Die abgeschalteten Paternoster im Rathaus sollen bald wieder laufen Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die drei Paternoster im Stuttgarter Rathaus werden wohl noch vor der Sommerpause wieder in Betrieb gehen und von der Öffentlichkeit auch wieder genutzt werden können. Die Bundesregierung gibt dafür plötzlich Vollgas.

Stuttgart - Seit dem 1. Juni dürfen in Deutschland Paternoster nur noch von „eingewiesenen Beschäftigen“ benutzt werden. Die Arbeitsschutz-Verordnung aus Berlin hat zu einer Zwangsstilllegung aller öffentlich zugänglichen Umlaufaufzüge geführt. Jetzt soll die Vorschrift schnell revidiert werden.

Von Politikern wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wurde die neue Vorschrift als Überregulierung gebrandmarkt. Gesundheitsschutz sei ein hohes Gut, dennoch käme „kein vernünftiger Mensch“ auf die Idee, zum Beispiel Küchenmesser zur verbieten, so Kretschmann.

Der Tadel des Grünen-Ministerpräsidenten war noch die mildeste Rüge, die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) für die Verordnung aus ihrem Haus ertragen musste. Hohn und Spott ergossen sich über die Genossin. Im Internet kursieren kommentierte Bilder, die Nahles beim Verlassen des Paternosters der Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See in Bochum am 30. Oktober 2014 zeigten. Nahles sei schon am 27. Oktober eingestiegen, habe das Höllengerät nicht stoppen können und drei Tage den Bau durchkreist, ätzten die Kritiker im Netz. Auch jene, die wie FDP-Chef Christian Lindner medial nur noch selten überm Wahrnehmungshorizont liegen, hieben auf Nahles ein. Deren Regulierungswut „macht nicht einmal vor historischen Aufzügen halt“, trat der Liberale kräftig nach.

Paternoster-Posse schaffte es sogar in die Regierungs-Pressekonferenz

Zum Schrecken des Bundeskanzleramts schaffte es die Paternoster-Posse sogar in die Regierungs-Pressekonferenz. Dort wird im Namen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eher staatstragend über den Weltfrieden und die Klimarettung informiert. Aber nicht über Aufzüge, die mit 0,25 Metern pro Sekunde im Kreis fahren.

In Berlin kam ein Räderwerk mit deutlich höherem Tempo in Gang. Die Fachleute präsentierten bereits nach fünf Tagen eine Regelung, nach der „die zuständige Behörde auf Antrag des Arbeitgebers eine Ausnahme“ zulassen sollte. Damit wären aber die Gewerbeaufsichtsämter und dort jene Mitarbeiter in die Haftung gekommen, die die Ausnahme gestempelt hätten. Der Vorschlag, heißt es, sei bei den Ländern nicht konsensfähig gewesen.

Vor zwei Tagen glühten dann die Telefondrähte der zuständigen Landesministerien und Leitungen in Nahles Amtssitz. „Wir haben zusammen mit Hessen auf Arbeitsebene einen Vorschlag gemacht, der die Verantwortung wieder auf die Betreiber zurückführt“, sagt Frank Lorho, Sprecher im Ministerium von Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne). „Der Bund hat schnell darauf reagiert“, so Lorho, ein paar Länder wollten allerdings nicht mit ins Boot.

Formal, so Lorho, werde für den wieder öffentlichen Betrieb der Aufzüge keine Ausnahmegenehmigung nötig. „Der Arbeitgeber darf die Umlaufaufzüge auch von anderen Personen als Beschäftigten verwenden lassen, wenn er Gefährdungen dieser Personen durch notwendige geeignete Schutzmaßnahmen vermeidet“, formuliert der Sprecher druckreif den Verordnungstext.

Geeignete Maßnahmen könnten Hinweisschilder zur Nutzung und ein Verweis auf Alternativen, zum Beispiel einen behindertengerechten Aufzug, sein. „Wir streiten nicht ab, dass Gefahren bestehen, wenn man den Paternoster nicht vorschriftsmäßig nutzt“, so Lorho. „Der Vorschlag soll am 24. Juni in das Bundeskabinett und am 10. Juli in den Bundesrat. Die Änderung könnte damit noch vor der Sommerpause gültig werden“, hofft Lorho, dass das Tempo gehalten wird.

Das Bundeskanzleramt wollte den Termin 24. Juni am Freitag nicht bestätigen. „Die Tagesordnung steht noch nicht fest“, sagte eine Sprecherin. Angesichts des üblichen Prozederes ist das auch nicht möglich. Die Tagesordnungen für das Kabinett werden erst am Vorabend der Sitzungen beim Treffen der Staatssekretäre festgezurrt.

Im Stuttgarter Rathaus, wo Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle (Grüne), die Bürger quasi zum öffentlichen Ungehorsam aufrief (er regte per Aushang Mails nach Berlin an) zeigt man sich zufrieden: „Ich bin erfreut“, so Wölfle. Sobald man wieder fahren dürfe, „laden wird zur festlichen Wiedereröffnung ein“. Bis Mitte Juli soll auch der Paternoster im Foyer, der vor der Berliner Zwangsstilllegung hakte, repariert sein.