Für die Aktion „Sauberes Stuttgart“ Foto: Lg/Piechowski

Der Gesamtpersonalrat der Stadt beklagt die personelle Unterversorgung vieler Ämter. Im StZ-Interview kritisiert der Vorsitzende, dass die bisher beschlossenen neuen Stellen schwerpunktmäßig bei der Stadtreinigung eingesetzt werden.

Stuttgart - Dieser Haushalt muss ein Personalhaushalt sein“, prangte von einem Transparent, das städtische Beschäftigte am Tag der Aussprache zum Haushalt im Rathaus präsentierten. Der Personalratsvorsitzende Markus Freitag fordert, die Sorgen ernst zu nehmen.

Herr Freitag, die Rathausspitze schlägt so viele Stellen wie nie vor. Warum sind für den Personalrat diese 513 Stellen doch nur der Tropfen auf den heißen Stein?
Weil sie nicht zielgenau geschaffen werden. Wir haben eine massive Personalunterdeckung in den zentralen Verwaltungsbereichen. Die wurde bekannt, als man Bürgerbüros schließen musste und der Betrieb in der Ausländerbehörde zusammenbrach. Wegen des demografischen Wandels droht ein Aderlass an qualifiziertem Personal bei gleichzeitigem Fachkräftemangel. Dieser Lage werden die 513 Stellen nicht gerecht, weil sie nicht die Überlastung beseitigen, sondern meist für neue Aufgaben gedacht sind. Uns fehlen aber 125 Stellen für bestehende Aufgaben – genauso viel übrigens, wie nun für die Aktion „Sauberes Stuttgart“ geschaffen werden.
Sollte man Abfallkörbe nicht häufiger leeren und die Gehwege sauber halten?
Man muss nicht zwingend Stellen mit Stellen verrechnen, alle Positionen im Ergebnishaushalt sind deckungsfähig. Es gibt aus meiner Sicht eine klare Arbeitsteilung: Die Verwaltung sorgt für die Pflicht und die Politik für die Kür. Pflicht ist, für eine akzeptable Arbeitssituation zu sorgen. Insofern hätte ich mir erhofft, dass die Rathausspitze die 125 Stellen gegen die Arbeitsüberlastung zur Schaffung vorschlägt und sich die Fraktionen um das „Saubere Stuttgart“ kümmern.

„Das sind keine Forderungen, sondern Notwendigkeiten“

Es verwundert nun nicht, dass ein Personalrat Maximalforderungen erhebt . . .
Wir fordern das, was die Amtsleitungen beantragt haben, nicht mehr. Die wissen, wo es in ihren Ämtern klemmt. 170 Stellen ihrer Anträge werden aber nicht berücksichtigt. Das sind auch keine Forderungen, sondern Notwendigkeiten. Denn seit Langem werden Stellen nur für die Bereiche genehmigt, in denen binnen zwei Jahren mindestens 20 Prozent Arbeitsmehrung nachweisbar war.
Und wenn alle zwei Jahre nur 19 Prozent Mehrarbeit anfielen?
Rechnen Sie mit dem Zinseszins, dann wurde die Stelle trotz mehr als 70 Prozent Arbeitsmehrung binnen drei Doppelhaushalten nicht genehmigt. Wir kommen so auf mehr als 1000 zusätzliche Stellen.
Am weitesten gehen die Forderungen von SÖS/Linke-plus mit 170 Stellen.
Das freut uns sehr, aber auch die FDP hat die Situation erkannt und beantragt jene 125 Stellen, die ausdrücklich wegen Arbeitsvermehrung beantragt wurden. Auch die SPD hat signalisiert, dass sie den FDP-Antrag gut findet. Insofern sind wir kurz vor einer Mehrheit, müssen aber noch Aufklärungsarbeit leisten.
Was heißt das für die Zukunft, wenn Abteilungen ständig überlastet sind und 600 der 11 000 Beschäftigten pro Jahr ausscheiden oder wechseln?
Die Stadt könnte dann bestimmte Leistungen der Daseinsvorsorge nicht mehr erbringen. Die Lücken in den Dienststellen würden sich auch zufällig ergeben, eben dort, wo gerade jemand ausscheidet. Mal bleibt dieses Bürgerbüro geschlossen, mal dieses Bad. Das darf man nicht zulassen.
Was schlagen Sie vor?
Erste Notwendigkeit ist, die Überlastungssituation zu beheben, dass ich attraktive Arbeitsplätze anbieten kann. Damit muss ich punkten, denn beim Geld können wir nicht mit den Großbetrieben mithalten.
Wie wäre es, mit einem sicheren Arbeitsplatz zu werben, da sich viele mit befristeten Verträgen begnügen müssen?
Das hilft in unsicheren Zeiten, aber reicht jetzt nicht, da die wirtschaftliche Lage gut ist wie nie. Wir haben eine Dynamik in der Bezahlung, da kann der öffentliche Dienst nicht mithalten. Trotzdem sind über zehn Prozent befristete Arbeitsplätze bei der Stadt Gift für diese Lage. Anders ist es im Bereich der geringeren Einkommen und prekären Beschäftigungen. Ich sehe kein Problem, Bewerber fürs „Saubere Stuttgart“ zu finden. Probleme haben wir im qualifizierten Fachkräftebereich.

„Den Mangel an Erzieherinnen werden wir absehbar nicht beheben“

Es gibt zu wenig Personal, um Personal einzustellen. Wie muss man sich die Verpflichtung von 125 Stadtreinigern vorstellen: Reicht dafür eine Woche?
So stellt man sich das vielleicht vor. Wir müssen aber alle Arbeitsplätze ausschreiben. Wenn Sie 100 Stellen im Reinigungsbereich anbieten, müssen Sie von 1000 und mehr Bewerbungen ausgehen. Man muss schauen, wer zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird, anschließend bewerten, dann stimmt der Personalrat ab. Und erst danach wird eingestellt. Wenn der Abfallwirtschaftsbetrieb alle neuen Beschäftigten Mitte 2019 zum Reinigen auf der Straße hat, wäre das top.
Für die Personalgewinnung scheint es nicht richtig zu sein, die 100-Euro-Zulage – wie von der Verwaltung geplant – für Erzieherinnen abzuschaffen.
Da wir es nicht schafften, eine höhere Eingruppierung der Erzieherinnen zu erreichen, muss die Zulage erhalten bleiben. Den Erzieherinnenmangel werden wir absehbar nicht beheben, weshalb es kein Problem wäre, die Zulage für die nächsten zehn Jahre zu beschließen.
Wird in der Ausbildung genug getan?
Das ist eine wichtige Stellschraube. Wir müssen massiv in die Ausbildung investieren, aber nicht nur durch mehr Plätze, wir brauchen auch mehr Qualität. Wir benötigen mehr Ausbilder und bessere Räumlichkeiten. Heute ist aber die Ausbildungswerkstatt beim Daimler besser ausgestattet als unsere normale Werkstatt im Abfallwirtschaftsbetrieb.
Wie macht man den öffentlichen Dienst attraktiver?
Attraktiv werden Arbeitsplätze, wenn sie selbstbestimmtes Handeln ermöglichen und die Verantwortung hochgehalten wird. Es bedarf ordentlicher Räumlichkeiten und besserer familienorientierter Lösungen. Da könnte die neue Betriebskita in der Eichstraße ein Gewinn sein. Doch jetzt überlegt die Verwaltung, sie öffentlich zu machen. Ich bin da etwas fassungslos.

„Die Ausländerbehörde ist nur die Spitze des Eisbergs“

In der Öffentlichkeit hält sich der Eindruck, dass man es in den Amtsstuben ruhig angehen lässt, von der Ausländerbehörde einmal abgesehen.
Einspruch! Die Ausländerbehörde ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Zusammenbruch hat gezeigt, wie es in einer Behörde aussehen kann. Locker vor sich hin arbeiten hat sich durch den relativen Personalabbau schon lange erledigt.
Könnte man, statt Personal aufzubauen, nicht Leistungen abbauen?
Das wäre eine Alternative, aber nicht mein Vorschlag.
Aber das wird doch schon praktiziert, etwa indem man Bürgerbüros vorübergehend schließt und Gaststätten nicht kontrolliert.
Bei der Gewerbeüberwachung gibt es den Richtwert von 40 Mitarbeitern bei 400 000 Einwohnern. Wir haben bei 600 000 nur 20. Man schaut halt nicht mehr genau hin. Das mag manchem Gewerbetreibenden gefallen, zerstört aber das Vertrauen der Bürger in die Verwaltung.
Die Fraktionen sollen Vorschläge zur Gegenfinanzierung ihrer Wünsche liefern. Wie steht es mit Ihnen – 1000 neue Stellen würden den Haushalt mit 50 Millionen Euro im Jahr belasten.
Ich unterscheide zwischen Planung und Ergebnis. Die Schwäche wird stets in der Finanzplanung festgestellt, und im Ergebnis erleben wir regelmäßig gewaltige Überschüsse. Wenn wir anstatt 250 Millionen Euro nur 200 Millionen verdienen würden, bräche das der Stadt nicht das Genick. Die 50 Millionen sind die Größenordnung, die man ins Personal investieren muss.