Nicht nur Parkautomaten, sondern auch Stromzapfstationen behindern nach Ansicht der Fraktion SÖS-Linke-Plus hier und da die Fußgänger. Foto: dpa

Die Stadt behindert mit neuen Parkautomaten Fußgänger und bricht damit ihre eigenen Vorschriften. Auch die Stromzapfsäulen zählen zu den Hindernissen auf Gehwegen.

S-Mitte - Würden die Pilze wie die Parkscheinautomaten aus dem Boden schießen, hätten Sammler reiche Ernte. Die Stadt hat ihr sogenanntes Parkraummanagement zum 1. Oktober ausgeweitet, in der Endstufe soll in der gesamten Innenstadt kein Parkplatz mehr kostenlos sein. Zwar schießen Pilze ebenso wenig aus dem Boden wie Parkscheinautomaten, aber bei letzteren konnte es in den vergangenen Monaten so scheinen. Gut 1000 zusätzliche lässt die Stadt aufstellen, auf dass Autofahrer die Gebühr fürs Abstellen ihrer Gefährte entrichten.

Im Bezirksbeirat Mitte waren die neuen Regeln fürs Parken nie wohlgelitten, weil Bewohner im Stadtzentrum eine Jahresgebühr von 400 Euro fürs Laternenparken zahlen müssen. Lokalpolitiker aller Couleur halten die Summe für überhöht. Nun ärgert sich die rathausintern Plus-Fraktion genannte Gemeinschaft aus SÖS, Linken und Splittergruppen zusätzlich über die Parksäulen selbst. Sie stehen Fußgängern im Weg. So beklagte es der Bezirksbeirat Ralph Schelle in einem Antrag, den die Gemeinderatsfraktion wortgleich übernahm, noch bevor er im Beirat beschlossen war.

Auch die Stromzapfsäulen zählen zu den Hindernissen

Der Antrag ist mit Fotos von Engpässen bebildert. Die zeigen, wie beispielsweise an der Wera- oder der Moserstraße Parksäulen den Gehweg beschneiden – und nicht nur sie. Ausgerechnet die Stromzapfstationen für Elektromobile zählt die Plus-Fraktion ebenfalls zu den Hindernissen für die umweltfreundlichste Art der Fortbewegung. In der Tat belegt manches der Bilder, dass zwischen parkenden Autos und blechernen Säulen nur ein schmaler Streifen bleibt. Wenn gleich welche Automaten für Autos aufgestellt werden, sollten sie auch den Raum für Autos beschneiden, meint Schelle, nicht den für Fußgänger. Mithin mögen sie auf der Straße installiert werden.

Das Tiefbauamt arbeitet an der Antwort auf Schelles Antrag. Zusammengefasst lautet sie: Die Einwände sind unberechtigt. „Punktuell gibt es Engstellen“, sagt David Hueber, der die Antwort verfasst, „aber es ist nirgends zu eng“. Bei der Wahl der Standorte sei darauf geachtet worden, dass die Lücken nicht unter 1,20 Meter schrumpfen, mit einer Ausnahme an der Weinsteige sei dies gelungen. Um Säulen auf der Straße vor Parkremplern zu schützen, „müssten wir Gehwegnasen bauen“, sagt Hueber, „das ist eine Kostenfrage“. Rund 10 000 Euro pro Stück kostet jede der Ausbuchtungen. Davon abgesehen, „kostet das Parkplätze, das wird in der Innenstadt auch immer kritisch gesehen“, meint Hueber. Auch wenn der oberste Dienstherr über die Parkregeln, der Ordnungsbürgermeister Martin Schairer, Kritikern stets erwidert, im Stadtzentrum gebe es nicht zu wenige, sondern zu viele Parkplätze.

Die Stadt verstößt gegen ihre eigenen Regeln

Um die geht es Schelle ohnehin nicht, sondern um den Grundsatz. „Die reguläre Breite für Gehwege ist 2,40 Meter“, sagt er. Die Stadt selbst geht gar von einer Mindestbreite von 2,50 Meter aus. So ist es im Stuttgarter Verkehrsentwicklungskonzept zu lesen, samt der Anmerkung, dass Schaltkästen, Masten oder Bänke die Breite nicht verringern sollen. Zwar sind Ausnahmen erlaubt, aber eine Stadt, die mit wissenschaftlicher Begleitung und öffentlichem Getöse das Konzept „Besser zu Fuß unterwegs in Stuttgart“ entworfen hat, möge nicht selbst diese Ausnahmen schaffen, meint Schelle: „Klar kostet das Geld, aber man müsste sich halt mal zusammensetzen und einen Kompromiss finden.“ Stattdessen entscheide das Tiefbauamt hoheitlich.

Die Freude am Zufußgehen scheint im Rathaus etwas in Vergessenheit geraten. 2013 hatte die Stadt die Engländerin Brownen Thornton von der Organisation Walk 21 eingeladen, auf dass sie bei Rundgängen mit Bürgern Hindernisse für Fußgänger enttarnt. Hernach hirnten 75 Teilnehmer über Verbesserungen. Meinungsforscher befragten 600 Haushalte – für 18 088 Euro. Die Aktion kostete knapp 100 000 Euro. Die Uni Stuttgart verfasste einen Schlussbericht. Für einen „Fußgänger-Check“ ward eine Jury zusammengestellt, die weitere Hindernisse auflisten soll. Inzwischen „habe ich den Eindruck, dass niemand mehr darüber nachdenkt“, sagt Schelle. Zumindest nicht mehr öffentlich, darauf deutet jedenfalls abschließende Frage im Antrag hin: Wer ist eigentlich Mitglied in der Jury Fußgänger-Check?