Für die Krautköpfe in der äußersten Reihe bekommen die Bauern wohl nur noch einen Trostpreis. Der Grund: Rechts wuchert ein Trittstein, und darin kreucht und fleucht es. Martin Krämer (l.), Michael Gehrung und die anderen wollen das nicht länger hinnehmen. Weitere Bilder in unserer Fotostrecke. Foto: Sägesser

Die sogenannten Trittsteine, das sind Wildwuchswiesen, sollen ein Geschenk an die Natur sein. Den Bauern auf den Fildern bereiten die 49 Biotope zwischen ihren Parzellen allerdings vor allem Ärger. Gegen neue Trittsteine setzen sie sich daher vehement zur Wehr.

Plieningen - Martin Krämer könnte heulen, wenn er auf dem Krautacker steht. Die äußerste Reihe des Gemüses kann der Plieninger Bauer mehr oder minder abschreiben, dafür bekommt er vom Kunden höchstens einen Trostpreis. Der Grund ist glitschig und hockt auf den Krautköpfen. Die Schnecken fressen dem Landwirt einen Teil der Ernte kaputt. Die Blätter sind löchrig wie nach Hagelwetter. Nicht nur Krämer hat das Problem. Neben ihm, nahe des Langwieser Sees, beugt sich Michael Gehrung über die Krume, er redet als Obmann für die Plieninger Bauern. Sie schimpfen um die Wette.

33 Ackerstreifen sind in Trittsteine umgewandelt worden

Die Bauern leiden unter den Biotopen, die ihnen wie Fremdkörper zwischen die Parzellen gesetzt worden sind. Es handelt sich um sogenannte Trittsteine, das sind Wildwuchswiesen. Weil der Natur zum Beispiel beim Bau der Messe Lebensraum verloren ging, musste ihr woanders was zurückgegeben werden. Auf Plieninger Markung sind 33 Ackerstreifen in Trittsteine umgewandelt worden, auf Leinfelden-Echterdinger Boden sind es 16. Sie haben eine Gesamtfläche von 10,6 Hektar, also von etwa 15 Fußballfeldern. Die Trittsteine sind aber nicht am Stück, sondern mal hier, mal da. „Trittstein ist alles, was so wüst aussieht“, sagt Gehrung. „Wir können dadurch keine größeren Parzellen mehr bilden“, schickt Krämer hinterher. Im Hintergrund rauscht die Autobahn, und am Himmel lärmt ein startendes Flugzeug. Willkommen auf den Fildern, bundesweit legendär für den fruchtbaren Ackerboden.

Unstrittig ist: Die Idee mit den Trittsteinen greift. Es kreucht und fleucht im hohen Gras und herbstlich verdorrten Gestrüpp. Was aus Sicht der Bauern nicht bedacht worden ist: Das Getier beschränkt sich nicht auf die Trittsteine, erst recht nicht, wenn nebenan leckerer Salat und knackiges Kraut gedeiht. „Die Trittsteine sind wie kleine Kinder“, sagt Martin Krämer. „Da muss man dauernd laufen und machen.“ Er weiß, wovon er redet, seine Äcker grenzen zwölfmal an Trittsteine.

Die Bauern wollen um jeden Zentimeter kämpfen

Nun dräut neues Ungemach für die Landwirte. Die ICE-Trasse von Stuttgart 21 wird wieder Filderboden verschlingen, weshalb weitere Trittsteine geplant sind. Das wollen sich die Bauern nicht bieten lassen, wie Michael Gehrung und Martin Krämer sagen. Sie sind mit ihren Traktoren inzwischen rübergefahren, vom Langwieser See Richtung Scharnhausen. Krämers Blick schweift über die Plieninger Felder, die bisher noch nicht von Trittsteinen zersiedelt sind. Ein Kollege erntet gerade Kraut. Es ist ein bisschen zu früh reif in diesem Jahr, doch das ist ihre kleinere Sorge. Die Bauern werden um jeden Zentimeter kämpfen. „Das Maß ist voll“, sagt Krämer. „Wir sind die Prügelknaben der Filder.“ Sie hoffen auf Einsicht und wollen die Entscheider überzeugen, dass die Trittsteine an anderer Stelle besser aufgehoben sind als auf Ackerböden, die zu Deutschlands besten zählen. Notfalls wollen die Bauern gerichtlich gegen die Biotope vorgehen.

Ob die Ausgleichsflächen doch anderswo angelegt werden, sei derzeit nicht abzuschätzen, sagt Robert Hamm, Sprecher des Regierungspräsidiums. „Das ist ein Abwägungsprozess, es gibt viele Randbedingungen.“ Grundsätzlich sollen mit dem Öko-Ausgleich „biologische Arten erhalten werden“, so Hamm. Beispiele seien die Feldlerche und das Rebhuhn. „Und Rebhühner ernähren sich übrigens von Schnecken.“

Da und dort bohren sich Info-Tafeln ins Plieninger Feld, sie werben für Trittsteine. „Brachestreifen fördern Nützlinge“, ist zu lesen. Naturschützer begrüßen die Biotope, wie Hans-Peter Kleemann vom Naturschutzbund Stuttgart sagt. Vor allem für Insekten sei es wichtig, dass sie in regelmäßigen Abständen Aufenthaltsplätze fänden und nicht auf ein paar wenige Flächen zusammengedrängt würden. Dennoch: „Die Belastung für die Bauern erachten wir als zu groß“, sagt Kleemann. Landwirte seien regionale Versorger, „wir brauchen sie hier“. Daher bleibt aus seiner Sicht nur, „die Bauprojekte zu verkleinern“.

Die Schnecken schaden den Bauern mehrfach

Martin Krämer bleibt dabei: Die Trittsteine „sind in einem Intensivgemüsebaugebiet nicht tragbar“. Lassen sich die Schnecken das Kraut schmecken, trifft das die Bauern mehrfach: Ist die wächserne Schutzschicht hinüber, lässt sich das typische Fildergemüse schwer lagern, und der Verdienst der Bauern sinkt, weil das Kraut weniger Gewicht auf die Waage bringt.

Ein Laie würde nun vielleicht hergehen und Schneckenkorn an den Feldrain streuen. „Man müsste alle drei Tage kommen“, sagt Martin Krämer. Das rechnet sich für die Bauern nicht. „Es ist ein Drama.“ Er steht vor einem Krautkopf, auf dem eine Nacktschnecke klebt; er lässt sie, wo sie ist. Sie abzupflücken, bringe eh nichts, sagt er. „Die krabbelt morgen wieder rauf.“

Schnecken seien übrigens längst nicht die einzigen Störenfriede im Plieninger Landleben. Disteln zum Beispiel bereiten Krämer, Gehrung und all den anderen ähnlich viel Kummer. Die vermehren sich sowohl über Samen als auch Wurzeln. Für die Bauern ist das alles zum Heulen.