Johannes Bultmann Foto: SWR

Seit 2013 ist Johannes Bultmann als künstlerischer Leiter im Südwestrundfunk (SWR) zuständig für die Verschmelzung der Orchester in Freiburg und Stuttgart. Ein Interview, eine Bestandsaufnahme.

Seit 2013 ist Johannes Bultmann als künstlerischer Leiter im Südwestrundfunk (SWR) zuständig für die Verschmelzung der Orchester in Freiburg und Stuttgart. Ein Interview, eine Bestandsaufnahme.

 
Stuttgart - Herr Bultmann, viele Gegner der Orchesterfusion sehen in Ihnen den Buhmann. Leiden Sie darunter?
Mein Job ist es, nach vorne zu schauen. Ich analysiere und beurteile nicht, ob vorausgegangene Entscheidungen sinnvoll waren oder nicht, und ich war es auch nicht, der sie getroffen hat. Ich soll und will etwas Neues gestalten, das ist entscheidend. Es mag Leute geben, die das anders sehen, aber haben die selbst eine Idee, einen realistischen Plan B? Außerdem gibt es auch etliche, die sagen, gut, dass Sie da sind, so dass aus dieser Situation wenigstens etwas gutes Neues entstehen kann. Das ist ein konstruktiver Ansatz.
Wie ist der Stand der Fusion?
Wir haben mit den Managern der beiden Orchester eine Grunddisposition für 2016/17 erstellt und dabei festgelegt, dass wir in Stuttgart alle Abonnementkonzerte im bekannten Rhythmus halten werden. Auch die jährlich zehn Freiburger Konzerte werden bleiben. Zusätzlich wird es Orchesterresidenzen in Freiburg geben, die primär für Projekte der Musikvermittlung genutzt werden sollen – mit Kindern ebenso wie mit älteren Menschen. Außerdem führen wir die Kammermusik-Aktivitäten in beiden Städten fort.
Bleibt die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern wie der Bachakademie und der Kulturgemeinschaft ebenfalls erhalten?
Ja, da führen wir gleich nach Ostern Gesprächer und haben gute Angebote in der Tasche. Das wird weitergehen – ebenso wie die Beteiligung des neuen Orchesters an den „Attacca“-Konzerten, bei den Donaueschinger Musiktagen, den Schwetzinger Festspielen und dem Festival Eclat.
Gibt es schon einen Namen für den neuen Klangkörper?
Ja, der ist ganz schlicht: SWR-Symphonieorchester – bei internationalen Auftritten setzen wir noch das Wort Stuttgart dazu.
Warum die alte Schreibung?
Die ergab sich rein assoziativ. Weil man beim Wort Symphonie automatisch an ein groß besetztes Orchester denkt.
Mit wie vielen Planstellen?
Wir werden 119 haben.
Momentan spielen im Stuttgarter und im Freiburger Orchester zusammen knapp 200 Musiker. Das ist ein weiter Weg bis 119.
Ja, aber es gibt Pensionierungen, die natürliche Fluktuation, den Vorruhestand und Teilzeitarbeit. Ich glaube, es wird gar nicht so lange dauern, bis wir das Ziel erreicht haben.
Machen Sie jetzt schon Teilzeitangebote?
Es gibt momentan eine Arbeitsgruppe mit Musikern und den Tarifpartnern, die verschiedene Modelle erarbeitet, aber daran bin ich nicht beteiligt.
Wie können Sie all die Aktivitäten der beiden Orchester erhalten, wenn Sie doch eigentlich sparen sollen?
Das ist eine Frage der Disposition. Wir werden ja ein großes Orchester haben: ein Orchester, das bewusst gut ausgestattet ist, so dass es eben nicht runtergespart werden muss und in der obersten Liga mitspielen kann. Unter den Konzertorchestern sind nur die Berliner größer – und das Gewandhausorchester, aber das spielt ja auch Oper. Wir sind dann richtig gut aufgestellt – und haben nicht an der Kunst, sondern nur am künstlerischen Personal gespart.
Aber gespart muss unbedingt werden?
Der ARD ist verordnet worden, von 2009 bis 2020 ohne einen Cent mehr auszukommen. Das heißt, die Sender müssen jede Tarifsteigerung und jede Stromkostenerhöhung aus eigenen Mitteln erwirtschaften. Wenn man den SWR heute mit einem Dreifamilienhaus vergleicht, wäre er 2020 nur noch ein Zweifamilienhaus. Nur noch jede zweite frei werdende Stelle wird nachbesetzt im Unternehmen. Das ist dramatisch.
Ab wann wird der Spareffekt eintreten?
Ich bin kein Rechenkünstler, sondern komme aus der Kunst. Aber ich kann immerhin sagen, dass der Spareffekt nicht von heute auf morgen, sondern perspektivisch eintritt. Zunächst einmal hat der Intendant des SWR, Peter Boudgoust, für alle Musiker eine Jobgarantie ausgesprochen, es wird also niemand entlassen. Wenn in einer Instrumentengruppe ausreichend viele Musiker sitzen, wird aber im Pensionierungsfall eine Stelle nicht nachbesetzt. Damit spare ich sukzessive. Im Jahr 2025 oder 2026 wird man dann annähernd bei der Planstellenzahl angekommen sein.
Wie wird sich das Management verändern?
Es wird zentral in Stuttgart angesiedelt sein. Wir wollen das Management ein bisschen aus den Verwaltungsstrukturen herausnehmen, so dass wir schneller und unabhängiger operieren können – ähnlich wie andere Orchester, die nicht an eine riesige Sendeanstalt gekoppelt sind und die auch aus den eigenen Reihen heraus das Marketing und die Pressearbeit machen. Zurzeit ist beides beim SWR ja noch zentral angesiedelt. Das muss sich ändern, damit wir wettbewerbsfähig sind. Das Orchester kann nur so gut sein, wie es ihm das Management ermöglicht.
Werden Felix Fischer und Reinhard Oechsler beide bleiben?
Ja, unbedingt. Ich werde nicht Orchestermanager. Sicherlich werde ich in den ersten zwei, drei Jahren bei einigen Dingen behilflich sein, zu denen die beiden nicht kommen, weil sie das Tagesgeschäft zu stark vereinnahmt. Ich bin vom SWR geholt worden, um stärker den internationalen Außenblick einzubringen, den beide nicht haben können. Irgendwann will ich mich aber auch überflüssig machen. Deshalb hat mein Vertrag auch nur eine Laufzeit von fünf Jahren. Selbst wenn ich ihn noch einmal verlängern sollte, so bedeutet das für mich ein Stück Unabhängigkeit. So kann ich immer wieder Dinge sagen, die sich sonst keiner zu sagen traut. Und wenn mir etwas gegen den Strich geht, möchte ich die Freiheit haben, gehen zu können.
Welche Chancen geben Sie dem in Freiburg immer noch diskutierten Stiftungsmodell?
Ich schaue nach vorn.
Aber das könnte man beim Nachdenken über das Stiftungsmodell doch auch.
Der Zug ist abgefahren. Wenn es den Freiburgern gelingt, 100 Millionen Euro zusammenzubringen – denn ein Orchester nur für ein Jahr mit zehn Millionen zu retten, ist keine Perspektive – , dann gratuliere ich herzlich. Damit habe ich kein Problem. Wegen mir müssen nicht alle Freiburger Musiker nach Stuttgart kommen. Es ist nur meine Aufgabe, dass im September 2016 in Stuttgart das neue Orchester an den Start geht. Wenn sich andere Musiker in Freiburg in anderen Formationen selbstständig machen: Wunderbar, dann gratuliere ich denen.
Wie beurteilen Sie die Stimmung in Stuttgart und Freiburg?
Die Stuttgarter freuen sich auf eine neue Zukunft, Teile der Freiburger auch. Dort gibt es viele, die schon die Tage zählen, bis sie nach Stuttgart kommen können, es gibt einen schweigenden Mittelbereich, und es gibt etwa zwanzig, die aktiv um das Bleiben kämpfen. Ich kann das verstehen. Aber wir müssen ab September 2016 gemeinsam Gas geben, nur dann haben wir eine Chance.
Wie weit ist die Suche nach einem Chefdirigenten gediehen? Und wie schwierig gestaltet sich diese – gerade nach der jüngsten Dirigenten-Petition?
Die Petition kam ja nur von Dirigenten, die mit dem Orchester gearbeitet haben. Das ist ein Solidaritätsbekenntnis, das gut ist und loyal. Davon unberührt suche ich nach zukünftigen künstlerischen Partnern, und es gibt sehr unterschiedliche Modelle. Man muss ja nicht zwingend mit einem einzigen Dirigenten beginnen.
Glauben Sie nicht an die Werbewirksamkeit eines einzigen Namens?
Besondere Situationen erfordern manchmal besondere Lösungen. Ich bin auf der Suche.
Bis wann wollen Sie fündig werden?
Ich könnte mir vorstellen, dass wir Ende 2015 oder Anfang 2016 die erste Spielzeit des Orchesters komplett präsentieren – mit Namen und Programm.
Welches Profil soll das neue Orchester haben?
Es wird weiterhin intensiv Neue Musik spielen und außerdem das große sinfonische Repertoire bedienen. Sein Profil wird also sehr nahe am alten sein. In den ersten Jahren wird es interessant sein zu beobachten, wie sich aus den drei verschiedenen Klangkulturen der beiden Orchester – dem Freiburger Klang und den beiden Stuttgarter Klangtraditionen – ein neuer Klang entwickelt, denn der lässt sich nicht planen.
Sie sind auch Chef der Festspiele des SWR. Stehen dort Veränderungen an?
Das SWR-Vokalensemble, das Experimentalstudio, die Schwetzinger Festspiele und die Donaueschinger Musiktage stehen nicht zur Disposition. Im Gegenteil: Der SWR wird demnächst erstmals die Klassik zur starken Marke erklären. Das wird mit einer entsprechenden medialen Positionierung einhergehen. So soll es nur für Klassik eine Homepage geben, und in der Liederhalle soll eine Digital Concert Hall nach dem Vorbild der Berliner Philharmoniker entwickelt werden. Auf diese Weise können wir viel mehr Menschen erreichen – auch mit unseren Musikvermittlungsprogrammen. Wir können uns ebenso in Klassenzimmer hineinbegeben wie in Altersheime. Dass wir als Medienunternehmen die technischen Mittel bislang noch nicht voll genutzt haben, ist ein Skandal.
Worüber haben Sie sich zuletzt geärgert?
Ich habe mich jetzt erstmals mit Orchestertarifen beschäftigt, und manchmal bin ich schier in Ohnmacht gefallen. Wussten Sie, dass Musiker ihre eigenen Schüler als Vertreter schicken können? Alle werden zu 100 Prozent bezahlt, aber kein Musiker kommt ja auf 100 Prozent der Arbeitsleistung.