Überschwängliches Lob für Kretschmann: Jesiden-Führer Sahap Dag Foto: dpa

Auf dem Parteitag in Hamburg lehnte ein großer Teil der Basis ein generelles Verbot von Waffenlieferungen in Krisenregionen ab. Dies wurde in Parteikreisen als Abkehr vom radikalen Pazifismus früherer Jahre gewertet.

Hamburg - Na, das geht ja munter durcheinander bei den Grünen. Eben noch war die Chefin der Grünen Jugend, Theresa Kalmer, vehement mit Winfried Kretschmann ins Gericht gegangen. Sie hatte dem baden-württembergischen Ministerpräsidentin vorgeworfen, dass der „rote Linien“ überschritten habe und für Parteiaustritte verantwortlich sei, weil er mit der Bundesregierung diesen ur-realpolitischen Asylkompromiss geschmiedet habe.

Und Tags drauf, am Sonntag, befindet sich die Nachwuchskraft selbst plötzlich mitten im Realo-Lager. Das war bei der Debatte zur Außenpolitik. Da unterstützte sie ebenso rasant die Position von Parteichef Cem Özdemir. Der hatte sich dafür stark gemacht, Waffen zu den von den IS-Truppen bedrängten Kurden zu schicken. Was Kalmer dazu zu sagen hatte, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Dass nämlich der Terror der islamistischen Milizen „nicht nur mit humanitären Mitteln, sondern auch militärisch bekämpft werden muss.“ Also, sie ist für Waffen, statt für die Yoga-Matte. Das ist schon erstaunlich.

Das schnodderige Wort von der Yoga-Matte, mit der man nicht den Terror bekämpfen könne, stammt von Özdemir. Es wird ihm beim Parteitag noch einmal von Claudia Roth verbal um die Ohren gehauen. Die ehemalige Parteichefin, die bei Fragen von militärischen Interventionen immer besonders rigide ablehnend war, fordert Özdemir auf, „humanitäre Hilfe“, die sie als Instrument bevorzugt, nicht als „Yoga-Matte“ abzutun. Sie rockt dabei noch einmal den Saal. Aber selbst Roth ist nicht rigoros. Sie sagt nicht strikt „Nein“ zu Waffenlieferungen für die Kurden, sie fragt nach einer Gesamtstrategie. Das klingt danach, als würde sie sich einem militärischen Eingreifen mit UN-Mandat nicht verweigern.

Ja, man muss genau hinhören. Wenn man es tut, merkt man, dass bei den Grünen in der Frage von militärischen Interventionen einiges in Bewegung ist. Es gibt sie noch, die Grünen, die nah bei den traditionellen pazifistischen Wurzeln der Partei sind. Etwa Charlotte Lorentz. Die Delegierte aus Berlin sagt: „Waffen machen Kriege noch blutiger, Waffen bringen keinen Frieden.“ Doch die Anhängerschar der reinen Lehre bröckelt.

Das mag auch mit den Schilderungen des Elends und des Terrors zusammen, den die betroffenen Menschen in den Krisengebieten im Nordirak und Syrien erleiden müssen. Zu den Grünen sprach Sahap Dag. Der Generalsekretär vom Zentralrat der Jesiden in Deutschland berichtete von den unvorstellbaren Grausamkeiten, die etwa ein achtjähriges Mädchen erleiden muss, dessen Vater in ihrem Beisein ermordet wurde.

Das Mädchen muss jetzt laut Dag in einem IS-Lager mehrfach am Tag ihren Peinigern sexuell gefügig sein. „Und die Welt schaut tatenlos zu“, so Dag.

In einem bewegenden Moment richtete der Jesiden-Führer seinen Dank an die Adresse des baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Kretschmann hatte dafür gesorgt, dass über das Kontingent, das der Südwesten ohnehin an Flüchtlingen aufnehmen muss, noch 1000 Flüchtlinge zusätzlich kommen können. Darunter sind besonders viele Frauen und Kinder, die in den Krisengebieten vergewaltigt werden. Dag: „Mit dem Erlass hat Baden-Württemberg ein Zeichen gesetzt, dafür sind wir Kretschmann unendlich dankbar.“

Wie die Grünen so sind. Sie streiten engagiert um die Formulierung im außenpolitischen Antrag. Da geht es etwa um Fragen wie diese: Soll die Partei mit deutlichen Worten die Bundesregierung kritisieren, die Waffen in das Krisengebiet schicken will? Oder soll der Antrag Respekt deutlich machen für die Bundestagsabgeordneten wie etwa Parteichef Özdemir, der zu einer anderen Überzeugung gelangt ist und Waffenlieferungen unterstützen würde?

Ganz zum Schluss wird es noch einmal spannend. Die Basis will gegen den Wunsch des Bundesvorstandes ausdrücklich festhalten, dass die Grünen Waffenlieferungen in Krisengebiete für falsch halten. Es muss eigens schriftlich abgestimmt werden. Mit ganz wenigen Stimmen setzt sich der Vorschlag des Bundesvorstandes durch.

Was bleibt also von diesem Parteitag? Die Grünen ringen mit sich, vor allem bei der Außenpolitik, bei Fragen von Krieg und Frieden lösen sich bislang starre Fronten auf. Insgesamt befinden sich die Grünen in einer Phase der reformpolitischen Umorientierung. Da die Partei im Bund in der Opposition ist, und sich daran vermutlich auch so schnell nichts ändern wird, kann sie sich diese Diskussionen auch leisten.