Die beiden Musiker Steffen Wick (links) und Simon Detel mixen die Kunstformen Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Bundesregierung hat Steffen Wick und Simon Detel für ihre interdisziplinären Projekte die Auszeichnung „Kreativpiloten Deutschlands“ verliehen. Ihre Musik verbinden sie oft mit anderen Kunstformen. Bei ihrer aktuellen Show „Particles“ im Friedrichsbau Varieté ist es Akrobatik.

Herr Detel und Herr Wick, auf Ihrem aktuellen Album „Blue“ haben Sie in einem Ihrer Stücke eine elektrische Zahnbürste als Instrument benutzt. Wie sind Sie denn darauf gekommen?
Detel: Während eines Theaterprojekts saßen wir morgens zusammen und hörten unser Musikstück an. Ich putzte mir gerade die Zähne, und dabei ist mir aufgefallen, dass meine Zahnbürste auf den Ton C gestimmt ist und genau zum Klang der Musik passte.
Welche anderen Haushaltsgeräte sind denn sonst noch verkappte Musikinstrumente?
Wick: Tischtennisbälle machen tolle Effekte. Ich habe welche auf den Saiten meines Flügels, und die verändern den Klang komplett. Das klingt wie ein permanentes Rasseln.
Detel: Mir hat mal jemand erzählt, dass sein Rasierer auch einen bestimmten Ton hat. Zu diesem singt er jetzt jeden Tag bei der morgendlichen Rasur.
Bei Ihrer Musik verbinden Sie klassische Musik mit elektronischen Einflüssen. Wie genau kann man sich das vorstellen?
Detel: Die Grundidee unserer Musik ist es, den klassischen Sound des Klaviers weiterzuentwickeln und zu entfremden. Meist hat Steffen eine kompositorische Idee, die alle akustischen Elemente wie Klavier und Streicher beinhaltet. Dazu überlege ich mir dann die elektronischen Beats und die Synthesizer-Klänge.
Wick: Wir versuchen mit unserer Arbeit auch Leute zu erreichen, die eigentlich mit klassischer Musik nicht so viel am Hut haben.
Damit meinen Sie vor allem das jüngere Publikum, oder?
Wick: Wir versuchen einen Brückenschlag zwischen Klassik und Moderne. Zur Particles-Show hier im Friedrichsbau Varieté kommen viele junge Leute, die sonst vielleicht keinen Zugang zu dieser Art von Musik haben.
Detel: Eigentlich ist Klassik auch der falsche Begriff für die Musik, die wir machen. Klassik ist die Musik, die von Bach oder Beethoven komponiert wurde. Viele verwenden den Begriff Klassik stellvertretend für instrumentale Musik.
Bei Ihrer Arbeit fällt sehr oft das Wort „Partikel“. Was genau sind denn diese Partikel?
Detel: Mit Partikeln meinen wir zum einen die ganzen musikalischen Einflüsse, die wir bei unseren Projekten vereinen. Aber auch die künstlerischen Aspekte wie die Videoinstallationen und die Papierkonstruktion auf der Bühne sind Partikel.
Wick: Auch die interdisziplinäre Arbeit mit anderen Organisationen sind Partikel. Wir haben viel mit Tanz gemacht oder jetzt aktuell mit Artistik.
Wenn Sie nicht Musiker geworden wären, welche Laufbahn hätten Sie stattdessen eingeschlagen?
Wick: Wahrscheinlich wäre ich Filmemacher geworden. Ich bin großer Cineast und liebe das Abtauchen in andere Welten.
Detel: Ich habe mal Philosophie studiert. Vermutlich wäre ich dann in diese Richtung gegangen und wäre Lebenskünstler geworden (lacht).
Da Sie, Herr Wick, aber doch Vollblutmusiker geworden sind: Müssen Sie viel üben?
Wick: Zum Glück ist mir das Klavierspielen nicht einfach zugeflogen, und ich musste und muss viel üben. Wenn man übt, denkt man über die Musik nach und entwickelt weitere Ideen. Es ist auch ein bisschen wie bei Sportlern – man muss sich immer wieder aufwärmen und kritische Stellen üben.
Dreht sich im Privaten bei Ihnen auch alles um Musik, oder mögen Sie es da lieber still?
Wick: Ich bin wirklich so stark mit dem Komponieren beschäftigt, dass ich nur noch beim Sport Musik höre. Sonst brauche ich echt mal Ruhe, um meine eigenen Kompositionen im Kopf weiterarbeiten zu lassen.
Detel: Da ich eher der konzeptionelle Kopf bin und unsere Projekte plane und organisiere, habe ich nicht so intensiven Kontakt mit der Musik wie Steffen. Trotzdem ist es bei mir ähnlich.
Für Ihre Arbeit wurden Sie 2013 von der Bundesregierung als „Kreativpiloten Deutschlands“ ausgezeichnet. Was bekommt man denn als Kreativpilot?
Detel: Finanziell leider gar nichts (lacht). Die Idee dahinter ist, dass junge Kulturschaffende mit außergewöhnlichen Geschäftsmodellen gefördert werden sollen. So haben wir zum Beispiel Coachings von Fachleuten aus der Wirtschaft bekommen. Der betriebswirtschaftliche Aspekt ist schließlich auch in der Kunst sehr wichtig.
Herr Wick, Sie übernehmen manchmal auch Auftragskompositionen – zum Beispiel für traditionelle koreanische Instrumente. Stört es Ihre Kreativität, wenn Sie eine Aufgabe vorgeschrieben bekommen?
Wick: Der Auftrag mit den koreanischen Instrumenten war zum Glück sehr frei gehalten. Für einen zeitgenössischen Komponisten ist eine solche Arbeit ganz angenehm, weil zwar ein Rahmen vorgeschrieben ist, dieser aber frei interpretiert werden kann. Bei Werbe- oder Filmmusik ist das anders. Da wird einem häufig vorgeschrieben, wie die Musik am Schluss zu klingen hat.
Für Ihre Shows treten Sie oft in ungewöhnlichen Räumlichkeiten auf. Was war der ausgefallenste Ort, an dem Sie ein Konzert gegeben haben?
Wick: Letztes Jahr hatten wir das große Vergnügen, bei der Eröffnung der Earls-Court- Messehalle in London dabei zu sein. Wir haben die Show zusammen mit den Kaiser Chiefs und Emeli Sandé eröffnet, und das Konzert wurde weltweit übertragen. Mein Stück „Aero“ wurde dabei von einem 60-köpfigen Orchester interpretiert. Das war beeindruckend.
Mit Ihrem Projekt „Piano Particles“ geben Sie Konzerte auf der ganzen Welt. Was vermissen Sie auf Tour am meisten, und was schätzen Sie daran, nach Stuttgart zurückzukommen?
Detel: Ich bin in Stuttgart geboren und wollte eigentlich immer mal weg. Daher sind unsere vielen Projekte ein guter Ausgleich. Manchmal packt mich aber trotzdem das Heimweh. Als ich in Schanghai wegen eines Jetlags nicht schlafen konnte, habe ich nachts ein VfB-Stuttgart-Spiel im Internet geschaut.
Wick: In Stuttgart kann man alles zu Fuß erreichen. Das schätze ich sehr. Es ist so gemütlich, und man kommt schnell zu seinen Lieblingsplätzen.
 

Die aktuelle Show „Particles – musikalisch, artistisch, tänzerisch“ ist noch bis zum Samstag, 4. April, im Friedrichsbau Varieté zu sehen. Tickets sind ab 27 Euro unter der Telefonnummer 07 11  / 2 25 70 70 oder im Internet unter www.friedrichsbau.de erhältlich.