, Halle, Wittenberg, Potsdam und Berlin war der Wanderer Matern immer ein Ereignis. 14 Zeitungsartikel erschienen über seine Aktion. Vier Radiosender baten ihn zum Interview, und in fünf Schulklassen – drei davon in Potsdam – berichtete er über das Leben mit der Infektion und über seinen Marsch. „Die Jugendlichen waren sehr aufgeschlossen“, sagt er. Im Vorfeld hatte er 7500 Flyer über seine Aktion an die Aidshilfe-Beratungsstellen in Deutschland verschickt, 2000 Stück gingen vorab an die Beratungsstellen an seiner Strecke und 500 Stück verteilte er während seiner Wanderung selbst.

Zehn Kilo nahm er ab und kehrte mit einem Bart zurück

Aufgebrochen war Matern am 1. Mai bei strömendem Regen. Zehn Kilo nahm er während seiner Reise ab und kehrte mit einem Bart zurück. Bevor er in Potsdam zu einem Empfang im Rathaus angetreten war, hatte er sich in einem Dorf im Thüringer Wald für sieben Euro einen Haarschnitt und eine Rasur gegönnt. „Die Friseurin war eine richtige Punkerin“, erinnert er sich etwas belustigt, und die junge Frau hatte ihm nahegelegt, den Bart stehen zu lassen. Eine rührende Begegnung hatte der Wanderer in Jena mit einer älteren Dame, bei der er sich eingemietet hatte. „Ich habe nach einem Waschsalon gefragt, und sie hat darauf bestanden, meine Sachen zu waschen – und gebügelt hat sie sie auch noch“, berichtet Matern.

Die Reise durchzustehen, noch dazu mit wenig Geld, hat dem 55-jährigen einige Disziplin abverlangt. „Manchmal dachte ich, ich schaffe das nicht“, sagt er. Und nachdem er sich dreimal in den Wäldern aufgrund missverständlich angegebener Wanderwege verlaufen hatte, kam er auf die Idee, sich einen Radwegeführer zu kaufen weil die Radwege in jedem Ort gut ausgeschildert sind. 83 Tage war er so unterwegs, 51 davon war er auf den Beinen, durchschnittlich 20 Kilometer pro Tag hat er zurückgelegt.

Der krönende Abschluss war am 22. Juli an Materns Geburtstag in Berlin am Brandenburger Tor. Die Deutsche Aidshilfe war da und überreichte einen großen Blumenstrauß; Kamerateams und Fotografen lichteten ihn ab und er selbst war gerührt: „Ich habe kein Wort mehr herausgebracht.“