Lydie Gakiza (Mitte) und vier Vertreter der „Akademiker für den Frieden“ Foto: Frank Eppler

Eine Radiojournalistin, die ihr Heimatland Burundi fluchtartig hat verlassen müssen, und eine Gruppe türkischer Akademiker sind von der Johann-Philipp-Palm-Stiftung für ihren Einsatz für die Meinungs- und Pressefreiheit ausgezeichnet worden.

Schorndorf - Fast 250 Jahre nach der Ermordung des Buchhändlers Johann Philipp Palm durch die französische Besatzungsmacht steht das Recht auf freie Meinungsäußerung vor größeren Herausforderungen als man heute annehmen sollte. Diese These hat der Deutschland-Korrespondent des Feuilletons der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Hubert Spiegel, am Sonntag in Schorndorf aufgestellt. Spiegel hat den Festvortrag bei der Verleihung des Johann-Philipp-Palm-Preises für Meinungs- und Pressefreiheit in der Barbara-Künkelin-Halle gehalten. Der Titel: „Wut statt Wahrheit? Die Meinungs- und Pressefreiheit in sogenannter post-faktischer Zeit.“

Lüge als legitimes Mittel

Anlass zur Sorge seien nicht nur die Vorgänge in der Türkei und in Burundi, den Heimatländern der jetzt von dem Kuratorium der Palm-Stiftung Ausgezeichneten, wo Journalisten mit Verfolgung und Repressalien zu rechnen hätten. Auch in mutmaßlich demokratischen Ländern sei das Recht auf freie Meinungsäußerung in die Krise geraten. „Die Lüge ist ein legitimes Mittel geworden, weil es dem Publikum vielfach egal ist, dass es belogen wird“, sagte Spiegel. Als Beispiel führte er den US-amerikanischen Wahlkampf an, in dem viele Menschen Gefallen an Botschaften gefunden hätten, obwohl sie deren Unwahrheit durchschaut hätten. Zudem drohten Algorithmen die Mehrheitsmeinung zu unterminieren. Auch das sei im US-Wahlkampf deutlich geworden, in dem sich beide Bewerber künstlich erzeugter Zustimmung bei Kurznachrichtendiensten bedient hätten. Umso mehr müssten Journalisten ihre Rolle als verlässliche Einordner von Informationen wahrnehmen.

„Wir stehen an eurer Seite“

Inès Lydie Gakiza hat eine solche in ihrem Heimatland Burundi gespielt. Ihr Radiosender RPA sei dort eine verlässliche Quelle gewesen, bis die Staatsführung ihn abgestellt habe, betonte Bruno Brommer. Der frühere Botschafter würdigte Gakiza in seiner Laudatio auf die Radiojournalistin, die nun von Deutschland aus via Internet weiter über ihr Land berichtet. Der Palm-Preis sei nicht nur Anerkennung ihres Mutes, sondern auch eine Verbeugung vor den Bürgern des Landes und das Signal: „Wir stehen an eurer Seite.“

Solidarität im Kampf für Demokratie

„Wir wollen nicht Teil des Verbrechens sein“ war die Motivation von mittlerweile gut 2000 Akademikern gewesen, den türkischen Staatspräsidenten Erdogan in einer Petition aufzufordern, den Konflikt mit den Kurden einzustellen. Wie gefährlich aber auch wichtig es gewesen sei, sich einzusetzen, zeige sich nicht erst jetzt in den massenhaften Entlassungen und Verfolgungen von Wissenschaftlern in der Türkei, betonte Christiane Schlötzer von der „Süddeutschen Zeitung“. Muzaffer Kaya, der die Auszeichnung zusammen mit drei anderen Akademikern stellvertretend in Empfang nahm, mahnte eine globale Solidarität im Kampf für Demokratie und Frieden an – „damit es gar nicht mehr nötig ist, Preise wie diese zu vergeben.“

Preis für die Meinungsfreiheit

Johann Philipp Palm
Der Sohn eines Chirurgen und einer Bäckerstochter ist 1766 in Schorndorf geboren worden. Nach einer Buchhändlerlehre in Erlangen und Aufenthalten in Göttingen und Frankfurt lässt sich Palm als Buchhändler in Nürnberg nieder. Als er dort eine anonym verfasste Schrift verlegt und verbreitet, die Napoleons imperialistische Politik kritisiert, wird er von der französischen Besatzungsmacht gefasst und nach Braunau am Inn verschleppt. Dort wird ihm vor einem Militärgericht ein Scheinprozess gemacht. Am 26. August 1806 wird er erschossen.

Preis
Der mit 20 000 Euro dotierte Johann-Philipp-Palm-Preis wird alle zwei Jahre von der vor 21 Jahren gegründeten Johann-Philipp-Palm-Stiftung verliehen. Mit ihm zeichnet die Stiftung Frauen, Männer und Institutionen aus, die sich in herausragender Weise für die Erhaltung von Meinungs- und Pressefreiheit einsetzen. Über die Vergabe entscheidet ein Kuratorium, das sich aus Persönlichkeiten von Kirche, Kultur, Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammensetzt. Vorschlagsrecht haben langjährige Kooperationspartner wie die Organisationen Amnesty International, Journalisten helfen Journalisten oder Reporter ohne Grenzen. Die Bekanntgabe der Preisträger ist immer am 26. August, dem Todestag von Johann Philipp Palm, die Preisverleihung am ersten Sonntag im Advent.

Petition an die Staatsführung

Akademiker für den Frieden
Die pazifistische Gruppe setzt sich für Meinungsfreiheit in der Türkei ein. Im Januar hat sie sich mit der Petition, den Friedensprozess zwischen Türken und Kurden im Osten des Landes wieder aufzunehmen, an die Staatsführung gewandt. Den Aufruf haben etwa 2000 Akademikern unterzeichnet. Die vier Wissenschaftler, die den Preis der Palm-Stiftung stellvertretend für die Gruppe erhalten, waren wegen der Petition zeitweilig in Untersuchungshaft genommen worden. Ihnen drohen Berufs- und Ausreiseverbote sowie Gerichtsprozesse.

Türkei
Das Kuratorium der Palm-Stiftung hat seine Entscheidung bei der Auswahl der Preisträger bereits Anfang Mai getroffen, also noch vor dem Putschversuch in der Türkei im Juli, den der Präsident Erdogan zum Anlass für massenhafte Entlassungen und Verhaftungen genommen hat. Doch schon für das Jahr 2015 berichtet Amnesty International von einer zunehmenden Verschlechterung der Menschenrechtssituation seit den Parlamentswahlen im Juni und dem erneuten Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK und den türkischen Streitkräften. Die Medien seien seither „beispiellosen Repressalien“ ausgesetzt, die Medienfreiheit sei erheblich eingeschränkt worden, heißt es in dem Länderbericht der Organisation für das Jahr 2015.

Nachrichten über Burundi

Ines Gakiza
Die 29-jährige Radiojournalistin, die mehrere Jahre für den unabhängigen Radiosender „Afrikan Public Radio“ (APR) gearbeitet hatte, hat angesichts der zunehmenden Gewalt und Repression ihre Heimat Burundi verlassen müssen. Mit ihren Recherchen über die Menschenrechtsverletzungen der burundischen Regierung, aber auch mit Reportagen über die politischen und sozialen Zustände in den Nachbarländern, hatte sie sich einen Namen als ebenso kritische wie mutige Journalistin gemacht. Sie floh zunächst nach Ruanda und ist zurzeit Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Noch während ihrer Flucht hat sie zusammen mit Kollegen ein Nachrichtenmagazin im Internet aufgebaut, in dem sie weiterhin in Artikeln und Radiobeiträgen über die militärische und politische Lage ihres Heimatlandes berichtet.

Burundi
Seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres herrscht in dem ostafrikanischen Land Burundi der Ausnahmezustand, nachdem sich der Präsident Pierre Nkurunziza auf fragwürdige Weise in seinem Amt hat bestätigen lassen. Angehörige der Opposition sind laut Angaben von Amnesty International vom Geheimdienst gefoltert und getötet worden. Die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen beobachten die Entwicklung mit großer Sorge. Vieles erinnere an die Zeit vor dem Völkermord im benachbarten Ruanda vor 22 Jahren.