Patricia Kopatchinskaja Foto: SWR

Patricia Kopatchinskaja und das London Philharmonic Orchestra haben Schumanns Violinkonzert aufgeführt.

Stuttgart - Hätten musikalische Werke die Möglichkeit, ihren Missbrauch öffentlich zu machen: Es gäbe kaum eines, das nicht Anklage erheben müsste gegen Interpreten, Bearbeiter, ja manchmal auch gegen ein hustendes Publikum, in dessen Handtaschen Handys piepsen. Ganz oben auf der #Metoo-Missbrauchsliste stünde allerdings Robert Schumanns Violinkonzert, das schon die Zeitgenossen des Komponisten weder mochten noch verstanden. Der Geiger Joseph Joachim, der es als Solist aus der Taufe heben sollte, attestierte der Musik eine „gewisse Ermattung“, und mit dem gleichsam auf der Stelle tretenden Polonaisen-Finale kam nicht einmal Clara Schumann zurecht. Für die Uraufführung des Stücks, die erst 84 Jahre nach dessen Fertigstellung 1937 stattfand (obendrein nur deshalb, weil die Reichskulturkammer einen „arischen“ Ersatz für das Violinkonzert Mendelssohns brauchte), ließ der Geiger Georg Kulenkampff den sehr tief liegenden Solopart von Paul Hindemith höher legen und virtuos aufmotzen – wer sich den Mitschnitt dieser Aufführung anhört, der erst seit kurzem auf CD veröffentlicht wurde, begegnet einem entstellten Missbrauchsopfer: verhetzt, verhunzt.

Patricia Kopatchinskaja hat Schumanns Violinkonzert 2016 auf CD eingespielt, und am Dienstagabend hat sie ihre Interpretation gemeinsam mit dem London Philharmonic Orchestra bei den SKS-„Meisterkonzerten“ im Beethovensaal vorgestellt – mit einem Ergebnis, das genau so ausfiel, wie es bei dieser immer zwischen musikalischer Vertiefung und Selbstdarstellung irrlichternden Barfuß-Künstlerin wohl ausfallen muss. Schon vor ihrem ersten Einsatz zuckt die Geigerin und bewegt sie die Lippen im Rhythmus der Musik, sodass man denkt, sie würde gleich entweder zu tanzen oder zu singen beginnen. Dann springt sie hinein in ihre Partie wie eine Wildkatze, nimmt hohe Zieltöne extrem trocken, fast ohne Vibrato, dehnt das klangfarbliche Spektrum weit aus, riskiert (zumal im zweiten Satz) leise Töne, die fast schon ins Unhörbare hinein gleiten, spielt andernorts extrem ruppig. Weil der individuelle Ausdruck Kopatchinskajas erstes Anliegen bleibt, fällt auch mal der eine oder andere Ton unter den Tisch, und insgesamt wirkt das Stück noch disparater, als es ohnehin schon ist. Das muss man nicht gut finden, aber spannend ist’s allemal. Und das Orchester geht mit.

Schumanns sehr massig wirkende Orchestrierung macht der Dirigent nicht lichter

Ganz auf seine Kosten kommt der Dirigent Alain Altinoglu dabei natürlich nicht – obwohl er sein Profil doch auch sehr gerne ins Scheinwerferlicht rückt. Kopatchinskaja, die gemeinsam mit einem Schlagzeuger des Orchesters noch ein teils witziges, teils sentimentales Capriccio Salvatore Sciarrinos zugibt, ist neben ihm einfach zu stark, und Altinoglu gelingt es auch nicht, das in Schumanns Instrumentierung sehr massig wirkende Orchestergeschehen zu etwas mehr Licht und Feingliedrigkeit zu führen. Ravels Suite „Le Tombeau de Couperin“ als Einspielstück zu Beginn klingt raffiniert und differenziert, aber die „Eroica“ nach der Pause kommt (in großer Besetzung) über den Eindruck des ordentlich Gespielten nicht hinaus – viel Widerständiges in Beethovens Sinfonie bleibt derart unentdeckt und ungenutzt, dass sich mancher die Exzentrikerin an der Geige zurückgewünscht haben mag. Zu viel bunte Farbe ist allemal besser als tristes Alltagsgrau.