Kann man Gott lästern? Michelangelos berühmtes Fresko in der Sixtinischen Kapelle, das die Erschaffung Adams darstellt. Foto: dpa/Musei Vaticani

Wegen blasphemischer Sprüche auf seinem Auto muss ein pensionierter Lehrer 500 Euro an eine karitative Einrichtung zahlen. Da stellt sich die Frage: Warum ist Gotteslästerung in Deutschland heute immer noch strafbar?

Stuttgart/Lüdinghausen - Albert V. lebt im beschaulichen Lüdinghausen, rund 40 Kilometer nördlich von Dortmund im südlichen Münsterland. Hier ist die katholische Welt noch in Ordnung. Der sonntägliche Kirchbesuch ist noch recht hoch, die Wasserburgen sind idyllisch und das westfälische Pumpernickel das beste weit und breit. Wäre da nicht dieser pensionierte Lehrer Albert V.

Ex-Lehrer Albert V. und sein „Spruchtaxi“

Der 67-Jährige betreibt ein eigenes Taxi-Unternehmen. Na ja, Unternehmen ist zu viel gesagt. Eigentlich befördert er keine zahlenden Kunden, sondern Sprüche. Seit August 2014 beklebt Albert V. nach Angaben des Humanistischen Pressedienstes die Heckscheibe seines silberfarbenen Kleinwagens mit wechselndem Sprüchen. 17 von ihnen hat er auf seiner Webseite www.spruchtaxi.de abgelichtet. Hier drei Kostproben:

„HERR, du brichst den Gegnern den Kiefer. Nun schlag ihnen auch die Zähne raus! Gebet nach Psalm 58 und Psalm 3.“

„Allergiker und Gläubige mit Sodbrennen. Testen Sie unsere vegetarischen Hostien. Kein Heiland drin.“

„Herr, unser Bello schleckt so gerne Blut von Ungläubigen. Nun erschlag wieder einen.“

Über ein Jahr war der Pensionär mit seinem „Spruchtaxi“ unterwegs, als ein Lüdinghausener Passant ein Heck-Spruch ins Auge fiel. „Wir pilgern mit Martin Luther. Auf nach Rom! Die Papstsau Franz umbringen. Reformation ist geil!“

Anleihen bei Luther

Mit diesem provozierenden Spruch wollte Albert V. auf den Reformator Martin Luther (1483–1546) anspielen, der in seinem berühmt-berüchtigten „Sendbrief an den Papst Leo den Zehnten“ von 1520 schrieb: „Warum greifen wir nicht viel mehr diese Magister des Verderbens, diese Kardinäle, diese Päpste und diese ganze Dreckansammlung des römischen Sodom, die die Kirche Gottes ohne Ende zerstört, mit allen Waffen an und waschen unsere Hände in ihrem Blut, so wie wir uns und die unsern von einem allgemeinen und für alle höchst gefährlichen Brand befreien?“

Als der erboste Lüdinghausener den Heck-Spruch las, erstattete Anzeige. Dasselbe tat auch die herbeigeeilte Polizeistreife, als sie die Heckscheibe des „Spruchtaxi“ genauer unter die Lupe nahm. Derweil hatte Albert V. dort schon einen neuen, nicht minder provokanten Spruch aufgeklebt. „Kirche sucht moderne Werbeideen. Ich helfe. Unser Lieblingskünstler: Jesus – 2000 Jahre rumhängen und immer noch kein Krampf.“

„Das ist eine Beschimpfung der christlichen Kirchen“

Am Donnerstag (24. Februar) um 8. 30 Uhr erschien der Angeklagte im Saal 118 des Amtsgerichts Lüdinghausen zur Hauptverhandlung (AZ: 9Ds 174/15). Richterin Ira Schwefer fand Albert V.’s Sprüche überhaupt nicht witzig („Das ist eine Beschimpfung der christlichen Kirchen“) und verwarnte den rüstigen Rentner. Wegen eines Vergehens gegen Paragraf 166 des Strafgesetzbuches (StGB), den sogenannten „Gotteslästerungs-Paragrafen“, muss er eine Geldstrafe von 500 Euro an eine karitative Einrichtung zahlen und erhielt zusätzlich noch eine Geldstrafe von 3000 Euro auf Bewährung.

Dass Albert V. den Urteilspruch anfechten und die nächste Instanz anrufen will, ist klar. So viel öffentliche Aufmerksamkeit ist fast schon ein „Gottesgeschenk“. „Gotteslästerung ist für mich ein Menschenrecht“, sagte der ehemalige Pädagoge nach der Verhandlung. „Das muss sein, damit man alles diskutieren kann. Also Gotteslästerung so verstanden, dass man in der Gesellschaft offen über alles reden kann.“

§ 166 StGB –„Gotteslästerungsparagraf“

 

Anklagen wegen Blasphemie sind in Deutschland selten

Anklagen wegen des „Gotteslästerungsparagrafen“ sind so selten, dass man lange recherchieren muss, um in den Archiven fündig zu werden. Einer der letzten Fälle spielte ebenfalls in Lüdinghausen. Im Februar 2006 wurde dort ein vorbestrafter Frührentner vom Amtsgericht zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Der damals 61-Jährige Mann hatte die Worte „Koran, der heilige Koran“ auf Toilettenpapier gestempelt und das Pamphlet an mehrere Fernsehsender, Moscheen und islamische Kulturvereine verschickt.

Im sogenannten Blasphemie-Paragrafen des Strafgesetzbuches heißt es: „Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Blasphemie nicht durch Meinungsfreiheit gedeckt

In der rund einstündigen Verhandlung berief sich Albert V. auf die Meinungs- und Kunstfreiheit. Das Gericht sah dagegen eine Störung des öffentlichen Friedens gegeben. Gläubige müssten auf die gesellschaftliche Toleranz vertrauen können und darauf, dass sie in ihrem Bekenntnis respektiert würden, sagt ein Gerichtssprecher.

Damit ist der Fall juristisch fürs erste erledigt. Vielleicht wird sich aber mancher jetzt fragen, ob ein Blasphemie-Paragraf heute noch vonnöten ist oder ob nicht „jeder nach seiner Fasson selig werden“ soll. Dieses geflügelte Wort geht auf den Preußenkönig Friedrich II. (1712-1786) zurück, der auf eine Anfrage, ob die römisch-katholischen Schulen wegen ihrer Unzuträglichkeit wieder abgeschafft werden sollten, dies an den Rand der Eingabe schrieb: „Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der andern abrug Tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson Selich werden.“

Kann man Gott lästern?

Einige Antworten auf Fragen rund um Paragraf 166 StGB

Kann man nach deutschem Recht Gott lästern?
Gott ist „de jure“ – dass heißt rechtlich betrachtet – kein Rechtssubjekt wie eine Einzelperson oder eine Gruppe. Der Staat hat deshalb nicht den Auftrag das Göttliche gegen Angriffe zu schützen. Genauso wenig kann er als völkerrechtliche Körperschaft verbindlich festlegen, ob Gott überhaupt existent ist oder nicht. Der Staat ist in weltanschaulichen und religiösen Fragen zu Neutralität verpflichtet.
Wer oder was wird geschützt?
Im Deutschen Reich wurde seit 1871 belangt, wer für ein Ärgernis sorgte, indem er öffentlich Gott lästerte oder eine Religionsgemeinschaft beschimpfte. 1969 wurde der betreffende Paragraf 166 StGB geändert. Seitdem ist im Strafgesetz nicht mehr von Gotteslästerung mehr die Rede, vielmehr geht es um die „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“. Mit einer Strafe rechnen muss demnach nur, dessen Beschimpfung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Wo endet die Rechtskompetenz des Staates?
Der säkulare Staat darf keine Religion oder Weltanschauung bevorzugen. Ebenso wenig hat er weder die Aufgabe noch die Berechtigung, Strafen nach Maßgabe subjektiver Glaubensinhalte und individueller Befindlichkeiten oder Empörung zu verhängen. Das strafrechtliche Schutzgut ist der öffentliche Friede, nicht eine bestimmte Religion oder Überzeugung.
Wie steht es um Meinungsfreiheit, auf die sich Albert V. beruft?
Das Recht auf Meinungsfreiheit (Artikel 5 des Grundgesetzes) ist ein durch die Verfassung geschütztes und gegen die Staatsgewalt gerichtetes Grund- und Menschenrecht, das nicht eingeschränkt werden darf. Außer es handelt sich um eine strafwürdige Meinungsäußerung.
Wo hört die Meinungsfreiheit auf und wo fängt die Strafwürdigkeit an?
Meinungsfreiheit endet dort, wo zu Hass und Gewalt gegen Einzelne oder eine Gruppe mit einer bestimmten nationalen, rassischen, religiösen oder ethnischen Herkunft aufgefordert wird. Nach Paragraf 130 StGB ist Volksverhetzung eine Straftat gegen die öffentliche Ordnung und umfasst auch den Schutz des religiösen Bekenntnisses. Beleidigung ist gemäß Paragraf 185 StGB ein Ehrdelikt. Beide Vergehen können mit einer Freiheitsstrafe bestraft werden. Strafrelevante Äußerungen werden in der Regel als Beleidigung oder Volksverhetzung und nicht als Blasphemie geahndet. Im Fall von Albert V. hat die Richterin allerdings anders entschieden und seine Sprüche gegenüber Jesus oder Papst Franziskus als „Gotteslästerung“ gewertet.
Braucht man den Blasphemieparagrafen überhaupt noch?
Juristisch nicht zwingend. Paragraf 166 StGB füllt keine Lücke im Strafrecht aus. Er hat mehr eine symbolische Funktion, indem er festlegt, dass auch die freie Meinungsäußerung Grenzen hat. Positiv betrachtet soll er die Toleranz gegenüber religiösen Bekenntnissen sichern und vor religiös motivierten Konflikten in einer demokratischen Gesellschaft schützen. In der Rechtspraxis spielt der Passus praktisch keine Rolle. Zuletzt wurde Ende Oktober 2014 ein Gerichtsverfahren gegen den Kabarettisten Dieter Nuhr wegen islamkritischer Äußerungen eingestellt.
Darf Satire wirklich alles, wie der Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890–1935) meinte?
Die Meinungs- und Pressefreiheit „finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze“, heißt es in Artikel 5 des Grundgesetzes. Ob eine Äußerung darunterfällt, muss im Einzelfall juristisch geklärt werden. Einen gesetzlichen Maulkorb im Sinne eines generellen Verbots gibt es aber nicht. Es muss abgewogen werden zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und der Meinungsfreiheit des Lästerers. Als die „Titanic“-Redaktion im August 2012 auf dem Titelblatt Papst Benedikt XVI. mit einer gelb-braun besudelten Soutane darstellte, berief sie zu ihrer Verteidigung auf die Freiheit der Meinung und Kunst. Der Papst zog seine Zivilklage gegen das Satireblatt im Übrigen wieder zurück.