Szene aus „Tosca“ Foto: Festspielhaus Baden-Baden

Vier Mal begleiten die Berliner Philharmoniker in diesem Jahr im Festspielhaus in Baden-Baden Puccinis „Tosca“. Hört man es bei einem derart theatralisch durchtränkten Stück, wenn ein Sinfonieorchester versucht, ein Opernorchester zu sein?

Baden-Baden - Die Provinz lächelt. „Danke für fünf Jahre Berliner Philharmoniker!“: So rasch fährt man auf der Einfallstraße nach Baden-Baden unter dem roten Banner des Festspielhauses hindurch, dass man sich erst hinterher fragt, ob vor dem Orchesternamen nun eigentlich ein Komma stand oder nicht. Dabei würde dieses Satzzeichen einiges darüber aussagen, wem genau man dankbar ist: den Musikern oder dem Veranstalter. Aber sei’s drum. Dass die Vorfreude am Freitagabend besonders groß ist, liegt daran, dass Deutschlands Star-Orchester an der Oos tun wird, was es seit 2013 ausschließlich hier tut. Oper! Vier Mal wird in diesem Jahr Puccinis „Tosca“ gegeben, und bei einem derart theatralisch durchtränkten Stück kann es einfach nicht sein, dass hinterher wieder jemand den Kopf schief legt und sagt, naja, da hat mal wieder ein Sinfonieorchester versucht, ein Opernorchester zu sein, und natürlich hat man das auch gehört.

Leider ist es dann doch ein wenig so. Schon die ersten Takte des Vorspiels, also die beiden erst dem Bösewicht Scarpia, dann dem politisch verfolgten Konsul Angelotti zugeordneten Motive, bilden keinen Kontrast, sondern gleiten fast ineinander. Das Orchester setzt Phrasen klar voneinander ab, Simon Rattle dirigiert sich mit großer Präzision durch die Partitur, man hört Feinstes von solistischen Bläsern ebenso wie exzellent gebündelte Streicheraktionen, die sich in leiseste Pianissimo-Regionen vorwagen. Man hört geradezu streichelnde Streicher, welche die Titelheldin bei ihrem „Vissi d’arte“ ähnlich zart umschmeicheln wie ihr wallendes rotes Kleid. Dessen Farbe steht hier vor allem für die Liebe. Blut gibt’s andernorts. In Baden-Baden ist selbst das Sterben vor allem schön. Das Drama selbst bleibt unterbelichtet.

Die Sänger agieren rampenorientiert

Diesen Eindruck verstärken die Sänger, die sehr für sich bleiben, meist hölzern und rampenorientiert agieren, und auch jenseits der kaum vorhandenen Personenführung macht es Philipp Himmelmanns Inszenierung nicht besser. Vor allem der erste Akt (Kirche, ein Laptop als Staffelei, das Gemälde als Streetart; das Bühnenbild stammt von Raimund Bauer) wirkt eher wie eine Additionsaufgabe als wie Musiktheater, das nur dann stimmig ist, wenn es mehr ist als die Summe seiner Teile.

Der Mesner und Angelotti sind mit Peter Rose Alexander Tsymbalyuk glänzend besetzt, aber Kristine Opolais als ziemlich dramatisch besetzte Tosca verpatzt ihren Einstieg, wirkt dann unsicher, blass in Mittellage und Tiefe; erst nach der Pause kann man ihre reichen Klangfarben ein wenig mehr genießen. Bei Marcelo Alvarez (Cavaradossi), einem in der Mittellage schön und weich timbrierten Tenor, der anfangs aber seine hohen Töne stark stemmt, halten sich Kraft und Kunst immerhin kurz vor seinem Ableben die Waage. Nur Evgeny Nikitin enttäuscht auf ganzer Linie, denn der intoniert und artikuliert zwar präzise, aber sein Scarpia hat weder darstellerisch noch stimmlich (und dynamisch) Kontur.

Dies entspricht zwar der Inszenierung, die den Bösewicht nur als Teil eines Systems von Bösewichten zeichnet (und folglich immer wieder ganze Heerscharen von Scarpia-Doubles mit Zopf, Brille und leuchtendem Einstecktuch im schwarzen Anzug auf die Bühne schickt), aber diese Setzung hebelt das Spiel der Kräfte in der Oper aus. Tosca fehlt der Widerpart, dem fatalen Dreieck der Bariton. Zwar nimmt der zweite Akt, der hier fast nahtlos in den dritten übergeht, in Scarpias von kaltgrauem Metall umrahmtem Büro insgesamt ein wenig Fahrt auf. Aber dass nicht nur Cavaradossi durch eine riesige Todesspritze stirbt, sondern dass sich auch die Titelheldin selbst schließlich eine letale Selbstinjektion setzt, ist zwar ungewöhnlich, hebelt letztlich aber ebenfalls das Theater aus. Oh, wärt ihr nur alle miteinander gesprungen: Tosca, Rattle, Himmelmann! Wir wären erschüttert gewesen, hätten fraglos in unseren Köpfen den Tiber neben der Engelsburg fließen lassen, und unsere Herzen hätten vor Freude geweint.

Termine 10., 13. und 17. April