Szene aus „Manon Lescaut“ Foto: Klenk

Zum Auftakt der Osterfestspiele Baden-Baden spielen Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker Giacomo Puccinis Oper „Manon Lescaut“.

Baden-Baden – Gelb ist nicht nur der Wüstensand an der Grenze zu New Orleans, wo Manon Lescaut im vierten Akt ihr Leben aushaucht. Gelb ist auch die Farbe der diesjährigen Osterfestspiele Baden-Baden. Nachdem im letzten Jahr beim Festivaldebüt der Berliner Philharmoniker in der Kurstadt noch winterliche Temperaturen herrschten, präsentiert sich Baden-Baden zur zweiten Festspielauflage in voller Blüte.

Noch nie zuvor hat das Orchester Puccinis Dramma lirico gespielt. Auch für Simon Rattle ist „Manon Lescaut“ ein Debüt. Bei Puccini fühlt sich der Dirigent sichtlich wohler als bei Mozarts „Zauberflöte“, mit der letztes Jahr die Osterfestspiele eröffnet wurden. Damals hatte man mit angezogener Handbremse musiziert – mit gestauten Tempi und zurückgefahrener Dynamik. „Manon Lescaut“ dagegen blüht von Beginn an. Die Holzbläser machen mit ihren funkelnden Girlanden dem „Allegro brillante“ des Vorspiels alle Ehre. Der warme, flexible Streicherklang belebt die Szenerie. Rattle braucht ein wenig Zeit, um die richtige Balance zu finden.

Zu Beginn ist der feine Tenor von Bogdan Mihai als Edmondo im Festspielhaus kaum zu hören. Kleinere Koordinationsprobleme zwischen dem Orchester und dem klanglich ebenfalls hochdifferenzierten Philharmonia Chor Wien (Einstudierung: Walter Zeh) können ebenfalls notiert werden. Aber das sind Peanuts angesichts dessen, was bei diesem Puccini auf der Habenseite bleibt. Rattle zoomt mit seinen grandios aufspielenden Berliner Philharmonikern Details heran, ohne dabei den Blick fürs große Ganze zu verlieren.

Der für Puccini so wichtige musikalische Fluss bleibt trotz der vielen kleinen Freiheiten in den Tempi erhalten. Das ein wenig wagnerisch tönende Intermezzo zum dritten Akt ist reinstes Streicherglück und bereitet mit seiner dunklen Farbe die Nachtszene im Hafen von Le Havre musikalisch vor. In den dramatischen Tutti-Passagen wie am Ende des zweiten Akts lässt das Orchester seine Muskeln spielen. Aber jede Attacke bleibt geschmeidig, jeder Fortissimo-Akkord besitzt einen edlen Nachklang.

Die Inszenierung von Richard Eyre hilft dabei der Musik, sich zu entfalten. Der englische Theaterregisseur gewährt große Auftritte, schafft aber wie im ersten Akt auch intime Szenen, als sich mitten auf dem großen, in Stufen ansteigenden Platz Renato Des Grieux (Massimo Giordano) und Manon Lescaut (Eva-Maria Westbroek) auf einem Fenstersims näherkommen. Eyre hat die Handlung aus dem 18. Jahrhundert in das von den Deutschen besetzte Frankreich der 1940er Jahre verlegt.

Wehrmachtsoldaten schieben Wache und geben dem unbeschwerten ersten Akt eine bedrohliche Note (Kostüme: Fotini Dimou). Der alte Geronte da Ravoir, der die junge Manon Lescaut mit seinem Geld nach Paris lockt (Liang Li macht mit seinem virilen Bass aus dem betagten Lebemann fast schon eine Sympathiefigur), ist Kollaborateur. Auch das Bühnenbild von Rob Howell kündigt bei dieser aufwendigen Koproduktion des Festspielhauses Baden mit der New Yorker Metropolitan Opera die Zeitenwende an. Die stuckverzierten Fassaden gehen über in schmucklose, monumentale Naziarchitektur. Auch im Hafen von Le Havre, wo ein Schiff auf die Gefangenen wartet, um sie nach Amerika zu deportieren, sind die Fassaden im Hintergrund zu sehen.

Im letzten Akt liegt alles in Trümmern. Die Wüste von New Orleans ist in Baden-Baden eine in Gelb getauchte Kriegslandschaft (Licht: Peter Mumford). Hier, wo sich auch die Partitur ausdünnt, geht es um die Existenz. Hier kommt auch Eva-Maria Westbroek ganz zu sich.

Die niederländische Sopranistin konnte als Manon Lescaut den ganzen Abend aus dem Vollen schöpfen, was sie mit gewaltigen dramatischen Ausbrüchen und großem Vibrato auch tat. Die zerbrechliche Seite dieses 18-jährigen Mädchens hatte sich in ihrer opulenten Interpretation dagegen leider kaum widergespiegelt.

Nun aber berührt Westbroek im Todeskampf der Manon bei ihrer großen Arie „Sola, perduta, abbandonata“ („Allein, verloren, verlassen“) auch mit weichen, lyrischen Pianophrasen. Massimo Giordano steht etwas unbeteiligt daneben und schielt auch zum Dirigenten, wenn er nicht singen muss. Dafür bietet der Italiener rein musikalisch ein bemerkenswertes Rollendebüt. Manches Mal etwas kurzatmig, dafür mit reichen Farben, entspannter Höhe und goldenem Glanz. Lester Lynch zeigt als Manots Bruder Lescaut eine solide, dunkel grundierte Interpretation. Dass Magdalena Kozená ihren kleinen Auftritt als Musiker im zweiten Akt zu einem Kleinod macht und auch die anderen Nebenrollen ausgezeichnet besetzt sind, verleiht dieser Luxusproduktion musikalisch den letzten Schliff.

Zwei große Schweller, die Simon Rattle aus dem Nichts ins schmerzende Fortissimo holt und wieder bruchlos ins Pianissimo zurückführt, betrauern am Ende den Tod Manons, ehe sich im Festspielhaus Baden-Baden die Freude über die gelungene Produktion Bahn bricht.

Weitere Vorstellungen am 16. und am 21. April, jeweils um 18 Uhr. www.osterfestspiele.de