Zwischen 40 000 und 170 000 Behandlungsfehler passieren jedes Jahr in Deutschland, schätzt das Bundesgesundheitsministerium. Davon werden aber nur rund 15 000 den Krankenkassen gemeldet. Nur bei einem Viertel hat sich der Verdacht bestätigt Foto: dpa

Für Patienten, die sich von Ärzten ja eigentlich Heilung erhoffen, ist ein Behandlungsfehler ein Schock. Betroffenen steht oft ein langjähriger und psychisch belastender Kampf um Entschädigung bevor. Unter dem Pseudonym Johanna Darka setzt sich ein Opfer für mehr Rechte von Patienten ein.

Frau Darka, der tragische Fall einer 21-jährigen Frau, die aufgrund eines medizinischen Fehlers in der Filderklinik zu Tode kam, bewegt die Menschen. Wie geht es Ihnen als Betroffener, wenn Sie von einem solchen Fall hören?
Mich bewegt das sehr, da ich dies als Betroffene einer medizinischen Fehlbehandlung so gut nachempfinden kann. Aufgrund meiner eigenen Geschichte bin ich allerdings auch sehr hellhörig geworden. Gerade bei dem Fall der Filderklinik stellen sich mir sofort Fragen, beispielsweise warum dort von den Ärzten eine Methode zur Bauchspiegelung angewandt wird, die zu solchen Risiken führen kann. Dabei gibt es doch eine andere, sehr gängige Methode. Solche Fragen fallen immer an, aber viele verlaufen auch schnell, zu schnell im Sande.
Aufgrund solcher Vorfälle sind viele Patienten verunsichert und glauben, dass sie bei medizinischen Eingriffen Ärzten schutzlos ausgeliefert sind. Sind diese Gefühle berechtigt?
Leider ja. Und ich muss ehrlich gestehen, ich werde mir sehr eingehend überlegen, ob ich mich in Deutschland noch einmal behandeln lasse. Das liegt nicht unbedingt an der Qualität der Ärzte, sondern daran, dass, wenn eben doch ein Behandlungsfehler passiert, sich die Rechtslage so sehr gegen den Patienten kehrt. Meine Erfahrung und auch meine Recherchen haben eindeutig ergeben, dass Patienten stets die Benachteiligten sind. Vor allem stehen die Opfer von Ärztefehlern einer Übermacht von Medizinern gegenüber und werden einfach alleingelassen.
Sie sind 1999 selbst Opfer eines Behandlungsfehlers geworden und leiden noch immer an den Folgen: Wie geht es Ihnen heute?
Man muss verstehen: Um die Schäden einigermaßen zu richten, die der Arzt mir aufgrund seiner Fehlbehandlung angetan hat, waren zahlreiche Operationen nötig. Man hat schnell bemerkt: Das sind bleibende Schmerzen und diverse körperliche Probleme, die mich lebenslang begleiten werden. Hinzu kommen die seelischen Verletzungen, so habe ich bei der Fehlbehandlung ein Trauma erlitten, das sich über all die Jahre hinweg durch die fortgesetzte Nichtanerkennung meines Rechts auf Entschädigung von juristischer Seite und vonseiten der ärztlichen Haftpflichtversicherungen zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung entwickelt hat.
Als sich im Uniklinikum der Verdacht bestätigte, dass Ihr behandelnder Arzt Sie falsch therapiert hat, wie sind Sie vorgegangen?
Ich habe Strafanzeige gestellt. Allerdings war das Anliegen der Staatsanwaltschaft, den Fall so schnell wie möglich beizulegen, auch wurde ich von meinem damaligen Rechtsbeistand nicht richtig betreut. Ich habe mir dann einen Anwalt für Medizinrecht genommen und ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das ist sowieso das größte Problem: Solange die Beweislast beim Patienten liegt, muss man alles Mögliche beweisen – selbst das Unmögliche, was gar nicht beweisbar ist. Man muss belegen, dass es sich um einen Arztfehler handelt, und später noch belegen, dass dieser Fehler genau diese körperlichen Leiden hervorgebracht hat, die man heute noch hat. Das alles kostet sehr viel Geld, sehr viel Zeit und sehr viel Nerven, die man als Kranker nicht hat. Da ist man vor existenzielle Probleme gestellt.
Wie haben in Ihrem Fall die verursachenden Ärzte reagiert?
Mein damaliger Hausarzt war sehr kooperativ, hat auch der Staatsanwaltschaft sofort die Patientenakte zur Verfügung gestellt und vor Gericht zugegeben, dass er mich über die Risiken des Eingriffs nicht richtig aufgeklärt hat. Und das empfinde ich als in Ordnung. Der Chirurg, der mich so zugerichtet hat, weigerte sich erst, die Akte herauszugeben, stritt alles ab. Aber dieses Verhalten, dass Ärzte sofort mauern, wenn es darum geht, einen Behandlungsfehler aufzuklären, habe ich sehr oft erlebt. Selbst Ärzte, die mit dem Fehler an sich nichts zu tun hatten, sondern mich nur nachbehandelt haben, wollten – als es um die Erfassung von juristischen Beweisen ging – plötzlich nicht mit hineingezogen werden.
Das Gericht hat Ihnen recht gegeben, dennoch dauert der Rechtsstreit an: Was sind die größten Hürden, die es zu überwinden gilt?
Man kämpft an zwei Fronten: Die eine Hürde ist diese permanente Nachweispflicht, Opfer eines medizinischen Fehlers geworden zu sein. Die zweite große Hürde ist es, seinen Anspruch auf finanzielle Ersatzleistungen geltend zu machen. So habe ich heute, 16 Jahre nach der Fehloperation, noch keine rechte Entschädigung bekommen. Obwohl einer meiner Rechtsanwälte beispielsweise für nur zehn Jahre meines Verdienstausfalls ausgerechnet hat, dass mir hierfür allein 400 000 Euro zustünden. Ganz zu schweigen von den Kosten für Medikamente und Therapien sowie Gutachten. In meinem Fall kam erschwerend hinzu, dass aufgrund von rechtsanwaltlichen Fehlern viele Ansprüche verloren gegangen sind, unter anderem weil Fristen nicht eingehalten wurden oder man mich schlicht falsch beraten hatte.
Sie haben Ihren Leidensweg in einem Buch veröffentlicht, sind mit anderen Betroffenen von ärztlichen Behandlungsfehlern vernetzt und kennen deren Geschichten. Ist das, was Sie erlebt haben, typisch für den Verlauf eines Behandlungsfehlers?
Leider ja. Man glaubt immer, wenn man solche Geschichten wie die meine liest, das wären vielleicht Einzelfälle. Doch ich habe auch aufgrund meiner Recherchen für mein Buch einen Überblick bekommen und weiß: Die grundsätzlichen Hürden wiederholen sich überall. Das ist unerträglich. In unserer Gesellschaft werden Opfer von Ärztefehlern in einen gesellschaftlichen Tabubereich geschoben. Man ist von vorneherein im Unrecht, wird überall abgewiesen – teils mit abstrusen Argumenten.
Was raten Sie Betroffenen?
Trotz dieser großen Machtlosigkeit der Patienten gegenüber der Ärzteschaft, rate ich dennoch jedem Betroffenen, der den Verdacht hat, nicht richtig behandelt worden zu sein, dagegen vorzugehen. Das heißt, seine Krankenkasse einzuschalten. Es gibt auch die Möglichkeit, ein Gutachten über den Medizinischen Dienst des Krankenkassenverbandes (MDK) zu machen. Man sollte auch versuchen, ein Privatgutachten vornehmen zu lassen. Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, nimmt dann einen Anwalt für Medizinrecht. Allerdings muss man hier sehr aufpassen: Betroffene sollten sich auf keinen Fall durch irgendwelche Bezeichnungen wie „Wir sind für Patienten da“ blenden lassen, die oft von Kanzleien und sogenannten Kunstfehler-Vereinen nur zu Werbezwecken eingesetzt werden. Besser ist es, vorher zu prüfen und zu erfragen, in welchen Fällen dieser Rechtsbeistand schon mit Erfolg geholfen hat. Denn in dieser Branche wird leider auch oft betrogen im Hinblick auf das eigene Honorar.
Reichen Ihrer Meinung nach die gesetzlichen Bestimmungen als Patientenschutz aus?
Nein. Zum einen braucht es eine unabhängige und unentgeltliche Rechtsberatung für Patienten. So, wie es zurzeit aussieht, wird die Rechtsprechung im Grunde genommen den mal gut, mal sehr schlecht arbeitenden Rechtsanwälten der Medizinopfer und vor allem auch den großen Haftpflichtversicherungskonzernen überlassen. Das Wichtigste aber ist, dass die Beweislast von den Schultern der Betroffenen genommen wird. Das gehört für mich einfach zu den Gesetzen der Menschlichkeit, dass man Patienten nicht zumutet, sich überall rechtfertigen und ihr Leiden beweisen zu müssen. Ein Arzt, der transparent arbeitet, hat von der umgekehrten Beweislast auch nichts zu befürchten. Vor Eingriffen muss er klar über die Risiken aufklären und sich eine Einverständniserklärung vom Patienten geben lassen. Der Patient muss entscheiden können, was mit ihm gemacht wird. Passiert dann ein Fehler, dann sollten die Ärzte auch dazu stehen und dokumentieren, wie es dazu gekommen ist.