Zaliatou an der Nähmaschine: Sie kann für sich selbst und auch für ihre Familie Kleider fertigen - mehr Eindrücke aus Burkina Faso in unserer Bildergalerie Foto: StN

14 Jahre lang hat Familie Hägele aus Frankfurt ihr Patenkind in Afrika finanziell unterstützt. Heute ist Zaliatou erwachsen, verheiratet und hat einen Beruf. Wie sie lebt und wie es ihr ergangen ist, hat Almut Siefert bei ihrem Besuch in Burkina Faso erfahren.

Ouagadougou - Rund 3800 Euro haben die Eheleute schon überwiesen. Seit 14 Jahren unterstützen sie ihr Patenkind finanziell. Am Anfang waren es 50 D-Mark im Monat, die vergangenen Jahre zahlten sie monatlich 29 Euro. Gesehen haben sie das Mädchen nie – alles, was sie von Zaliatou haben, sind Fotos und Bilder, die ihr Schützling gemalt hat. Aber es gab auch Zweifel: Woher weiß man als Spender, ob das Geld überhaupt bei dem Kind und seiner Familie ankommt?

Allein in Deutschland gibt es neben vier größeren noch eine unüberschaubare Zahl von weiteren Organisationen, die Spendenpatenschaften anbieten. „Ich habe mir Zeit genommen und mich erst einmal informiert“, sagt Sibylle Hägele. Sie hat sich beim Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) über Spendensiegel informiert, sich von den Organisationen die Jahresberichte schicken lassen. „Uns war wichtig zu wissen, wie das Geld verwendet wird“, sagt sie. Die Familie entschied sich für das Kinderhilfswerk CCF, heute Childfund, mit Sitz in Nürtingen.

Zaliatou ist 20 Jahre alt. In einem eleganten lila Kleid steht die junge Frau vor den Hütten ihrer Familie. „Ich wohne mit meiner Schwiegermutter in diesem Haus“, sagt sie und deutet auf eine kleine Lehmhütte, etwa vier Quadratmeter groß, mit Stroh bedeckt. „Morgens mache ich immer das Frühstück für alle, das ist hier meine Aufgabe.“ Kinder hat sie noch keine. Seit einem Jahr ist Zaliatou verheiratet – die Familie ihres Mannes ist nun die ihre. Ganz normal für eine junge Frau in Burkina Faso.

Die Haare hat sie mit einem Tuch kunstvoll zu einem schiefen Turm zusammengebunden. Die langen Ohrringe fallen ihr bis auf die Schultern, um ihren Hals liegt eine zarte Goldkette. Und ein grünes Maßband. Das wickelt sie nervös um ihren Finger. Sie setzt sich auf den Stuhl unter dem Baum, legt die Hände in den Schoß. Es sind große Hände, die verraten, dass sie – wie die Kinder am Straßenrand – in ihrem Leben schon viel gearbeitet hat. Auf dem Feld, in der Küche und als Schneiderin.

Einmal im Jahr liegt er im Briefkasten von Familie Hägele: der Bericht über Zaliatou. Sie mache sich gut, steht da. Guter Gesundheit erfreue sie sich, sie gehe regelmäßig zur Schule. Zaliatou habe auch ein eigenes kleines Feld und baue dort Erdnüsse an. Seit September 1998 gehört Zaliatou aus Burkina Faso irgendwie zur Familie. „Wir wollten ein Mädchen unterstützen, das es nicht so gut getroffen hat wie unsere zwei“, sagt Sibylle Hägele über die Entscheidung, ein Patenkind in einem Entwicklungsland zu unterstützen. Die eigenen Kinder waren da schon 14 und 19 Jahre alt, sind in Deutschland aufgewachsen, zur Schule gegangen. Selbstverständlich. „In anderen Ländern ist das aber nicht so selbstverständlich“, sagt Sibylle Hägele. In Burkina Faso liegt die Analphabetenrate bei 90 bis 95 Prozent.

Von Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, sind es zu dem kleinen Dorf, in dem Zaliatou lebt, rund 230 Kilometer nach Osten. Dort führen festgetretene Wege durch die Felder und Häuser. Es ist Markt, dann sind immer viele Menschen auf den Beinen. Frauen in bunten Gewändern tragen auf ihrem Kopf die Waren nach Hause. Vorbei an den Feldern, auf denen Männer und Frauen arbeiten, und an den kleinen Kindern, die souverän die Ziegen einfangen, die gerade aus ihrer Herde ausbüxen wollten.

DU610, so lautet die bürokratische Bezeichnung des Ortes. Ein anderer Name: Gni min yinta, zu Deutsch: Glückliches Kind. 1998 hat Childfund hier seine Arbeit aufgenommen. „Am Anfang hatten wir 650 Kinder, die einen Spendenpaten hatten“, sagt Olioba Tomdia, der Childfund-Manager von DU610. Heute sind es noch 91.

Die Organisation zieht sich gerade wieder zurück aus der Region. Wie geplant: Es ist vorgesehen, eine Region für etwa 15 Jahre zu unterstützen, dann die Errungenschaften in die Hand der Dorfbewohner zu geben. Von Anfang an werden diese daher in alle Projekte eingebunden. Für Childfund war die Zeit erfolgreich, sagt Tomdia. Die Zahlen sprächen für sich: 1998 gab es in der Region vier Grundschulen. Heute sind es zwölf.

Die Grundschule, in die auch Zaliatou gegangen ist, wurde 1999 erweitert. „Um die drei zusätzlichen Klassenzimmer zu bauen, haben wir in zwei Monaten 25 995 Ziegel hergestellt“, sagt Amado Kobre. Der 60-Jährige ist der Älteste der Eltern, die in einem gewählten Beirat die Schule leiten. Woher er das so genau weiß? Jeden Tag haben sie aufgeschrieben, wie viele Steine sie geschafft haben. Wie die anderen aus dem Ort hat er geholfen, die dringend benötigten neuen Räume zu bauen. Die Schule, die 1982 von der Regierung gebaut wurde, hatte nur drei Klassenzimmer für sechs Klassen. Wie die Ziegel hergestellt werden, wurde Kobre und den anderen Männern von Childfund gezeigt.

„Wir helfen beim Bau der Gebäude, für die Organisation sind aber die Dorfbewohner zuständig“, sagt Tomdia. Sie wählen aus ihren Reihen ein Komitee, dass alles organisiert, bei Problemen Lösungen findet. Einmal im Monat gibt es ein Treffen des Komitees mit den Childfund-Mitarbeitern vor Ort. „Dadurch ist nun auch der Transfer einfacher, wenn wir uns als Organisation aus der Region zurückziehen“, sagt Tomdia.

Dass ein Kind in die Schule geht, ist Voraussetzung dafür, dass es in das Spendenprogramm aufgenommen wird. Die Eltern müssen dafür ihr Einverständnis erklären. Das ist nicht immer einfach: Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder zu Hause bleiben und bei der Arbeit helfen, im Haushalt oder auf dem Feld. Vor allem die Mädchen werden gebraucht, um auf die kleineren Kinder aufzupassen, während die Mütter auf dem Feld arbeiten.

„Als wir klein waren, war es normal, den Eltern zu Hause zu helfen“, sagt Amado Kobre. „Aber heute ist es für uns wichtiger, dass unsere Kinder in die Schule gehen.“ Für deren Zukunft sei das wichtig, aber auch für das ganze Dorf. „Früher konnte höchstens einer in jedem Ort lesen und schreiben. Heute ist in jeder Familie jemand, der das kann – und einem zum Beispiel hilft, den Beipackzettel von einem Medikament zu lesen.“

Zaliatou ist mit etwa 70 anderen Kindern in eine Klasse gegangen. Sie wohnte nah an der Schule. Viele ihrer Klassenkameraden mussten täglich mehrere Kilometer zu Fuß zurücklegen. „Die Kinder gehen aber gerne zur Schule, wir müssen sie nicht zwingen“, sagen die Eltern.

Zaliatou mochte die Schule allerdings nicht so. Am liebsten habe sie aber Mathe gelernt. Textaufgaben. „Ich mag es, nach Lösungen zu suchen, wenn es ein Problem gibt“, sagt sie. Dreimal hat sie das Examen am Ende der Grundschule nicht geschafft, „es war zu schwer“, sagt sie. Doch sie konnte trotzdem eine Ausbildung als Näherin machen. Im Ausbildungszentrum, das wie ihre Schule von Childfund gebaut wurde, sitzt sie an der Nähmaschine. Die Handgriffe sind für sie Routine. Sie näht zwei Stoffteile zusammen, versäubert die Enden der Naht und reißt mit den kräftigen Händen die zwei dicken Fäden gleichzeitig ab.

„Ich bin gerne Näherin“, sagt Zaliatou. „Ich kann meine eigenen Kleider herstellen, und auch die für meine Familie.“ Und es sei für sie eine Möglichkeit, einmal eigenes Geld zu verdienen. „Wenn ich dann meinen eigenen Laden habe, in dem ich meine Kleider verkaufen kann.“ Sare Fanta ist 32 Jahre alt. Sie hat geschafft, wovon Zaliatou träumt. 2008 hat sie ihr eigenes Geschäft eröffnet, heute hat sie vier Auszubildende, die bei ihr das Schneidern lernen.

Am Anfang sei es schwer gewesen, doch heute gehe das Geschäft gut. Vor allem zu Festen, an Weihnachten oder zu Ramadan, habe sie viele Aufträge. Ihr Rat an Zaliatou? „Sie muss mutig sein. Und geduldig. Sie muss durchhalten, auch wenn es nicht gleich so läuft, wie sie es sich wünscht.“

Der letzte Brief von Childfund kam vor zwei Jahren bei Familie Hägele an: „Mit ihren mittlerweile 18 Jahren ist Zaliatou endlich alt genug, um auf eigenen Beinen zustehen und ein selbstständiges Leben zu beginnen. Sie hat die Ausbildung als Schneiderin erfolgreich abgeschlossen und ist nun auf der Suche nach einer festen Arbeit.“ Damit sei die Patenschaft beendet. Es werden keine weiteren Berichte über Zaliatou mehr im Briefkasten liegen.

In der ganzen Zeit, 14 Jahre waren es, war Zaliatou Teil der Familie. Auch wenn die ihrem Schützling in Afrika nur zwei Mal geschrieben hat. Ganz am Anfang. Dann überwogen die Zweifel, es kam auch keine Rückmeldung. „Wir wussten einfach nicht, was wir schreiben sollten“, sagt Sibylle Hägele. Die zwei Welten seien einfach zu unterschiedlich gewesen.

Die Frauen im Ort begrüßen den Gast aus Deutschland, wie sie traditionell die Männer begrüßen: Sie hocken sich hin, geben die Hand und schauen dabei zu Boden. Zaliatou auch. Dann nimmt sie sie in den Arm, begrüßt sie mit Küsschen auf beide Wangen.

„Ich hätte gerne mehr Kontakt zu meinen Pateneltern gehabt“, sagt Zaliatou. Mehr Briefe hätte sie sich gewünscht. Den Berichten, die die Familie jedes Jahr bekommen hat, lagen auch immer Bilder bei, die Zaliatou gemalt hat. Sie hingen sie an der Pinnwand in der Küche. Als Zaliatou sie wiedersieht, auch das Foto, dass die Familie von der damals Fünfjährigen erhalten hat, lacht sie. Und nimmt ihre Patenschwester noch einmal in den Arm.