Vom Platz und vom olympischen Spirit begeistert: Martin Kaymer Foto: dpa

Nach 112 Jahren ist Golf wieder olympisch. Die vielen Absagen vor diesem Turnier der Widersprüche sind aber ein Problem für die Zukunft.

Rio de Janeiro - Das Dreibindengürteltier ist nicht mehr da, die Breitschnauzenkaimane auch nicht, selbst die Wasserschweine fehlen. Wo sie einst lebten, sind heute millimeterkurze Grüns, zwei künstliche Seen, eine Driving-Range. Sie wurden vertrieben von den Herren der Ringe, die Golf nach 112 Jahren wieder in ihr Programm aufnahmen. Die Fauna von Rio ist ein bisschen ärmer geworden. Dafür besitzt die Stadt nun einen dritten Golfplatz, auf dem es seit Donnerstag rund geht.

Schlag auf Schlag.

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Der Rio Olympic Golf Course liegt am Rande einer Lagune. Das Meer ist nicht weit, der Blick auf die Hügel von Rio wunderbar. Hier lässt es sich leben. Denken offenbar auch die Immobilienhaie. Knapp ein Dutzend Hochhäuser gibt es schon in der Nähe, direkt am Golfplatz entstehen drei weitere. Mit dem Aufzug zum Abschlag? Kein Problem. Angeblich werden die Appartements bis zu 400 000 Euro kosten. Der Preis ist heiß – auch für die Golfer. Ihre Währung ist Gold. Zumindest bei Olympia.

Viele Fans wollen Autogramme

Martin Kaymer ist gekommen, um zu gewinnen. Das Turnier. Aber auch an olympischer Erfahrung. Er ist begeistert. Vom Geist der Spiele, der ihn inspiriert. Und vom Golfplatz. „Ich hatte nicht erwartet, dass er in so einem guten Zustand sein würde. Er ist nur noch sehr offen und deshalb ziemlich windanfällig“, sagt der ehemalige Weltranglistenerste, der zu den Stars in Rio gehört. Auf dem Weg von der Anlage kommt er nur langsam voran, viele Fans wollen Fotos mit ihm, seine Autogramme sind gefragt. Sogar von einem Fan im Trikot der brasilianischen Fußball-Nationalelf. Kaymer unterschreibt trotzdem. Direkt neben dem Schriftzug „Neymar“.

Es sind zahlreiche Fans unterwegs, viele begleiten die Spieler über den Kurs. Schon vor einem Jahr meldeten die Olympia-Organisatoren, die 15 000 Tickets für jeden der vier Männer-Turniertage seien ausverkauft. Die Stimmung ist gut. Sagen auch Hilke Krausewitz und Alex Deitermann. Das Paar aus Osnabrück schaut sich eine Woche lang Olympia-Sport an. Zum Golf wollten beide auf jeden Fall, sie spiele selbst, sagt sie. „Es ist eine schöne Anlage“, meint Deitermann: „Noch sind die Blumen zwar höher als die Bäume, aber das wächst sich aus.“ Und Krausewitz sagt: „Der Platz ist fair, die Vegetation interessant.“ Und das Wasser in den beiden Seen und dem Becken am Clubhaus sauber. Kloaken, wie es sie in Rio zuhauf gibt, waren hier allerdings auch nicht zu erwarten.

Der Ruf des Exklusiven

Golf hat den Ruf des Exklusiven, und Olympia kämpft nicht dagegen an. Neben keiner Sportstätte in Rio gibt es einen größeren Vip-Bereich, nirgendwo einen besser ausgestatten Fanshop. Warum auch nicht? Viel schlimmer ist die Exklusivität an anderer Stelle: im Teilnehmerfeld. Bei den Männern sind nur 17 der besten 50 Spieler der Welt am Start. Ein interessantes Turnier ist es immer noch. Aber auch eines, das bereits heftig in der Kritik stand, ehe es überhaupt begonnen hat. Wofür nicht zuletzt Rory McIlroy (27) verantwortlich ist. Der viermalige Majorsieger aus Nordirland, der bereits 17,2 Millionen Euro allein an Preisgeldern verdient hat, stufte das olympische Turnier als „belanglos“ ein.

Scharfe Kritik an McIlroy

Die Reaktion darauf war es nicht. „McIlroy, du bist ein Idiot!“, erklärte der deutsche Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste: „Du bist kein echter Sportler. Du bist Geschäftsmann. Mehr nicht.“ Und die frühere britische Squash-Weltmeisterin Laura Massaro, deren Disziplin nicht olympisch ist, meinte: „Die Aussagen von McIlroy sind frustrierend und inakzeptabel.“ Und haben auch die Funktionäre massiv gestört.

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Thomas Bach ist bekanntlich ein Taktiker, kein Freund klarer Worte. Im Fall von Golf aber macht der IOC-Chef eine Ausnahme. Ob Golf bei Olympia zukunftsfähig sei? „Dafür müssen die besten Spieler dabei sein“, sagt Bach. Und auch Alfons Hörmann, der oberste deutsche Sportfunktionär, sagt: „Einmal kann das IOC mit einem Szenario wie in Rio leben. Aber angesichts der vielen Sportarten, die händeringend zu Olympia wollen, sicher nicht öfter.“ Golf wird wohl auch 2020 in Tokio dabei sein. Und dann eher nicht mehr, sollte es auch dort Absagen hageln. Allerdings taugt das Zika-Virus dann nicht mehr als Entschuldigung. „Es war“, brummt Martin Kaymer, ehe er schnell verschwindet, weil er sich ein Spiel der deutschen Handballer anschauen will, „ohnehin nur eine angenehme Ausrede.“ Für die Golfer, die mit den Olympischen Ringen nichts anzufangen wissen. Das unterscheidet sie von Kirtan Patel.

Nicht viele Brasilianer spielen Golf

Der Kenianer studiert in Dallas Maschinenbau. Und jobbt bei den Sommerspielen als Volunteer. Er achtet auf der 18. Bahn darauf, dass die Zuschauer den Kurs nur dann kreuzen, wenn kein Ball heransaust. Er steht auf dem Rasen, der sich anfühlt wie ein Teppich. Die Vögel zwitschern so laut, dass sie zu hören sind, obwohl der böige Wind die Fahnen über der Tribüne der letzten Bahn heftig flattern lässt. „Die Architekten hatten nicht viel Zeit, haben sehr gut gearbeitet“, sagt Patel, „schade, dass nicht viele Brasilianer Golf spielen.“

In der Tat gibt es immer dann Widerspruch, wenn die Olympia-Macher erzählen, dass auch der Golfplatz später der Bevölkerung zu Gute komme. „Rio braucht ganz sicher keinen dritten Golfplatz“, sagt zum Beispiel Dawid Danilo Bartelt, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Brasilien, „Rio benötigt funktionierende Kläranlagen und eine U-Bahn-Anbindung der armen Vorstädte im Norden.“

Arbeiten an der Ökobilanz

Immerhin haben die Organisatoren an der Ökobilanz gearbeitet. Den Zuschauern wird eine Tour de Natur angeboten, mit Erläuterungen zu Flora und Fauna des Platzes. Daneben steht ein einzelner Demonstrant, hebt einen Zettel in die Höhe: „Ohne Natur können wir nicht leben.“ Beachtet wird er nicht. Dreibindengürteltiere, Breitschnauzenkaimane und Wasserschweine würden ihm vermutlich zustimmen. Wenn sie noch da wären.