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Deutsche TV-Zuschauer kennen seinen Überlebenskampf in einem Armenviertel von Rio. Der Musiker Bernie Weber, in Feuerbach aufgewachsen, hatte lange kein Geld für einen Flug in die Heimat. Ein Unternehmer aus Aalen ließ ihn nun zu seiner Geburtstagparty einfliegen.

Stuttgart - Deutsche TV-Zuschauer kennen seinen Überlebenskampf in einem Armenviertel von Rio. Der Musiker Bernie Weber, in Feuerbach aufgewachsen, hatte lange kein Geld für einen Flug in die Heimat. Ein Unternehmer aus Aalen ließ ihn nun zu seiner Geburtstagparty einfliegen.

Dieses saftige und kräftige Grün! Bernhard Weber, 44, war sechs Jahre nicht mehr in seiner deutschen Heimat gewesen. Jetzt blickte der Rapper und Touristenführer, der sich als MC Gringo aus den Favelas von Rio einen Namen gemacht hat, auf der Zugfahrt zwischen Stuttgart und Aalen aus dem Fenster und konnte sich kaum sattsehen. „Es war irre“, hat mir Bernie später berichtet, „so ein herzhaftes Grün gibt es in der Trockenheit von Brasilien nicht.“ Dies habe er früher nicht wahrgenommen. Wer seiner Heimat lange fern bleibt, entdeckt sie neu.

In seinen Nächten ist die Schönheit Stuttgarts allgegenwärtig. Der Mann aus Feuerbach, der vor zwölf Jahren der Liebe wegen ausgewandert und mit seinem bewegten Leben zu einem schrägen Star des deutschen Privatfernsehens geworden ist, träumt oft davon, wie er zum Bärensee joggt: „Auf dieser Strecke ist mir jeder Baum vertraut.“ Doch lange konnte er nicht mehr in seine Geburtsstadt zurück. Als Favela-Bewohner hat man andere Sorgen. Bernie muss seine brasilianische Frau und seine beiden Kindern ernähren. Ein Flugticket ist nicht drin. Bei einer seiner Favela-Führungen war ein Tourist aus Aalen, ein Immobilienhändler, ganz begeistert von dem schwäbischen Landsmann. Zu seinem 40. Geburtstag ließ der Unternehmer den Rio-Rapper einfliegen, damit dieser bei seiner Party für ihn singen konnte.

Weber nutzte seine erste Reise in die Heimat seit 2008 für ein Wiedersehen mit alten Freunden (in Berlin besuchte er Jean-Christoph Ritter, besser bekannt als DJ Schowi, der ebenfalls 40 wurde), für Auftritte in Clubs und zum Ausleben seiner blauen Fußball-Leidenschaft (am vergangenen Samstag fuhr er zum Unentschieden l der Stuttgarter Kickers gegen Dortmund II ). Dass sein Herz für beide Stuttgarter Clubs schlägt, dank seiner Freundschaft mit Kevin Kuranyi zuerst für den VfB, will er besser verschweigen: „Ich weiß, des kommt hier gar net gut, wenn man boide mag.“

Als er in Dortmund Kickers-Fansprecher Olli Dornisch traf, war er „sehr gerührt“, wie er berichtet: „Er hat ja meine Favela-Tour gemacht im Juni.“ Dornisch lud MC Gringo dazu ein, an diesem Samstag beim „Heimspiel“ der Blauen in Reutlingen zu spielen. Der 44-Jährige wird seinen WM-Song „Deutscher Fußball ist geil“ um die Refrainzeile „Kickers sind geil“ erweitern.

In Dortmund trug er die rot-schwarze Jacke des Rio-Clubs Flamengo, in dessen Stadion Maracanã die Deutschen Weltmeister geworden sind. In Brasilien besucht Bernie öfter Spiele, sagt er, doch nie würden sie ihm so unter die Haut gehen wie bei den Kickers: „Unglaublich, wie die Fans 90 Minuten durchsingen.“ Er hat bei den Blauen brasilianische Lebensfreude entdeckt. Fußball als Liebe, der man alles gibt.

Wir kennen uns lange. 1999 war Bernie Hospitant der Stuttgarter Nachrichten. „Gibt’s bei euch in der Redaktion die Trennwände noch?“, fragt er. Über eine Trennwand sei mal ein Schal geflogen, als er sich als VfB-Fan zu erkennen gab. Kollege Joe Bauer, seit dem Urknall des Universums ein Blauer, hatte ihm den Kickers-Schal zugeworfen – zum Beweis dafür, dass die Welt nicht nur weiß-rot ist. Daran erinnert sich MC Gringo gern. Joe ist also schuld daran, dass unser Freund aus Rio am Samstag in Reutlingen für die Kickers rappt.

Am Tag darauf wird er zurück nach Rio fliegen. In seiner Favela, hat er gehört, haben Drogenbanditen Teile des Viertels von der Polizei zurückerobert. Das beunruhigt ihn sehr. Wäre es nicht besser, mit der Familie nach Stuttgart zu ziehen? Doch seine Frau und Kinder können kein Deutsch. Was sollte er hier auch tun? Seit der Fußball-WM, sagt er, sind Anfragen für Auftritte und seine Favela-Führungen gestiegen. 35 Euro zahlt ein Tourist, wenn er sich von ihm drei Stunden lang das Armenviertel zeigen lässt (buchbar unter www.rent-a-guide.de). Es geht hinauf zur Bergspitze – mit einer Wahnsinnssicht auf die Elf-Millionen-Stadt. „Bernies Tour war das Highlight unserer vierwöchigen Brasilienreise“, berichtet Sebastian Dittrich aus Pliezhausen, von dem wir das Foto aus Rio bekommen haben. Einige, erzählt Bernie, haben da oben aus Dankbarkeit geweint.

Vox will mit MC Gringo eine neue Staffel für „Goodbye Deutschland“ drehen. Dann wird seine neue Single auf Portugiesisch erscheinen. Der Traum, es in Brasilien als Musiker ganz nach oben zu schaffen, ist nicht ausgeträumt. Träume sind es, die einen Menschen antreiben. Im Schlaf kehrt Bernie regelmäßig zum Bärensee zurück. Zurück will er deshalb nicht. Gestillte Sehnsucht vergeht. Die Freiheit, die er in Rio mit seinem Tanz durchs Leben spürt, will er sich nicht nehmen lassen. In der Favela hat er gelernt, einem Reichtum zu folgen, der nichts mit Geld zu tun hat.