Kliniken buhlen um Personal für die Krankenpflege Foto: lichtgut/Achim Zweygarth

In Krankenhäusern zählt vor allem besonnenes Handeln, damit Patienten sicher sind. Am Klinikum Stuttgart wiesen in diesem Jahr die Pflegekräfte rund 700 Mal auf eine Gefährdung hin. Das belegt, dass Personalnot auch in der Landeshauptstadt zur Arbeitsrealität im Pflegedienst gehört.

Stuttgart - 80 Jahre alte Patienten, die nach einer schweren Wirbelsäulen- oder Herzoperation auf der Intensivstation liegen, sind keine Seltenheit mehr an deutschen Kliniken. Durchaus möglich ist auch, dass eine versierte Pflegekraft von heute auf morgen wegen einer Schwangerschaft fehlt: „Nach der Meldung einer Schwangerschaft haben die Frauen sofort ein Beschäftigungsverbot“, sagt Gudrun Klein, die Pflegedirektorin am Klinikum Stuttgart. Es kann also vorkommen, dass die Personaldecke auf der Intensivstation schnell zu dünn und die pflegerische Versorgung trotz aller Bemühungen kurzfristig nicht gewährleistet ist.

In solchen Situationen sind die Angestellten des Klinikums gehalten, eine sogenannte Gefährdungsanzeige aufzunehmen und an die Vorgesetzten weiterzuleiten. „Wir hatten im Jahr 2014 bis jetzt rund 700 solcher Gefährdungsanzeigen, das heißt jeden Tag zwei bis drei“, sagt Volker Mörbe, der Vertrauensleutesprecher bei Verdi. Er ist außerdem Personalrat am Klinikum und weiß, dass Engpässe vorkommen können, „selbst wenn alle Stellen besetzt sind“.

Jedes Jahr zum 1. Oktober stellt das Klinikum neu ein. Nach aktuellem Stand sind im Pflegedienst derzeit elf Stellen offen, im Funktionsdienst – beispielsweise in der Endoskopie und auf Intensivstationen – gibt es derzeit sogar einen Überhang von neun Stellen. Da 80 Prozent der 2809 Angestellten im Pflegedienst und der 827 Angestellten im Funktionsdienst Frauen sind, gleicht sich der Überhang übers Jahr verteilt wegen Schwangerschaften oder geänderter Familienplanung wieder aus, erklärt Gudrun Klein. Trotzdem: „Ich würde mich über mehr Pflegepersonal freuen, aber wer bezahlt das?“

Die DRGs, Diagnosis Related Groups, sind diagnosebezogene Fallgruppen, nach denen abgerechnet wird. Sie deckeln die Ausgaben der Kassen pro Patient. Ob sich ein Patient schnell erholt oder viel Zuwendung braucht, fällt wenig ins Gewicht dabei. Gudrun Klein: „Entweder müssten die DRGs erhöht werden, oder der Gesetzgeber müsste die Erstattung der höheren Kosten durch die Krankenkassen gewährleisten.“

Anders als in Kindertagesstätten beispielsweise gibt es für Krankenhäuser keinen gesetzlich vorgeschriebenen Personalschlüssel. Gudrun Klein hat auch Zweifel daran, ob der helfen würde, „denn eigentlich muss man nach der Pflegeintensität schauen“. Sie ist seit 40 Jahren im Pflegeberuf, seit 30 Jahren in Leitungsfunktionen und stellt fest, dass die Pflegeintensität zugenommen hat „wegen der kürzeren Verweildauer, dem Mehr an älteren Patienten und zunehmend auch dementen Patienten“.

In den 80er Jahren hatte man es schon mal mit einem Pflegeschlüssel versucht, der schon nach kurzem wieder abgeschafft wurde. „Nachdem die Pflegepersonalordnung 1995 wieder außer Kraft war, hat man innerhalb von zehn Jahren in Baden-Württemberg 50 000 Pflegestellen abgebaut“, sagt Volker Mörbe. Laut der Gewerkschaft Verdi fehlen an den Krankenhäusern im Südwesten rund 21 000 Stellen, vor allem im Pflegebereich.

Nach Mörbes Beobachtung spricht es sich herum, dass man nach einer hoch qualifizierten Ausbildung im Pflegebereich für den hohen persönlichen Einsatz nicht sonderlich gut bezahlt wird. „Es gibt Häuser, die nicht mehr alle Kurse mit Auszubildenden voll haben, wo man früher noch die Besten auswählen konnte.“ Mehr als 700 Plätze für Auszubildende in den verschiedensten Sparten bietet das moderne Bildungszentrum des Klinikums, jedes Jahr übernimmt das Haus alle, die wollen, in eine Festanstellung.

Die Azubis, die inzwischen in kleinerer Zahl ans Klinikum strömen, werden verwöhnt, sie haben nach ihrem Examen „drei Wünsche frei, in welche medizinische Fachrichtung sie gern gehen wollen“, sagt Gudrun Klein. Als „gute Fee“ könne sie die Wünsche „zu 98 Prozent erfüllen“. Bei der Wohnungsfrage, einer der drängendsten Fragen, sieht sie trotz der bestehenden Wohnheime Nachholbedarf: „Wir brauchen mehr adäquate Wohnungen zu akzeptablen Preisen.“

Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle beobachtet die Entwicklung der Gefährdungsanzeigen genau. „Wir nehmen sie ernst, weil sie aus einer Situation kommen, wo Leute überfordert sind“, sagt er. Zurzeit tagt eine Bund-Länder-Kommission zum Thema und soll einen Vorschlag zur Personalbemessung machen. „Die Befürchtung besteht, dass zwar Forderungen aufgestellt werden, die entsprechende Finanzierung letztlich aber nicht sichergestellt ist“, sagt der Krankenhausbürgermeister. Unumstößlich sei für ihn: „Wer bestellt, bezahlt!“ Käme ein Gesetz zum Personalschlüssel, müssen seiner Ansicht nach die Krankenkassen für Mehrkosten aufkommen, nicht die Stadt.