Mit seinem Rücktritt setzt der Papst Maßstäbe – doch was bleibt noch?, fragt Chefredakteur Christoph Reisinger.  

Es war schon immer so, und so wird’s auch bleiben. Kritiker werfen der Katholischen Kirche häufig vor, sie verfahre genau nach diesem Muster. Papst Benedikt XVI. hat sie widerlegt. Sein Rücktritt, kirchenrechtlich heikel, historisch mit der schwer vergleichbaren Amtsniederlegung Coelestins V. allein auf weiter Flur, setzt neue Maßstäbe. Es sind die richtigen.

Als noch erstaunlich leistungsfähiger 85-Jähriger schaut dieser Papst voraus und handelt. Es ist der Moment seines Pontifikats, an dem sich Joseph Ratzinger am weitesten auf der Höhe seiner Zeit zeigt. Denn die Kirche braucht heute ein Oberhaupt, das enorme Anforderungen meistert. Schließlich bilden die Katholiken einen weltumspannenden Multikulti-Laden im besten Sinne. Entsprechend groß und vielfältig sind allerdings die Herausforderungen, Wünsche, Ansprüche der Gläubigen wie auch der Amtsträger, denen der Papst gerecht werden soll. Dem trägt Benedikt Rechnung. Er stellt seine Person und die Tradition hintan.

Das hat Größe. Das wird Geschichte machen. Das verweist zudem auf die Anfänge des Papsttums. Gemäß der biblischen Überlieferung hat Jesus Christus seine Kirche ja keinem weltentrückten Frömmler anvertraut, auch keinem hinfälligen Greis, sondern dem Fischer Petrus. Einem Mann voller Tatkraft, einem Praktiker, einem Draufgänger, der am Ende sogar ein extrem brutales Martyrium in Kauf nahm für seine Überzeugung, seinen Glauben, seinen Gott.

"Zu Benedikts überlegener Intelligenz gesellte sich leider nicht der Mut zum großen Wurf"

Die Darlegung seiner Überzeugung und seiner Sicht auf Gott – das ist es vor allem, was den rund 1,2 Milliarden Katholiken über das spektakuläre Amtsende hinaus von Benedikt XVI. bleiben wird. Sein Lehrschreiben über die Liebe ist dafür ein leuchtendes Beispiel. Mit seinen weltweit beachteten Büchern über Jesus ist der Papst als Großintellektueller in Erscheinung getreten. Auch deshalb, weil er sich mit seinen Ansichten ausdrücklich nicht hinter der Autorität seines Amtes verschanzt, sondern der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gestellt hat.

Was den Deutschen und speziell den deutschen Katholiken von ihrem Landsmann bleiben wird, glänzt allerdings erheblich weniger. Denn zu Benedikts überlegener Intelligenz gesellte sich leider nicht der Mut zum großen Wurf. Zwei Folgen: Manches, was der Papst geleistet hat, wurde übersehen oder verkannt. Und keines der Probleme, die den Katholiken in Europa besonders stark zu schaffen machen, kam einer Lösung näher.

So ging in Deutschland ziemlich unter, wie stark Benedikts Werben um die fundamentalistischen Piusbrüder von seinem Streben nach Einheit getrieben war. Wie hätte es aber auch anders sein sollen? Zu anderen christlichen Glaubensgemeinschaften und Kirchen blieb derselbe Papst starr auf Distanz. Obwohl die Frage des Miteinanders für deutsche Christen seit 500 Jahren eine Schicksalsfrage ist.

Der Priestermangel, die Rolle der Frau in der Kirche, der Umgang mit Geschiedenen, die vielen starken Versuche, alles Religiöse an den Rand der Gesellschaft zu drängen – das sind für deutsche Katholiken herausragend wichtige Themen. Hier entsprangen die Antworten des Papstes aber meist dem Geist: Es war schon immer so, und so wird’s auch bleiben.