Reverend Anderson (Philip Glenister) hat einen Hang zum Exorzismus und Laster wie Zigaretten, Schnaps und Glückspiel. Foto:  

In der US-Serie „Outcast“ kämpft der britische Schauspieler Philip Glenister als fanatischer Dorfpfarrer gegen Dämonen, das Böse und sich selbst. Eine Begegnung.

Stuttgart - Philip Glenister erzählt: „Es wäre ohnehin eine kurze Nacht gewesen, aber diesen Schock hätte ich heute Morgen auf dem Weg zum Flughafen nicht gebraucht“. Er zuckt ratlos mit den Schultern. Es ist der Morgen, an dem seine Heimat für monumentale Nachrichten sorgte: Brexit. Wahrhaben möchte das der Londoner selbst am Nachmittag in Stuttgart noch nicht. „Ich stimmte für den Verbleib in der Europäischen Union – weniger wegen mir selbst, sondern wegen meiner Kinder. Ich dachte tatsächlich, die Mehrheit der Bevölkerung würde ebenso denken.“ Dann zuckt er wieder mit den Schultern. Doch Glenister („Life On Mars“, „Ashes To Ashes“) ist nicht in Stuttgart, um sich für seine Mitbürger zu rechtfertigen. Der 53-Jährige ist hier, um über die neue Fox-Serie „Outcast“ zu sprechen. In der Adaption der Comicreihe von Robert Kirkman („The Walking Dead“) spielt er einen Mann mit ganz anderen Problemen: den fanatischen Dorfpfarrer Reverend Anderson mit Hang zum Exorzismus und Lastern wie Zigaretten, Schnaps und Glückspiel.

„Reverend Anderson ist eine verlorene Seele, entfremdet von seiner Frau und seinem Sohn. Er sieht sich als Gotteskrieger“, erklärt Glenister, als würde er über jemanden aus seinem Bekanntenkreis reden. „Ich bin mir nicht sicher, ob er ein gebrochener Mann ist, weil er sich vollkommen Gott verschrieben hat, oder ob er sich derart dem Glauben unterwirft, da ihm sonst nichts geblieben ist. Wenn Sie mich fragen: Der Mann ist kurz dem Zusammenbruch, doch er will das nicht wahrhaben.“

Und plötzlich ist der Finger weg

Andersons Lebensinhalt: auf sprichwörtlich Teufel komm raus die dunklen Mächte zu besiegen, die seit Jahren nichts Gutes in seiner Nachbarschaft anrichten. Dort lebt beispielsweise der scheue Kyle Barnes, gespielt von Patrick Fugit („Almost Famous“), der sich seit frühester Jugend mit Besessenheit, Dämonen und einer mysteriösen Lebensgeschichte quält. Als Barnes dem auf den Grund zu gehen versucht, kreuzen sich die Wege des gebeutelten jungen Mannes und die des getriebenen Dorfpfarrers aus Rome in West Virginia. Und da ist auch ein kleiner Junge, sichtlich nicht im Vollbesitz seiner Sinne. Er isst Chips aus der Tüte und verspeist dabei den eigenen Finger. Nur wenige Blutspritzer später steht schon der erste Exorzismus auf der Tageskarte.

„Outcast“ setzt auf Mystery, Horror, Crime, Suspense und gleichzeitig – trotz aller Schockmomente und Brutalität – auch auf einen fast behutsamen Handlungsaufbau. Ähnlich wie die ebenfalls von Robert Kirkman ersponnene Zombie-Geschichte „The Walking Dead“ funktioniert auch „Outcast“ problemlos als Parabel auf Zeitgeist und Weltgeschehen. Doch während „The Walking Dead“ vom Kampf um Sicherheit in einer degenerierten Gesellschaft erzählt, bedient sich Kirkman in „Outcast“ dem urreligiösen Gedanken, das Böse würde mitten unter uns leben und von unbescholtenen Bürgern Besitz ergreifen. Nicht der Mensch ist böse, sondern die Gedanken und Dämonen, die von ihm Besitz ergreifen. Ebenfalls mittendrin: der manische Reverend Anderson, intensiv in Szene gesetzt von Glenister.

Privat hält Glenister Exorzismus für keine adäquate Problemlösung. Er sagt lachend: „Ich würde Sie durchaus für bekloppt halten, wenn Sie bei mir klingeln und mir etwas über die Vorzüge eines Exorzismus erzählen würden. Mit dämonischer Besessenheit kann ich ebenfalls nichts anfangen. ‚Gehirnwäsche’ trifft das meiner Ansicht nach viel besser. Oder: Ideen und Gedanken, die Besitz von einem Menschen ergreifen.“ Und spätestens da macht er den Plot von „Outcast“ zu einer vielschichtigen Angelegenheit, in der die Grenzen zwischen gut, böse und selbstgerecht längst verschwommen sind. In Rome, West Virginia, scheint fast jeder von etwas besessen.

Das mit dem US-Akzent klappt

Zur Vorbereitung auf seine Rolle schaute sich Glenister haufenweise evangelistische TV-Pfarrer im US-Fernsehen an und behielt den antrainierten US-Akzent selbst beim Feierabendbier in der Sports-Bar bei. „Das klappte bestens“, erzählt er. „Bis die Frau am Tresen ein Spiel von meinem Verein Arsenal London wegzappte und ich vor lauter Aufregung sofort wieder in mein britischen Akzent zurückfiel.“

Das Medium TV-Serie scheint für den Familienvater endgültig der ideale Weg, sich auszutoben: „Früher war die große Kunst, eine Geschichte oder einen Charakter in 120 Minuten zu erzählen. Jetzt stehen zehn Stunden zur Verfügung, Personen, Handlung oder eine Stadt zu entwickeln. Fantastisch! Das Kino – besonders Hollywood – setzt mittlerweile eher auf Special Effects und Kurzweil.“ Der Leidenschaft für das Filmgeschäft, konnte Glenister allerdings schon in früher Jugend kaum entkommen: Vater John ist TV-Regisseur im Ruhestand und der großer Bruder Robert ebenfalls gut dotierter Schauspieler in England. „Wir haben früh gelernt, wie hart das Filmgeschäft ist, und dass vieles von reinem Glück abhängt. Wir sahen schließlich täglich, wie hart unser Vater arbeitete. Mir war früh klar, dass ich ebenfalls zum Film möchte, dachte allerdings, mein Platz sei hinter der Kamera.“ Glenister lacht und sagt: „Ehrlich gesagt: Das denke ich noch immer.“