Papst Franziskus lässt zwei Tauben frei, die ihm in einem Käfig von einem Pilger während der wöchentlichen Generalaudienz auf dem Peters-Platz überreicht wurden. Foto: dpa

Ein Jahr Franziskus: Ein päpstliches Helden-Epos. Wer ist der Mann, der seit einem Jahr an der Spitze der Katholischen Kirche steht? Ein bahnbrechender Reformer? Ein verkappter Traditionalist? Oder etwas von beidem? Eine Annäherung.

Ein Jahr Franziskus: Ein päpstliches Helden-Epos. Wer ist der Mann, der seit einem Jahr an der Spitze der Katholischen Kirche steht? Ein bahnbrechender Reformer? Ein verkappter Traditionalist? Oder etwas von beidem? Eine Annäherung.

Rom - Es gibt nicht wenige Katholiken – und auch Nicht-Katholiken –, die im Papst eine Art Superheld sehen. Ein unbekannter Graffiti-Künstler hat Franziskus bereits an einer römischen Hauswand als „Superman“ verewigt. Vatikan-Mitarbeiter entdeckten das witzige Kunstwerk in der Nähe des Kirchenstaates und verbreiteten es per Twitter um den ganzen Globus.

Auf der anonymen Hauswand ist Jorge Mario Bergoglio als „Super-Mario“ in der Pose der legendären Comicfigur zu sehen, wie er mit wehender weißer Soutane, ausgestreckter Faust und im Wind baumelnden Brustkreuz durch die Lüfte düst. In seiner Linken trägt er eine Tasche mit der Aufschrift „ Valores“ (Werte). Inzwischen ist in Italien sogar ein nur ihm gewidmetes Papst-Magazin „Il mio Papa“ erschienen.

Von seiner Wortherkunft ist ein „Held“, (griechisch „Heros“, lateinisch „Vir fortis“, althochdeutsch „Helido“) laut dem „Grossen vollständigen Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste“ von 1732 (nach seinem Verleger auch Zedlersches Lexikon genannt) „einer, der von Natur mit einer ansehnlichen Gestalt und ausnehmender Leibesstärke begabet, durch tapfere Thaten Ruhm erlanget, und sich über den gemeinen Stand derer Menschen erhoben.“

Der Papst weist Attribute eines Superhelden auf

Ein „Superheld“ zeichnet sich folglich durch noch größeren Mut und edleren Charakter aus. Oft zeigt er sich in der Öffentlichkeit verkleidet und legt sich ein Pseudonym zu. „Superman“ ist quasi die Apotheose des Helden – die Überhöhung zu einer schier übermenschlichen Gestalt, die aufopferungsvoll für das Wohl der gesamten Menschheit und für den Erhalt der ganzen Schöpfung kämpft.

Die geschilderten Attribute könnten durchaus auf den volksnahen und beliebten Pontifex Franziskus passen. Doch dieser ist wenig erbaut von dererlei übertriebener Heroisierung. Er wolle kein „Superman“ sein und wende sich gegen die öffentliche Idealisierung seiner Person. Ihm missfalle „eine gewisse Papst-Franziskus-Mythologie“, sagte das Kirchenoberhaupt kürzlich der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“. Ihn als „Superman oder Star“ darzustellen, empfinde er geradezu als beleidigend. Vielmehr sei der Papst ein „Mann, der lacht, weint, ruhig schläft und wie alle Menschen Freunde hat – ein normaler Mensch“, betonte der 77-Jährige. „Wenn man zum Beispiel sagt, er geht nachts aus dem Vatikan, um den Obdachlosen Essen zu bringen. Das ist mir nie in den Sinn gekommen.“

Vor einem Jahr – am 13. März 2013 – wählten ihn die im Konklave versammelten Kardinäle zum 265. Nachfolgers des Apostels Petrus. Auch wenn der „Superman“-Vergleich Franziskus noch so sehr missfallen mag, ist er doch Ausdruck großer Hoffnungen und einer tiefen Sehnsucht vieler Gläubige, die sich eine neue Heldengestalt herbeiwünschen. Schon seine argentinischen Landsleute verehrten „Super-Mario“ Bergoglio als „Anwalt der Armen“. Franziskus ist volksnah, bodenständig, bescheiden und von fröhlichem Naturell. Dass er in die Fußstapfen eines der größten Heiligen und Helden des Christentums – Franz von Assisi – getreten ist, trägt sicherlich auch zum positiven Image als zeitgemäßer Papst bei.

Zeit für Reformen?

Franziskus weckt Hoffnungen auf Reformen – gerade in der brandaktuellen Debatte um wiederverheiratete Geschiedene. In diesem Zusammenhang lobte Franziskus jüngst eine Rede von Kardinal Walter Kasper zu Ehe und Familie vor dem Kardinalskollegium. Der frühere Bischof von Rottenburg-Stuttgart hatte dafür plädiert, eine Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion in Einzelfällen zu erwägen.

Dass es darüber eine kontroverse Debatte unter den Kardinälen gegeben hat, mache ihm keine Sorgen, erklärte der Papst. Offene und brüderliche Auseinandersetzungen brächten Theologie und Seelsorge weiter. Beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Verhütung geht es Franziskus zufolge nicht um eine Änderung der kirchlichen Lehre. Vielmehr müsse die Seelsorge an die konkreten Lebenssituationen der Menschen angepasst werden.

Kasper empfiehlt der Kirche einen Weg der Vergebung mit einer Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten. Das könnte nach einer Periode der Buße der Fall sein, „denn es ist doch unvorstellbar, dass ein Mensch in ein schwarzes Loch fallen kann, aus dem Gott ihn dann nicht mehr herausziehen kann“, sagte er der römischen Tageszeitung „La Repubblica“.

Franziskus haus lieber schlicht

Eine solch menschenfreundliche Regelung wäre ganz im Sinne von Franziskus. Er predigt Barmherzigkeit und sorgt sich um Flüchtlinge und Ausgegrenzte. Sein Engagement für ein Ende des Blutvergießens in Syrien ist groß, die Abneigung gegen Prunk und das päpstliche Protokoll demonstrativ. In die vornehmen Gemächer des Apostolischen Palastes will er partout nicht einziehen. Der große Kommunikator bevorzugt seit seiner Wahl den schlichten Charme das vatikanischen Gästehauses.

Seine herzlichen und ungezwungenen Auftritte auf dem Petersplatz und bei Reisen haben ihm zwar den Vorwurf eines leichtfertigen Populismus eingetragen. Doch das neue Bild einer optimistischen Kirche hat er bereits geschaffen. Vielleicht macht er es wie Johannes Paul II., der die Herzen eroberte und sein konservatives Denken und gestrenges Kirchenregiment vom Präfekten der Glaubenskongregation verkünden ließ. Das war damals der Deutsche Joseph Ratzinger. Heute zieht dessen Landsmann Gerhard Ludwig Müller im Hintergrund die Fäden. Der Papst soll die theologische Expertisen des früheren Dogmatikprofessors überaus schätzen, wird gemunkelt.

Nur die Meinung seines gleichermaßen gebildeten wie vergeistigten Vorgängers scheint ihm noch wichtiger zu sein. Benedikt XVI. habe er schon einige Male um Rat gefragt, verrät Franziskus. „Der emeritierte Papst ist keine Statue im Museum. Er ist eine Institution. Seine Weisheit ist ein Geschenk Gottes“, sagt er über Ratzinger. „Er ist diskret, demütig, will nicht stören.“ Nach Benedikt werde es vermutlich weitere emeritierte Päpste geben. Gemeinsam mit ihm habe er entschieden, dass Benedikt weiter am Leben der Kirche teilhaben sollte.

Die Weiblichkeit der Kirche

In der Bilanz seiner einjährigen Amtszeit verteidigt Franziskus auch den Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Priester. „Die katholische Kirche ist vielleicht die einzige öffentliche Institution, die transparent und verantwortungsvoll vorgegangen ist, niemand hat mehr getan, dennoch wird einzig die Kirche angegriffen.“ Zugleich spricht sich das Kirchenoberhaupt für eine stärkere Präsenz von Frauen in kirchlichen Leitungsämtern aus. Die Kirche sei originär weiblich, argumentiert er. „Die Jungfrau Maria ist wichtiger als jeder Bischof oder Apostel“.

Doch wer nun meint, Franziskus sei ein Reformator vom Schlage Martin Luthers, der irrt. Denn in der Kirchenlehre macht sich auch unter Franziskus kaum Bewegung bemerkbar. „Der Papst ändert den Tonfall, nicht die Lehraussagen“, meint der US-Kardinal Sean O’Malley aus Boston. Der Erzbischof sieht für eine Lockerung der Regeln auch keine „theologische Rechtfertigung“. O’Malley gehört wie der Münchner Kardinal Reinhard Marx dem mächtigen achtköpfigen Kardinalsgremium an, das den Papst in Sachen Kurienreform berät.

Zumindest ist der persönliche Stil des Papstes erfrischend anders und die Verkündigung ungewohnt offen. So fordert Franziskus die Priester auf, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen, zu den Armen und Benachteiligten. Er macht es ihnen vor, lädt Obdachlose zu seinem Geburtstag ein, fährt für die Fastenexerzitien mit seinen Mitarbeitern im Bus in die Albaner Berge südöstlich von Rom anstatt wie sonst üblich im Vatikan zu beten und zu fasten.

Kluft zwischen Kirche und Katholiken

Auch was die Gläubigen denken, will dieser modern wirkende Papst wissen: Er hat eine weltweite Umfrage auf den Weg gebracht. Sie scheint vor allem deutlich zu zeigen, wie riesig die Kluft zwischen dem Dogma der Kirche und dem Alltag der Katholiken ist. Doch um den garstig breiten Graben zwischen Leben und Lehre zu überwinden, müsste Franziskus echte Reformen angehen und kirchliche Bastionen schleifen.

Was der mitunter etwas hemdsärmelige wirkende Mann auf dem Stuhl Petri tatsächlich will, darüber rätseln manche Vatikan-Kenner in Rom genauso wie Bischöfe rund um den Globus. Wie „Super-Mario“ die Kirche retten will, das weiß wohl nur er allein.