Einige Äcker liegen brach – weil die Chemikalie PCF den Boden verseucht hat. Foto: dpa

In Mittelbaden sind zahlreiche Äcker mit Chemikalien verseucht – auch das Trinkwasser ist betroffen. Doch kaum jemand protestiert. Auch der Naturschutzbund ist ratlos und schweigt. Wie schädlich sind die Chemikalien für den Menschen?

Stuttgart - Die Äcker in der Rheinebene bei Rastatt sahen in diesem Sommer aus wie immer: Mais wechselte sich ab mit Hafer, viele Spargel- und Erdbeerfelder waren dabei. Nur dem sehr aufmerksamen Beobachter fiel auf, dass mancher Acker brach lag. Nicht ohne Grund – denn tatsächlich schlummert rund um Rastatt, Baden-Baden und Mannheim der womöglich größte Umweltskandal, den Deutschland je erlebt hat: 400 Hektar Land sind mit sogenanntem PFC verseucht, das sind per- und polyfluorierte Chemikalien, die in dringendem Verdacht stehen, krebserzeugend und erbgutverändernd zu sein. Die Pflanzen auf den Äckern nehmen die Stoffe auf, auch im Trinkwasser dürften sie sich über Jahre hinweg befunden haben.

Dass dieser seit drei Jahren bekannte Skandal dennoch so unwirklich geräuschlos abläuft, liegt daran, dass niemand sagen kann, wie gefährlich das PFC wirklich ist. Selbst der Naturschutzbund, der sonst gerne den Finger in die Wunden legt, ist beim PFC ratlos und schweigt. Man habe viele Fragen, aber keine Lösungen, sagt Hannes Huber, der Sprecher des Landesverbandes in Stuttgart. Jetzt hat das Regierungspräsidium Karlsruhe wieder Entwarnung gegeben: Eine frühzeitige Analyse der Feldfrüchte sorge dafür, dass nur unbelastete Lebensmittel auf den Markt gelangten.

Das Umweltbundesamt betrachtet PCF als „besonders besorgniserregend“

So sehen die Fakten aus: PFC sind Chemikalien, die wegen ihrer wasser- und schmutzabweisenden Eigenschaften bei Jacken, Möbeln, Pfannen und Hochglanzpapier eingesetzt werden. Sie bauen sich in der Umwelt über Jahrhunderte nicht ab. Die zentrale Frage ist, wie viel wir davon vertragen. Beim bisher größten PFC-Skandal, in Parkersburg in den USA, war der Stoff über Jahrzehnte hinweg in die Luft und in den Ohio River geleitet worden. 2002 wurden die hohen Werte erkannt, bei 69 000 Menschen untersuchte man das Blut. Das Fazit der Epidemiologen: Der Zusammenhang zwischen bestimmten Erkrankungen und PFC-Belastung sei „möglich“. Das Umweltbundesamt betrachtet PFC als „besonders besorgniserregend“.

Woher das PFC in Boden und Wasser in Mittelbaden stammt, ist nicht eindeutig geklärt. Viele Experten und der Verwaltungsgerichtshof sehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Kompost an der Verseuchung schuld ist, der zwischen 2005 und 2008 – legal – mit Papierschlämmen vermischt war und an die Bauern verteilt wurde. Nicht legal wäre nur gewesen, wenn der Schlamm PFC enthalten hätte. Eine Prüfung war damals aber noch nicht Pflicht.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft stehen kurz vor Abschluss

Franz Vogel steht nun im Visier der Behörden. Der Kompostunternehmer aus Baden-Baden ist verzweifelt. Ja, er hat Kompost geliefert, aber er beharrt darauf, dass der seine einwandfrei war. Er wirft den Behörden vielmehr vor, ihn zum Sündenbock zu machen und andere Wege der Verseuchung nicht zu prüfen, etwa durch Klärschlamm oder durch Kerosin vom früheren Militärflughafen Söllingen.

Margret Mergen, die Oberbürgermeisterin von Baden-Baden, schließt Letzteres aus: „Wir haben Tausende von Proben genommen, auch am Airport.“ Doch in der Tat stehen bisher keine Papierfabriken unter Verdacht, zumindest nicht öffentlich. Es läuft nur das Verfahren gegen Vogel. Die strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Baden-Baden stehen dieser Tage vor dem Abschluss.

Auch die sonstige Maschinerie der Behörden läuft – ob sie ausreichend läuft und ob sie schnell genug angelaufen ist, darüber gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Erst 2015, also zwei Jahre nach dem Bekanntwerden der Verseuchung, hat das Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) ein „Vor-Ernte-Monitoring“ auf den betroffenen Flächen eingeführt. Das bedeutet: Es wird geprüft, ob sich in den Pflanzen PFC eingelagert hat; wenn ja, dürfen die Früchte nicht mehr verkauft werden. Wobei es gar keine Grenzwerte gibt; das Land hat vorläufige Werte selbst festgelegt.

Die Schäden für die betroffenen 60 Landwirte sind groß

Im vergangenen Jahr hatte das Regierungspräsidium bestimmt, dass 4,5 Hektar voller Erdbeeren und sechs Hektar Spargel gar nicht erst geerntet werden, Winterweizen von 18,6 Hektar durfte nur unter Auflagen an Tiere verfüttert werden. In diesem Jahr sei dies kaum noch notwendig gewesen, sagt Ulrich Roßwag vom RP in Karlsruhe: „Die Landwirte haben aufgrund der Erfahrungen des letzten Jahres bereits andere Früchte angebaut.“ Nur drei von 210 Proben hätten noch sehr hohe Werte aufgewiesen – sie stammen von Gemüse. Neu war allerdings die Erkenntnis, dass neben Erdbeeren, Spargel, Gemüse und Heu auch Weizen und Triticale, eine Weizen-Roggen-Kreuzung, kritisch sein können. Für Roßwag ist das Monitoring ein Erfolg.

Stefan Schrempp, der Geschäftsführer des Bezirks Achern des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands, bestätigt diese Einschätzung: „Doch die Schäden für die betroffenen 60 Landwirte bleiben groß.“ Und vorerst ersetze niemand den Ausfall, da kein Verursacher feststeht. Minister Peter Hauk (CDU) hat jetzt nochmals klargemacht, dass es keine Entschädigung vom Land geben werde. Überhaupt fühlen sich Landwirte und Wasserversorger von der Regierung alleine gelassen.

Allerdings protestieren die Bauern auch kaum. Vermutlich, weil sie befürchten, dass der Ruf ihrer Höfe beschädigt werden könnte. Dass sie Angst hätten, selbst belangt werden zu können, weil sie den kostenlos verteilten Kompost ohne jede Nachfrage angenommen haben, glaubt Stefan Schrempp nicht. Es sei nicht unüblich, etwa guten Mutterboden gratis zu bekommen, sagt der Bauernfunktionär.

Die Kritik: Niemand weiß, wie sich PFC auf lange Sicht auf die Gesundheit auswirkt

Doch bleiben auch nach dem diesjährigen Monitoring Fragen. Belastete Pflanzen werden auf dem Acker belassen und untergepflügt. Vor allem muss man davon ausgehen, dass vor 2015 belastete Lebensmittel noch verkauft wurden. Kritiker werfen den Behörden vor, zu langsam zu arbeiten. Ulrich Roßwag kann da nur den Kopf schütteln. Bei PFC gebe es eine unwahrscheinliche Fülle von Elementen, die sich ganz unterschiedlich verhalten. Einfache Vorgaben brächten nichts – es müsse richtige Grundlagenforschung betrieben werden. Angesichts der „Einzigartigkeit der Belastungssituation“ dauere alles lange, man stochere im Nebel und müsse selbst lernen. „Wir haben aber unsere Werte so niedrig angesetzt, dass wir auf jeden Fall auf der sicheren Seite sind“, sagt Roßwag.

Zu den sachlichsten und vielleicht deshalb schärfsten Kritikern gehört Andreas Adam. Er arbeitet bei der Staatsanwaltschaft und ist geübt im kritischen Nachfragen und in schwieriger Recherche. In seiner Freizeit gehört er zu den Mitstreitern der Bürgerinitiative Sauberes Trinkwasser für Kuppenheim. Ihn irritiert extrem, dass die Behörden alles Mögliche untersucht haben – nur nicht, wie viel PFC beim Menschen angekommen ist. Die Initiative hat deshalb selbst Freiwillige gesucht, die ihr Blut untersuchen ließen. 2015 und 2016 wurden 30 Proben analysiert. Der normale Wert liege bei 5,9 Mikrogramm PFC pro Liter – sie haben Werte bis 63,8 Mikrogramm gemessen. Wie dies einzuordnen ist, kann zwar niemand mit Bestimmtheit sagen: „Doch selbst wenn es bei diesen Werten keine akute Gefährdung gibt, weiß niemand, wie sich das auf lange Sicht auf die Gesundheit auswirkt“, sagt Adam.

Zwei von drei Wasserwerken in Rastatt mussten schließen

Es steht zu befürchten, dass nicht nur er über Jahre belastetes Trinkwasser getrunken hat, auch wenn die Dosen womöglich gering waren. Bei den Wasserversorgern ist jedenfalls seit Sommer 2013 nichts mehr wie zuvor. Olaf Kaspryk, der Geschäftsführer der Rastatter Energiewerke, musste kurzfristig zwei von drei Wasserwerken in Rastatt schließen, weil die Werte nur knapp unter dem Leitwert lagen, den das Umweltbundesamt zumindest für Wasser festgelegt hat. 0,3 Mikrogramm pro Liter gelten als „lebenslang gesundheitlich duldbar“. Seither hängt die gesamte Versorgung Rastatts an dem letzten Wasserwerk Ottersdorf – und auch dorthin wird das PFC bald gelangen.

Bis etwa 2018 müssen Ottersdorf und das Wasserwerk Rauental deshalb so umgebaut werden, dass sie das PFC herausfiltern können. Zudem wird eine Verbindung zum Netz der Stadtwerke Gaggenau gelegt, um im Notfall von dort versorgt werden zu können. Die Kosten für all diese Maßnahmen liegen bei mehreren Millionen Euro. „Irgendwann muss ich die Preise erhöhen“, sagt Kaspryk, „es geht nicht anders.“ Er fordert von den Ministerien, dass sie das Problem in Baden endlich ernst nehmen und einen Masterplan erarbeiten: „Heute ist es PFC, morgen Chrom oder Arzneien. Wir brauchen einen Plan, um für zukünftige Generationen das Wasser rein zu halten.“

Der Stoff wird in 1000 Jahren nicht abgebaut

Beim Wasserversorgungsverband Oberes Murgtal, von dem Andreas Adam sein Trinkwasser bezieht, sieht es noch schlechter aus. Drei Brunnen wurden geschlossen, und es muss ein belasteter Brunnen weiter genutzt werden, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Das Wasser wird mit Aktivkohle gefiltert und mit unbelastetem Wasser gemischt. Volker Schuster, der Geschäftsführer des örtlichen Versorgers, betont, dass die PFC-Werte jetzt so gering seien, dass das Wasser offiziell als PFC-frei gelte. Aber auch im Murgtal wird derzeit ein Notanschluss vorbereitet.

Was die Aktivkohle an PFC aus dem Wasser herauszieht, darf übrigens legal in die Murg entsorgt werden. Die Mengen seien gering, sagt Schuster. Andreas Adam sieht das anders. Pro Jahr werde ein Kilo in die Flüsse eingeleitet: „Und das von einem Stoff, der sich in 1000 Jahren nicht abbaut.“

Der Skandal wird die Bürger noch viele Jahre beschäftigen

Wie das Problem grundsätzlich gelöst werden kann, darüber zerbrechen sich viele Experten den Kopf. Das Ingenieurbüro Arcadis hat vor einem Jahr, nach 30 000 Einzelanalysen, ein Gutachten mit einem niederschmetternden Ergebnis vorgelegt: Alle Möglichkeiten zur Sanierung des Bodens kosteten unzählige Millionen, und es sei unklar, wie Erfolg versprechend sie seien. Illusorisch ist es, den gesamten Boden abzutragen – es entstünde ein riesiger Berg. Hoffnung setzt OB Margret Mergen auf das chinesische Schilfgras: „Es kann große Mengen von PFC aufnehmen – wenn man es bei hohen Temperaturen verbrennt, zerfällt das PFC.“ Aber bisher prüft man nur.

Dass sich der Sturm der Entrüstung bisher in Grenzen hält, liegt wohl auch an dieser Kernaussage der Behörden: Lebensmittel und Trinkwasser könnten bedenkenlos zu sich genommen werden. Doch trotz der Ruhe werden der Skandal und dessen Auflösung die Bürger in Mittelbaden noch viele Jahre beschäftigen. Und vielleicht ist es ja auch nur die Ruhe vor dem Sturm.