Foto: Patricia Sigerist

Bei seinem 175. Geburtstag adelt der Philharmonische Chor den ehemaligen Chorleiter Alfons Scheirle mit der Ehrennadel mit Rubin. Viele Ehrengäste sind zu der Feier gekommen.

Fellbach - Wenn ein Verein seinen 175. Geburtstag feiert, dann ist das etwas Besonderes – zumal, wenn es eine Institution ist, die sich mit gerade einmal einem Männerchor gegründet hat und nun mit stolzen sieben Ensembles aufwarten kann. Der Philharmonische Chor – bis zum Jahr 1996 hieß er noch Männergesangverein – gehört seit jeher untrennbar zu Fellbach. Es ist ein Verein, der im Laufe der Jahre zwar von seinen ehemals rund 700 Mitgliedern auf nun 460 geschrumpft ist, der aber dennoch eine enorme Strahlkraft besitzt. Fast kein anderer Verein hat eine solch hohe Dichte von Ehemaligen, die immer gerne zu Konzerten anreisen, in fast keinem anderen Verein hört man so oft die Worte: „Was haben wir damals alles erlebt, und was haben wir hier alles gelernt.“

Die geballte örtliche Prominenz kommt in die Schwabenlandhalle

Wie anders ist es auch sonst zu erklären, dass beim Festakt am Sonntagvormittag im Hesse-Saal der Schwabenlandhalle die geballte örtliche Prominenz inklusive ehemaliger, derzeitiger und zukünftiger Oberbürgermeister vor Ort war, um den Verein gebührend zu feiern. Der Vorsitzende Roland Engelhardt ist sich der Verantwortung durchaus bewusst. „Wir sind stolz darauf, dass wir zu den ältesten, Kultur treibenden Vereinen in der Region gehören“, sagte er. Der Verein habe alle schwierigen Zeiten der vergangenen Generationen überdauert und bediene heute alle Altersgruppen vom Kleinkind bis zum Opa. Die Chöre brächten nicht nur eine hervorragende sängerische Leistung, sondern seien auch über die Stadtgrenze hinaus Botschafter für Fellbach. „Das ist unser Beitrag zum Stadtmarketing“, sagte Engelhardt. Allerdings sei auch die Entwicklung gerade innerhalb der vergangenen Jahre kritisch zu beleuchten, schließlich fänden immer weniger Menschen den Weg in einen Verein oder wollten sich dort engagieren. So müsse der Philharmonische Chor auch in Zukunft verantwortungsvoll mit seinen Aufgaben umgehen.

Oberbürgermeister Christoph Palm lobte die Vereinsgründer. „Es war damals sehr mutig zu sagen: ,Wir sind selbstbewusste Bürger, gründen einen Verein und stehen auch dazu’“, sagte er. Diese Botschaft sollte in der heutigen Zeit ein Vorbild sein. Auch das Stadtoberhaupt warf einen kritischen Blick auf das Vereinsgeschehen. So engagiere sich innerhalb Deutschlands jeder vierte Musiktreibende in einem Verein in Baden-Württemberg, das sei bundesweit einzigartig. Umso weniger Verständnis habe er deshalb dafür, dass die Mittel so ungerecht verteilt würden. „85 Millionen Euro für den Sport im Vergleich zu 25 Millionen Euro für die Amateurmusik. Da muss man schon mal die Frage stellen, ob dies das richtige Verhältnis ist“, sagte OB Palm.

Alfons Scheirle (links) und Roland Engelhardt. Foto: Claudia Bell
Dann stand ein ganz besonderer Augenblick an: Mit einer großen Auszeichnung bedachte der Verein seinen ehemaligen, langjährigen Chorleiter und Gründer der Ensembles: Der 82 Jahre alte Alfons Scheirle erhielt die Ehrennadel mit Rubin als Dank für sein jahrzehntelanges Engagement. Diese wird auf Lebenszeit verliehen, bisherige Träger waren Manfred Schneider und Gerhard Aldinger. „Wir vergeben diese Nadel an dich als einen Menschen, der diesen Verein wie kein anderer geprägt hat“, sagte Engelhardt. Scheirle habe mit seiner Einzigartigkeit und seinen Visionen dafür gesorgt, dass der Verein über die Jahrzehnte eine solch großartige Entwicklung durchlaufen habe. Er habe nicht nur seine Aufgabe als Chorleiter als Verpflichtung angenommen, sondern den Dienst an den Menschen. „Wir sprechen dir unseren größtmöglichen Dank aus und verneigen uns vor dir und deinem Lebenswerk.“

Mit Laudate und Lobgesang das Jubiläum besungen

Wenn ein Gesangverein Jubiläum feiert, dann natürlich mit einem Festkonzert. Eher ungewöhnlich ist es allerdings, dass der Dirigent dazu selbst komponiert, wie es Tilman Heiland für das Jubiläumskonzert des Philharmonischen Chors getan hat. Zwar stand am Samstag im Hölderlinsaal der Schwabenlandhalle nicht die Uraufführung von Heilands „Laudate Dominum“ im Mittelpunkt, sondern die Symphoniekantate „Lobgesang“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Das Stück aus eigener Feder ist freilich auf den Anlass zugeschnitten, jedenfalls für die Besetzung des Konzerts mit Orchester, Chor und drei Vokalsolisten, aber auch thematisch mit der Vertonung des 150. Psalms in lateinischer Version, dessen letzte Zeile von Luther übersetzt wird mit „Alles was Odem hat, lobe den Herrn“ – das Hauptmotiv des „Lobgesangs“. Drei Chorabschnitte in Heilands Komposition werden unterbrochen durch Soloterzette auf einen Text des amerikanischen Schriftstellers Walt Whitman und einige Zeilen aus dem Kirchenlied „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ des Reformers Philipp Nicolai. So erwies sich die Komposition als gelungene Einstimmung auf den Lobgesang, das Publikum gab herzlichen Beifall.

Der Dirigent Tilman Heiland. Foto: Patricia Sigerist
Den ganz großen Applaus sparten sich die Besucher im nicht ganz voll besetzten großen Saal für den Schluss auf. Die einstündige Aufführung der Symphoniekantate von Mendelssohn Bartholdy – sie ist vor 175 Jahren in der Gründungszeit des Philharmonischen Chors entstanden – stellt an einen Laienchor hohe Anforderungen. Sie wurden unter dem präzisen Dirigat von Tilman Heiland von den fast 120 Sängern auf der beeindruckend gefüllten Bühne überzeugend erfüllt. Zu keinem Zeitpunkt war die Anstrengung spürbar, auch schwierige Passagen wie ein A-Cappella gesungener Choral mit anschließend einsetzendem Orchester gelangen perfekt.

Tilman Heiland hatte seine Chöre auch im Zusammenspiel mit der stets sicher aufspielenden Jungen Süddeutschen Philharmonie aus Esslingen offensichtlich bestens vorbereitet. So wirkte das Konzert wie aus einem Guss, was auch den großartigen Solisten zu verdanken ist: dem aus Schmiden stammenden Weltklassetenor Matthias Klink sowie seiner Frau Natalie Karl und der ebenfalls in großen Häusern engagierten Sopranistin Maria Palaska. Die beiden Sopranistinnen lieferten beispielsweise im 5. Teil des Lobgesangs ein Duett in vollendetem Gleichklang ab, Matthias Klink begeisterte in Rezitativen und Arien mit seiner klar strukturierten volltönenden Stimme. „Bravo“-Rufe und fünfminütiger Applaus belohnte die Akteure des Festkonzerts, an das der Philharmonische Chor sicher noch lange zurückdenken wird.