Seine Konzerte sind intensive Erlebnisse: Patrick Bebelaar in seinem Element Foto: Theaterhaus/Jörg Becker

Patrick Bebelaar zählt zu den profilierten Pianisten im Südwesten, er ist ein Grenzgänger zwischen Jazz und Klassik und lehrt an der Tübinger Hochschule für Kirchenmusik. Zuletzt hat er gleich drei sehr unterschiedliche Alben veröffentlicht, eines davon mit Sterne-Koch Vincent Klink.

Stuttgart – - Herr Bebelaar, „Stupor Mundi“ mit Vincent Klink hat den Preis der Deutschen Schallplattenkritik bekommen in der Kategorie „Grenzgänge“, „Three Seasons“ mit Günter „Baby“ Sommer und Michel Godard wurde in New York zum Album des Jahres 2014 gewählt – in welchen Grenzen bewegen Sie sich, welche überschreiten Sie?
Die Ansätze sind sehr unterschiedlich. Bei „Stupor Mundi“ ist die Musik – meist von mir – sehr klar komponiert und arrangiert und bewegt sich zwischen Jazz, Folklore, imaginären und deutlichen Anspielungen und Anleihen aus Renaissance und Musik, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht. „Three Seasons“ ist eine mehr oder weniger frei improvisierte CD. Auch unsere Live-Auftritte beschränken sich auf ein „so wenig wie möglich“ an musikalischen Vorgaben. Der Rest entsteht durch die drei Musikerpersönlichkeiten und den Moment.
Die aktuelle CD „Reflection In Your Eyes“ mit Pierre Favre, Günter Lenz und Frank Kroll ist ebenfalls für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert worden . . .
Ja, das ist ein Baby, auf das ich stolz bin. Alle meine Kompositionen und auch die eine, welche Frank Kroll beigesteuert hat, entfalten sich unter einem großen Spannungsbogen. Beim Jazzstandard „Autumn Leaves“, den wir als letztes Stück spielen, spürt man das bekannte Thema, und doch schwebt die Musik frei und leicht darüber.
Sie sind Dozent an der Tübinger Hochschule für Kirchenmusik. Wie interpretieren Sie Ihre Rolle als Lehrer?
Es geht mir immer darum, neue Perspektiven im Leben der Studenten und Schüler zu schaffen. Um sich selbst in der eigenen Musik zu spiegeln, bedarf es Offenheit, immerwährender Neugierde und Ehrgeiz. Alle drei hoffe ich zu entwickeln. Da in Tübingen die Studenten von der Klassik und der Alten Musik kommen, geht es darum, einen Zugang zu Jazz und Popularmusik zu finden, zu erfahren, dass durch das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen im Jazz etwas ganz Neues entsteht.
Sie geben immer wieder auch Workshops in südafrikanischen Townships . .
Da bringen die Musikprojekte Struktur in das Leben der jungen Leute, die Musik wird mit der damit bereitgestellten Unterbringung und Verköstigung zu einer Existenzgrundlage. Dort entsteht das Neue durch gemeinsames Musizieren. Wenn manche der jungen Musiker dann so zielstrebig werden, dass sie an einer Musikhochschule studieren können, ist das natürlich eine große Freude.
Spiegelt Ihre Musik Probleme der Wirklichkeit oder verstehen Sie sie als utopischen Zufluchtsort vor der Realität?
Meine Musik spiegelt immer nur meine Wirklichkeit, meine verletzte, aber auch meine glückliche Seele! Ich mache keine Musik für andere, sondern suche nach einer authentischen Aussage zu mir und meinem Leben; das ist ein wenig exhibitionistisch, aber sicher auch mutig. Wenn diese Aussagen offen und ehrlich getroffen werden, gibt es jedoch für viele Menschen Momente, in denen sie sich wiederfinden können, in denen sich auch ihr Seelen- und Gefühlsleben widerspiegelt. Musik ist wie ein lautes Lachen, wie ein Losweinen; sie kann eine Therapie für Musiker und Hörer sein.
Wie verläuft das Wechselspiel von Geben und Nehmen mit Ihren Kollegen? Sind Sie der Boss?
Meine Musik huldigt der Utopie der Anarchie. Jeder kann die Führung übernehmen, und jeder kann diese auch wieder abgeben, damit ein anderer sie übernimmt. Dass dabei nichtsdestotrotz Geordnetes entstehen kann, verdanken wir der Selbstdisziplin, die ein freies System jedem Einzelnen abverlangt. Klingt kompliziert, ist aber einfach! Wir lassen uns von einer gemeinsamen musikalischen Idee treiben.
Woher beziehen Sie Ihre eigene Inspiration?
Keine Ahnung! Ich kann nicht sagen, warum man plötzlich eine Idee hat und warum man ein anderes Mal verzweifelt danach sucht. Wichtig ist nur, dass ich mir angewöhnt habe, nur dann zu schreiben, wenn ich auch etwas zu sagen habe. Frei nach dem berühmten Satz, dass Kunst nicht von können kommt, sondern von müssen.
Im Begriff „Passion“ begegnen sich Leid und Leidenschaft. Das Klavierspiel von Patrick Bebelaar erleben viele Menschen als Passionsmusik. Zu Recht?
Meine CD mit diesem Titel aus dem Jahr 2000 hatte sehr viel mit Leiden zu tun, aber auch damit, dass man in unserer Kultur Leiden oft verherrlicht. Ich bin froh, dass diese Zeiten vorbei sind. Leidenschaftlich ist meine Musik geblieben.
Die klassische Musik – insbesondere die von Johann Sebastian Bach – scheint Sie mehr zu prägen als viele andere Jazzmusiker. Wie sehen Sie das selbst?
Nein, das kann ich so nicht sagen! Romantische Musik prägt mich, und Bach hat sehr viel von dem, was die Romantiker nach der Klassik wieder entdeckt und mit den Mitteln ihrer Zeit zum Klingen gebracht haben. Aber ich fühle mich den Volksmusiken der ganzen Welt und auch der Alten Musik verbunden.
Verraten Sie uns, wie Sie komponieren!
Ich weiß, für wen ich komponieren will und wie dieser Kollege improvisiert. Da es mir ja um dessen Persönlichkeit geht, versuche ich, dieser gerecht zu werden. Viel Freiheit für all jene, die die Noten nicht so mögen, und Virtuoses für all jene, die das bevorzugen. Komponieren und Improvisieren orientiert sich im Jazz immer am Prinzip der Kommunikation.
Ist Kommunikation für Ihre Auffassung von Jazz entscheidend?
Jazz bedeutet für mich vor allem Kommunikation: mit mir selbst, den Mitmusikern und mit dem Publikum. Immer wieder höre ich von Besuchern nach dem Konzert: Bei Ihrer Musik ist ein Film vor meinem inneren Auge abgelaufen. Da mag jeder seine eigene Rezeptionsweise, seinen eigenen Film haben, doch die emotionale Tiefe der Musik ist unsere Verbindung.