Mit dieser Destillieranlage zaubert Karin Sigle fruchtige Genussmittel Foto: Gottfried Stoppel

Sie kennt die Wirkungen von Schlehen und Blutwurz, schätzt das Obst aus heimischen Streuobstwiesen und kann was damit anfangen: Karin Sigle aus Großheppach produziert im Nebenerwerb ausgefallene Destillate.

Weinstadt - Der Quittenbrand schmeckt süß und scharf zugleich. Und schnell breitet sich im Körper ein wohlig-warmes Gefühl aus, das bis in die Fußspitzen vordringt. Der Gaumen braucht eine Weile, um einordnen zu können, was man da gerade trinkt. Aber man hat ja Zeit, wenn man in dem gemütlichen Verkostungsraum in der kleinen Destillerie von Karin Sigle in Weinstadt-Großheppach (Rems-Murr-Kreis) sitzt. Der Dachstuhl ist sichtbar, alte Holzmöbel und liebevoll ausgesuchte Dekoartikel schaffen Atmosphäre. Im Sommer oder Herbst genießt man die Produkte im wunderschönen Garten mit Blick in das Gundelsbacher Tal. Bei der Verkostung von seltenen Wildobstbränden, schwäbischem Whiskey, Rosengeist und alkoholfreien Sirupen reicht Karin Sigle im Holzofen gebackenes Brot und Salzkuchen.

„Ich brenne für mein Leben gern“, sagt Karin Sigle. Rund 300 Liter pro Jahr produziert die 48-Jährige in der kleinen, aber feinen Destillerie auf ihrem Hofgut. 2008 hat sie diese Leidenschaft entdeckt, sich auf Lehrgängen an der Uni Hohenheim aber auch autodidaktisch in die Kunst des Brennens eingearbeitet. Die Agrarwissenschaftlerin führt die Destillerie bislang im Nebenerwerb. „Aber vielleicht wird auch mal mehr draus“, sagt Karin Sigle.

Man merkt ihr die Freude an. Sie erzählt von der Beeren-Maische, die es im Gärprozess in Kesseln und Bottichen rumpeln und rülpsen lässt, erklärt den Weg, den das unruhige Gemisch durch Leitungen und Brennöfen nimmt, um am Schluss die Basis für die Schnäpse, Liköre und Brände zu bilden. Mit einer Spindel misst sie den Alkoholgehalt.

Karin Sigle verarbeitet, was die umliegenden Streuobstwiesen zu bieten haben, macht aus alten Obstsorten beispielsweise den Gaishirtle-Birnenbrand, verwendet Mispeln, Schlehen oder Löwenzahn. Die unkonservierten, natürlichen Fruchtkonzentrate lagert sie in großen Tongefäßen. Daraus werden später kreative Fruchtsaftliköre.

Eine 20-köpfige Gruppe hat sich zu einer Führung angemeldet. Die wenigsten sind große Liebhaber oder gar Experten der Edelbrände, ihnen geht es um den Genuss – und den Spaziergang. Karin Sigle erzählt über Bräuche, Geschichten und die Wirkungen der wilden Früchte. Die Tour führt an alten Obstbaumbeständen, am Gundelsbach und an Weinbergen entlang. Dabei lässt die 48-Jährige die Menschen eintauchen in ihre Welt, lässt sie fühlen, riechen, schmecken. Das Wandern gehört dazu, um die Sinne zu schärfen. Man erfährt von der Vielfältigkeit des Holunders, der früher als Schutzbaum vor Blitz und Donner diente und aus dem man im Winter einen wirksamen Fiebertee gewinnen kann.

Karin Sigle verarbeitet die Pflanze zu Sirup, Geist und Brand und erklärt bei der Gelegenheit die unterschiedlichen Verfahren. Beim Geist werden die Holunderblüten in Neutralalkohol eingemaischt und anschließend destilliert. Dem Destillationsergebnis kann vor der Abfüllung noch einmal neutraler Alkohol zugesetzt werden. Ein Brand hingegen ist ein Destillat, das aus vergorener, zuckerhaltiger Maische der Beeren entsteht. Dabei müssen mindestens 100 Kilogramm Früchte auf maximal 20 Liter Alkohol kommen, und der Alkoholgehalt beträgt mindestens 37,5 % Vol. Aus Schlehen gewinnt Karin Sigle nicht nur einen Likör, sie weiß auch um die adstringierende Wirkung für Magen und Darm und die Wirkung bei Sitzbädern. Bitterstoffe des Löwenzahns sind gut für Leber, Galle und den Stoffwechsel, und aus den getrockneten Wurzeln lässt sich ein schmackhaftes Kräutersalz herstellen. Die Heimat von Mispeln ist eigentlich das Kaspische Meer, aber inzwischen sind die Früchte auch im Schwäbischen heimisch geworden. Sie werden verarbeitet wie Quitten, schmecken aber ähnlich wie Feigen.

Selbst der von Hobbygärtnern gefürchtete Giersch lässt sich im Frühling zu einer Suppe verarbeiten, Schafgarbe fördert die Verdauung, Blutwurz wirkt blutstillend. Karin Sigle ist ein wandelndes Kräuterlexikon und gibt ihr Wissen in lustigen Geschichten weiter. „Ich will die Menschen wieder für die heimischen Pflanzen sensibilisieren“, sagt Karin Sigle. Bei der Produktion ihrer edlen Tropfen setzt sie hohe Maßstäbe. Das kalkfreie Wasser bezieht sie aus einer Quelle im Schwarzwald, die Eichenfässer kommen aus Ungarn, den Williams lässt sie im Maulbeerfass reifen. Doch im Gegensatz zum Whisky gilt hier nicht: je oller, je doller. „Er ist nicht stabil und sollte nach Anbruch gleich getrunken werden“, sagt Karin Sigle. Spaß hat sie auch beim Tüfteln mit schwäbischem Whisky. Getreide, weiches Wasser und viel Zeit: Mehr braucht es nicht. Whisky muss mindestens zweimal destilliert werden und drei Jahre oder länger in Eichenfässern lagern. Ohne diese Reifezeit wäre es ein ganz normaler Doppelkorn. Karin Sigle hat drei Varianten im Angebot. Zur Verkostung gibt es nur kleine Schlucke, so dass der Alkohol nicht träge macht. Die Wirkung ist ähnlich wie beim Quittenbrand. Eine typisch-schwäbische Note gibt es nicht. Mal schmeckt er nach Honig und Karamell und manchmal nach Tabak und Lakritz. Hauptsache, er schmeckt.

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