Für Passanten nicht gerade einladend: Der Abgang zur Toilette nahe der Paulinenbrücke Foto: Leif Piechowski

Schöne Einkaufswelt, Penner und Drogensüchtige vertragen sich nicht. Daher werden im September eine Woche vor der Eröffnung des Gerber die öffentlichen WCs unter der Paulinenbrücke geschlossen. Der Rupert-Mayer-Platz soll sauber werden.

Stuttgart - Die junge Frau im knielangen rosa Kleid schaut benommen und verstört. Ihre zwei Begleiter dagegen sehr aggressiv. „Besetzt“, knurrt einer mit russischem Akzent und bedeutet dem Toilettenbesucher am Rupert-Mayer-Platz mit Blicken: Verschwinde, sonst wird’s ungemütlich. In der Hand halten der Kleiderschrank und sein nicht minder bulliger Kumpel eine Einwegspritze. Es scheint, als seien die drei auf der Damentoilette bei einem Drogengeschäft gestört worden.

Wobei Störungen an diesem Platz sonst wohl eher selten sein dürften. Denn in der Regel machen Stuttgarter um diesen Flecken zwischen Paulinenbrücke und der Kirche St. Maria einen Bogen. Hier tummeln sich Wohnsitzlose mit und ohne Suchtproblematik. Oder auch Hehler, die hier ihr Diebesgut an den Mann bringen.

Doch genau das soll sich jetzt ändern, wie der für die öffentlichen Stuttgarter Toiletten zuständige Eigenbetrieb Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) mitteilt: „Die öffentliche Toilettenanlage am Rupert-Mayer-Platz unter der Paulinenbrücke wird zum 15. September geschlossen.“ Also ungefähr eine Woche vor der Eröffnung (23. September, 8 Uhr) des neuen Einkaufscenters Gerber.

Die zeitliche Nähe der WC-Schließung zur Gerber-Öffnung ist ein Zufall. Ein Sprecher des Gerber-Eigentümers bestreitet jedenfalls jeden Zusammenhang: „Mit der Schließung des Toilettenhäuschens am Rupert-Mayer-Platz hat die Württembergische Lebensversicherung AG nichts zu tun. Zwar werden im Rahmen eines Gesamtkonzepts Straßenzüge und Gehwege in der Nähe des Gerber mit Unterstützung der Württembergischen aufgewertet. Der Rupert-Mayer-Platz – an dem sich die Toilettenanlage befindet – gehört jedoch nicht zu diesem Areal.“

Die Obdachlosen, die sich täglich an diesem Platz aufhalten, sehen in der Toilettenschließung jedoch eine klare Ansage: „Man will uns hier weghaben“, sagt eine Frau Ende 40, „manche von uns sind auch schon an den Marienplatz abgewandert.“ Ihr Nebensitzer auf dem Mäuerchen hinter der Toilette, der eine viel zu große Deutschland-Mütze trägt, nickt und ergänzt: „Deshalb haben die auch die Herrentoilette zugeschlossen, man kann schon eine Weile nur noch auf die Damentoilette.“

Entsprechend sind dort die Zustände. Von einem Mindestmaß an Hygiene keine Spur. Wer zart besaitet ist, wird dieses unstille Örtchen meiden. Die Wohnsitzlosen sind dagegen härter im Nehmen. Zudem sind sie froh, überhaupt kostenlos ihre Notdurft verrichten zu können. „Wenn man am Tag dreimal muss und jedes Mal 50 Cent zahlen soll, kommt schon etwas zusammen“, sagt einer und wird von dem Mann mit der großen Mütze unterbrochen: „Dann gehen wir eben ins neue Einkaufscenter.“

Das wird dem Hausherrn nicht gefallen. Penner im Einkaufscenter sind nicht gut fürs Geschäft. Aber nicht nur die Einzelhändler der 86 Geschäfte im Gerber dürften dagegen Sturm laufen. Die Obdachlosen und die offene Drogenszene ist vielen ein Dorn im Auge. Auch Bürgern und Stadträten. „Dass dieses Fixer-WC endlich zu gemacht wird, begrüße ich“, sagt die Bezirksvorsteherin Mitte, Veronika Kienzle. Allerdings beklagt sie einen allgemeinen Mangel an öffentlichen Toiletten und wünscht sich für den Rupert-Mayer-Platz ein schlüssiges Gesamtkonzept.

Dies sei auch angedacht, wie die AWS-Sprecherin bestätigt. Die Toilettenschließung sei nur der erste Schritt hin zu einem Platz ohne Drogenszene: „Damit folgt die Stadtverwaltung dem Beschluss des Gemeinderats, die unterirdische Anlagen zu schließen“, sagt sie und fügt an: „Im Zuge der Neugestaltung des Gerberviertels soll dieser Platz zudem als Bestandteil der städtebaulichen Planung für Jugendliche aufgewertet werden.“ Tatsächlich ist in Nachbarschaft zu diesem Platz das Karlsgymnasium.

Vielleicht regt sich deshalb kaum Protest bei den jeweiligen Hilfsorganisationen. „Seitens der Vertreter der Suchtberatung gibt es keine Einwände gegen die Schließung dieser Anlage“, sagt die AWS-Sprecherin. Zudem stehe als „Ersatz eine entgeltpflichtige oberirdische sogenannte Säulen-Automatik-WC-Anlage in der Tübinger Straße/Paulinenbrücke zur Verfügung“.

Doch genau die können sich die Obdachlosen nicht leisten. Sie werden sich daher wohl nach einem neuen Szenetreff umsehen. Ein Mitarbeiter des Med-Mobils, das in Stuttgart an solchen Plätzen die medizinische Grundversorgung übernimmt, bestätigt das: „So wird das Problem nur von einem Platz zum nächsten verlagert. Stuttgart bräuchte wie andere Großstädte eine Fixerstube.“