In diesem Gebäude in Feuerbach erstellen das Kommunale Rechenzentrum und die Datenzentrale Baden-Württemberg die Gehaltsabrechnungen für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Foto: Leif Piechowski

16.000 Beschäftigte der Stadt erhalten fünf Monate verspätet mehr Geld – Verzögerung im ganzen Land

Stuttgart - Als Hans-Peter Friedrich (CSU) am 31. März 2012 in Potsdam nach 40-stündigem Verhandlungsmarathon mit Gewerkschaften und Kommunen vor die Presse trat, war er guter Dinge. „Wir wollen die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes ordentlich bezahlen“, sagte der Bundesinnenminister. In einer ersten Stufe solle es bereits rückwirkend zum 1. März 3,5 Prozent mehr Geld geben. Doch darauf warten die 16.000 Beschäftigen im öffentlichen Dienst in Stuttgart – und mit ihnen rund 300.000 Kollegen in ganz Baden-Württemberg – bis heute.

Die Auszahlung der 3,5 Prozent verzögert sich nach Informationen unserer Zeitung in jedem Fall bis Juli, vielleicht sogar August. Auch Auszubildende und Praktikanten, die auf 50 Euro mehr pro Monat seit 1. März warten, gucken noch in die Röhre. Wenn die Tariferhöhung von fünf oder sechs Monaten verspätet und auf einmal nachgezahlt wird, soll das so geschehen, dass den Mitarbeitern kein steuerlicher Nachteil entsteht. Experten weisen gegenüber unserer Zeitung aber vorsorglich darauf hin, dass die Summen, die im Juli oder August auf den Gehaltszetteln stehen, unter Umständen im September oder Oktober „geringfügig nach oben oder nach unten korrigiert“ werden müssten.

„Die Verzögerungen bei den Gehaltserhöhungen sind für uns nicht nachvollziehbar, absolut unnötig und im Grunde gegenüber den Beschäftigten eine Unverschämtheit“, kritisiert Markus Freitag, Mitglied im städtischen Personalrat. Vor allem Kollegen, die in Teilzeit arbeiten oder in Niedriglohnbereichen tätig seien, hätten meist nur geringe finanzielle Spielräume und seien „jeden Monat auf jeden Euro angewiesen“.

„Die Verzögerung ist komplexen, zeitintensiven Tarifgesprächen geschuldet“

Erstellt werden die Gehaltsabrechnungen vom Kommunalen Rechenzentrum in Stuttgart. Der IT-Dienstleister mit 260 Mitarbeitern übernimmt für die Landeshauptstadt, die umliegenden fünf Landkreise und deren Kommunen neben vielen anderen Aufgaben auch die Gehaltsabrechnung der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. „Natürlich ist es bedauerlich, dass den Beschäftigten die Tariferhöhung, die ihnen rechtlich zusteht, noch nicht ausgezahlt werden konnte“, sagt Unternehmenssprecherin Maria Bieber. „Das liegt aber nicht in der Verantwortung des Rechenzentrums. Die Verzögerung ist komplexen, zeitintensiven Tarifgesprächen geschuldet.“

Für die Öffentlichkeit ist der Tarifstreit um die Bezahlung von bundesweit 1,7 Millionen Beschäftigen der Kommunen und 300.000 Beschäftigten beim Bund, die nach den gleichen Tarifverträgen bezahlt werden, beendet. Doch die Einigung der Verhandlungsführer in Potsdam am 31. März setzt nicht den Schlusspunkt: Zum einen müssen die Tarifpartner in den sogenannten Redaktionsverhandlungen das Plus von 3,5 Prozent auf rund 50 Gehaltstabellen mit Hunderten Einzelpositionen umrechnen, wobei am 1. Januar und 1. August 2013 jeweils weitere 1,4 Prozent folgen. Zum anderen gilt es, zahllose berufsbezogene Einzelvereinbarungen im Vertrag verbindlich zu fixieren.

Auch bei der Verhandlungsrunde am Donnerstag und Freitag letzter Woche konnten sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf Bundesebene nicht auf den finalen, bis 2014 gültigen Tarifvertrag einigen. Sprich: Für die Beschäftigten gibt es noch immer keinen neuen, gültigen Tarifvertrag. „Im Grundsatz und vor allem bei den Gehaltstabellen ist man sich allerdings einig“, betont Andreas Stein, Geschäftsführer des Kommunalen Arbeitgeberverbands Baden-Württemberg. Deshalb habe man die Tabellen auch Mitte Mai mit dem Zusatz „vorläufig“ freigegeben und an die Kommunen weitergeleitet. „Wer auszahlen will, kann seitdem auszahlen“, fasst Stein zusammen.

Die Arbeitgeberseite habe bereits in Potsdam ihre „endgültige Zustimmung“ zum neuen Tarifvertrag erteilt, ergänzt die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber. Seit dem 9. Mai könnten die Kommunen „im Vorgriff auf die endgültige Verständigung die höheren Entgelte unter Vorbehalt auszahlen“, betont der Spitzenverband.

„Damit sollte die Gehaltsabrechnung im Juli oder August möglich sein“

An der Stelle kommt die Datenzentrale Baden-Württemberg ins Spiel. Die Anstalt öffentlichen Rechts mit Sitz in Stuttgart bereitet für die drei kommunalen Rechenzentren im Land in Stuttgart, Karlsruhe und Reutlingen/Ulm die Daten zur Gehaltsabrechnung auf. „Ohne die Tabellen des neuen Tarifvertrags können wir das nicht leisten“, erklärt Vorstand Joachim Kischlat. Unter dem wachsenden Erwartungsdruck der Beschäftigten und Kommunen will man jetzt anhand der vorläufigen Tabellen die Daten bis Mitte Juni liefern. „Damit sollte die Gehaltsabrechnung im Juli oder August möglich sein“, verspricht Kischlat.

Dass die Datenzentrale die vorläufigen Tabellen verwendet und dadurch gegen die professionelle Überzeugung das Risiko von späteren Korrekturen eingeht, hat auch mit der Stärke der Kunden zu tun. Neben Ulm oder Mannheim hat auch Stuttgart interveniert. Wir haben Druck gemacht“, bestätigt der zuständige Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne). Die Datenzentrale habe jetzt ein „schnelles Handeln“ zugesagt, ergänzt ein Sprecher der Stadt. Daher gehe man davon aus, dass die Mitarbeiter „bereits Ende Juli den Tarifabschluss auf ihrem Konto spüren“, also einen Monat eher als bisher angenommen. „Die 3,5 Prozent kommen, niemand entsteht ein Nachteil“, betont Wölfle. Dessen ungeachtet haben einzelne Personalräte am Freitag von OB Wolfgang Schuster eine Abschlagszahlung auf die Gehaltserhöhung für alle Mitarbeiter verlangt.