Bei der Polizei angestellt, vom OLG München einbestellt: Pechstein Foto: dpa

Sie wehrte sich gegen eine Dopingsperre und stürzte womöglich den internationalen Sport in große Nöte. Kippt der Fall Claudia Pechstein die Sportgerichtsbarkeit?

München - Es ist an und für sich keine schlechte Idee, wenn der Sport alles dafür tut, seine Angelegenheiten selber zu regeln. Weil es dabei aber immer häufiger um ziemlich viel Geld geht, neigen Athleten gelegentlich dazu, sich mit allen Mitteln gegen mutmaßliche Ungerechtigkeiten zu wehren. Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein (42) tut dies seit nunmehr sechs Jahren. Jetzt feierte sie einen Sieg, den sie selbst als „größer“ bezeichnete „als alle meine olympischen Medaillen zusammen“.

Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, belegt aber die emotionale Wucht, mit der die Berlinerin die Auseinandersetzung mit einem Sportverband führt, der eigentlich dazu da ist, um sie zu unterstützen. Nun steht der Internationalen Eisschnelllauf-Union (Isu) ein Schadenersatzprozess bevor, der sie im schlimmsten Fall 4,4 Millionen Euro kosten könnte.

„Das ist der Wahnsinn“, jubelte Claudia Pechstein, nachdem das Münchner Oberlandesgericht ihre Klage zugelassen hatte. Und dieser Gefühlsausbruch war durchaus doppeldeutig zu verstehen. Weil die Athletin damit vor einem ordentlichen Gericht ein Urteil aushebelte, dass die Isu im Jahr 2009 gegen sie verhängt hatte. Wegen überhöhter Retikulozyten-Werte im Blut war eine der erfolgreichsten deutschen Wintersportlerinnen damals zu einer Sperre von zwei Jahren verdonnert worden. Und das ohne positiven Dopingtest. Pechstein bestritt vehement jegliche Leistungsmanipulation, verwies auf eine vom Vater geerbte Blut-Anomalie und zog mit Expertengutachten in der Tasche bis vor den Court of Arbitration for Sports (Cas) in Lausanne – doch die weltweit letzte Instanz für Sportler bestätigte das Isu-Urteil.

Jetzt hat der Weltverband ein Problem, das um einiges dicker ist als das Eis, auf dem seine Athleten laufen. Weshalb die Isu-Justiziare eilig ankündigten, in Revision zu gehen. Sollte aber auch der Bundesgerichtshof (BGH) die Klage zulassen, was wahrscheinlich ist, könnte es bitter werden für die Damen und Herren Funktionäre. Dann müssen die Wächter des sauberen Sports belegen, dass Pechstein gedopt hat. Dass ihnen gelingt, diesen Beweis zu führen, ist so realistisch wie ein Olympiasieg ohne Training.

Pechstein fordert viel Geld, was für die Isu schon schlimm genug ist. Weitreichender könnten aber die Folgen dieser Klage sein. Denn bei Lichte betrachtet stellen die Richter am Oberlandesgericht München mit ihrem Urteil nichts geringeres in Frage, als die Legitimation des internationalen Sportgerichtshofs in Lausanne. Sie nennen das Cas-Urteil gegen Pechstein einen „Verstoß gegen zwingendes Kartellrecht“. Was bedeutet: Der Alleinvertretungsanspruch der Lausanner Jury, die sich aus Sportverbänden nahestehenden Personen rekrutiert, hält vor ordentlichen Gerichten nicht stand. Das OLG zweifelte die Neutralität des Cas an.

„Das ist ein Sieg für alle Sportler“, sagte Pechstein erleichtert. Und verriet mit Tränen in den Augen, dass sie auf ihrem steinigen Weg durch die Instanzen kurzzeitig sogar an Selbsttötung gedacht habe. „Mir ist alles genommen worden, ich habe einen großen Imageschaden erlitten.“ Es sei ein großer Tag für sie, aber auch für alle Sportler, die eine Athletenvereinbarung unterschrieben haben, mit der sie sich der Sportgerichtsbarkeit unterwerfen. „Heute können alle jubeln.“ Pechstein Anwalt Thomas Summerer sprach von einem „Sieg, der Sportrechtsgeschichte schreibt. Der Cas muss grundlegend reformiert werden.“

Was der Heidelberger Sportrechtsexperte Michael Lehner bestätigte: „Endlich wird die Überbedeutung des Sportgerichtshofs Cas und die Verdrängung staatlichen Rechts ausgehebelt.“ Er riet der Internationalen Eisschnelllauf-Union zu einer Überarbeitung ihrer juristischen Regeln. „Wenn der Verband das Urteil liest und vernünftig ist, nimmt er die Revision zurück und macht sich an die Arbeit, die eigene Gerichtsbarkeit zu reformieren“, erklärte Lehner.