Die wirtschaftliche und politisches Krise beschäftigt die Brasilianer derzeit mehr als olympische Stimmung und fertig gestellte Stadien. Letztere werden aber wohl fertig wie die Bilder der Fotostrecke zeigen. Foto: dpa

Zika, Rezession, politisches Chaos. Und vor einigen Tagen stürzte noch der für die Olympischen Spiele gebaute Radweg ein. Rios Olympia-Premiere steht bisher unter keinem guten Stern.

Rio de Janeiro - Bisher liegt kein Segen über den ersten Spielen in Südamerika. Brasilien ist gebeutelt von einer tiefen Rezession und einer noch tieferen Regierungskrise, der Bundesstaat Rio de Janeiro ächzt unter einem enormen Defizit. Und im April stürzte noch ein spektakulär gebauter Radweg ein, den Rios Bürgermeister Eduardo Paes erst im Januar eröffnet hatte. Ein starker Wellengang hatte einen auf Pfeilern über die Steilküste gebauten Abschnitt weggerissen. Zwei Männer fielen ins Meer und starben.

Das südamerikanische Land befindet sich in einer Krise. Olympia tangiere das aber nicht, so Paes. Zu 98 Prozent sei alles fertig. „Die größten Herausforderungen bei der Organisation dieses Megaevents sind überwunden“, sagte Paes bei der zehnten und letzten Visite des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Und IOC-Vertreter Christophe Dubi unterstrich: „Es gibt keinerlei Besorgnis.“ Doch Olympiafieber in Rio? Bisher Fehlanzeige.

Paes’ großes Vorbild ist Barcelona 1992. Wie damals will er mit heiteren Spielen, mit großartigen Bildern aus einer der schönsten Städte der Welt einen Touristenboom auslösen – ihm werden Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur 2018 nachgesagt. Er will „weiße Elefanten“ verhindern – Stadien, die nach Olympia verfallen. So wird eine 10 000 Zuschauer fassende Arena später zu einer Schule umgebaut.

Sportstätten werden fertig

Das neue Schwimmstadion mit der künstlerischen Außenfassade ist das Schmückstück im Olympiapark, ein energiesparendes Zirkulationssytem, soll für frische Luft sorgen. Nur das Radstadion ist etwas in Verzug, wird aber fertig. Anders als zum Beispiel bei Athen 2004 sind die Anlagen nicht das Sorgenkind – auch wenn verschiedene Verbände sich mokieren über weit geringere Zuschauerkapazitäten als in London 2012. Ärger gab es bei den Testwettbewerben der Turner: Der Strom fiel aus, ebenso Ergebnisanzeigen – es war bei weitem nicht die einzige Panne.

Auch das renovierte Leichtathletikstadion mit 60 000 Plätzen, Heimat des Fußballclubs Botafogo, ist sicher nicht das modernste. Hier will der sechsfache Olympiasieger Usain Bolt seine Medaillensammlung mehren. Das oberste Gebot lautet: Nachhaltige, kostenbewusste Spiele, kein Gigantismus. Daher gibt es auch kein „richtiges“ Olympiastadion, denn Eröffnungs- und Schlussfeier finden im Fußballtempel Maracanã statt.

Rezession und politisches Chaos

Aber die Leute bewegt anderes: Die Wirtschaftsleistung ist 2015 um 3,8 Prozent eingebrochen, es gibt die tiefste Rezession seit den 1930er Jahren. Das einst gefeierte Boomland hat fast 10 Millionen Arbeitslose, regiert wird kaum noch, da es einen erbitterten Kampf gibt um die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff – wahrscheinlich wird sie zur Prüfung von Vorwürfen wie Tricksereien beim Staatshaushalt für 180 Tage zunächst suspendiert. Dann würde Vizepräsident Michel Temer die Spiele im Maracanã eröffnen.

Hinzu kommt ein milliardenschwerer Korruptionsskandal, in den über 50 Politiker verwickelt sind. Die Rio-Organisatoren sind wegen der miesen Lage zum radikalen Sparen gezwungen – so wird es tausende Freiwillige weniger geben und die Sportler müssen Abstriche beim Komfort machen. Zudem wird bei Eröffnung- und Schlussfeier gespart.

Größtes Sorgenkind ist die neue Metro-Linie nach Barra, wo sich der Olympiapark befindet. Es ist das wichtigste Infrastrukturprojekt, das rund ein Viertel der Gesamtkosten ausmacht, aber womöglich nicht rechtzeitig komplett fertig wird. Ursprünglich sollte die Linie 8,5 Milliarden Reais kosten, nun könnten es mehr als 10 Milliarden (2,5 Milliarden Euro) werden. Im schlimmsten Fall müssen Touristen mit Pendelbussen zum 40 Kilometer vom Zentrum entfernt liegenden Olympiapark anreisen. Hunderttausende Olympiabesucher müssten sich auf nervtötende Fahrten einstellen – schon jetzt sind die Straßen nach Barra oft verstopft.

Segeln in der Kloake

Kann die Macht der Bilder, der Cristo, der auf die Ruderer in der großen Lagune Rodrigo de Freitas herunterblickt, die Probleme übertünchen? In der Lagune kommt es immer wieder zu Fischsterben – aber noch dramatischer ist die Wasserqualität im Segelrevier, der malerischen, vom Zuckerhut eingerahmten Guanabara-Bucht. Fäkalien, Abwässer, multiresistente Keime – hier sollte man nicht ins Wasser fallen, Wassertests fielen bisher katastrophal aus. Zugleich haben die Debatten dazu geführt, dass die Umweltproblematik stärker auf die politische Tagesordnung kommt - aber die Bucht, durch die auch die großen Containerschiffe Richtung Hafen fahren, ist einfach zu groß, um schnelle Erfolge zur Verbesserung der Wasserqualität zu erzielen.

Sicher, gerade die Debatte um das mysteriöse Zika-Virus hält so manchen Olympia-Fan von einer Reise nach Rio ab. Allerdings sind die das Virus übertragenden Moskitos im südamerikanischen Winter weit weniger aktiv und Rio nicht so stark betroffen wie der Nordosten. Von 7,4 Millionen Tickets für Olympische und Paralympische Spiele sind nach Angaben eines Sprechers bisher 62 Prozent verkauft, 30 Prozent davon gehen ins Ausland, 70 Prozent werden in Brasilien verkauft – doch viele Sportarten interessieren nicht. Die Hoffnung: Nachdem die Fußballgruppen nun ausgelost sind, soll hier der Verkauf anziehen.

Trübe sportliche Aussichten

Die Stimmung wird auch vom Erfolg der Brasilianer abhängen, doch die Medaillenhoffnungen halten sich in Grenzen. Ausgerechnet der einzige Schwimm-Olympiasieger, César Cielo (29), verpasste überraschend die Qualifikation. Der Weltrekordhalter über 50 und 100 Meter Freistil, der in Peking 2008 Gold gewann, landete nur auf Platz drei und brach in Tränen aus. Brasiliens beste Sprinterin und südamerikanische Rekordhalterin über 200 Meter, Ana Claudia Lemos, verpasst wegen eines Doping-Falls die Spiele. Als Pflicht gilt fast schon Olympia-Gold im Fußball. Der wichtigste Fußballer, Neymar, hat dafür nun die Freigabe vom FC Barcelona bekommen. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London landete Brasilien mit 3 Gold-, 5 Silber- und 9 Bronzemedaillen nur auf dem 22. Platz. Aber: Die Organisatoren setzen auf die traditionelle Begeisterungsfähigkeit und Lebensfreude der Brasilianer, auf dass es am Ende heißt: „tudo bem“ – „alles gut“.