Der angeklagte Syrer hat während des Prozesses ein Geständnis abgelegt und sich bei dem Opfer entschuldigt. Foto: dpa

In Stuttgart ist am Mittwoch ein 26 Jahre alter syrischer Flüchtling zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Mann soll in Syrien einen entführten UN-Mitarbeiter bewacht haben. Mit dem Urteil hat das Oberlandesgericht Justizgeschichte geschrieben.

Stuttgart - Am 17. Februar 2013 haben Mitglieder der terroristischen Jabhat al-Nusra den kanadischen Mitarbeiter der Vereinten Nationen (UN), Carl Campeau, in Syrien entführt. Am 17. Januar 2016 nahm ein mobiles Einsatzkommando der Polizei einen syrischen Flüchtling in Backnang im Rems-Murr-Kreis fest. Dieser Mann ist jetzt vom Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart wegen Beihilfe zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Damit hat der 5. Strafsenat des OLG in zweierlei Hinsicht Justizgeschichte geschrieben.

Der Richter kritisiert UN und Geheimdienst scharf

Laut der Bundesanwaltschaft stand in Stuttgart zum ersten Mal ein Flüchtling wegen eines Kriegsverbrechens vor Gericht. Darüber hinaus wurde am Mittwoch erstmals in Deutschland seit Erlass des Völkerstrafgesetzbuchs im Jahr 2002 ein Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen abgeurteilt.

Mit derlei Justizhistorischem hält sich Herbert Anderer, Vorsitzender Richter des 5. Strafsenats, indes nicht auf. Anderer geht vielmehr hart mit dem kanadischen Geheimdienst und mit der UN ins Gericht. Für den Prozess sei es hochproblematisch gewesen, dass die UN und der Geheimdienst dem Gericht wichtige Informationen vorenthalten hätten. „Man mag es kaum glauben, aber die UN hat kein Interesse daran gezeigt, die Entführung ihres Mitarbeiters aufzuklären“, so Richter Anderer.

Der 53-jährige Campeau, der für die UN als Rechtsberater in einem Beobachtercamp auf den Golanhöhen zwischen Syrien und Israel gearbeitet hat, hatte den 26-jährigen Angeklagten beim kanadischen Geheimdienst identifiziert. Unter welchen Umständen und anhand welcher Fotos wollte der Geheimdienst dem Strafsenat nicht mitteilen. „Deshalb kommt dem Geständnis des Angeklagten ein hoher Wert zu“, sagt der Richter. Zuerst hatte der Syrer keinerlei Angaben gemacht. Erst im Laufe des elf Monate währenden Prozesses gestand der Mann, den Entführten an mehreren Tagen bewacht zu haben.

Bundesanwaltschaft forderte sieben Jahre

Seiner Aussage nach sei er mehr oder weniger zufällig in die Entführung hineingeraten. Ein Freund habe ihn damals angerufen und ihm einen Job angeboten. Er solle in einer Villa nahe Damaskus einen Generator und die Wasseraufbereitungsanlage reparieren. Als er im Frühjahr 2013 dort angekommen sei, habe man ihn zu der Geisel geführt. Um seinen Job nicht zu verlieren – er habe Geld verdienen wollen für seine Flucht aus Syrien – habe er die westliche Geisel an einigen Tagen bewacht. Sein eigentlicher Job als Elektriker seien jedoch der Generator und die Wasserversorgung gewesen, so der 26-Jährige.

Dies sei dem Angeklagten nicht zu widerlegen, so der Richter. Es sei nicht zu belegen, dass der 26-Jährige Mitglied der Terrorgruppe Jabhat al-Nusra gewesen sei. Der Mann sei des erpresserischen Menschenraubs, der versuchten schweren räuberischen Erpressung, einer Freiheitsberaubung und eines Kriegsverbrechens gegen humanitäre Operationen schuldig – aber eben nur als Helfer, nicht als Täter. Und bei Beihilfe greife ein anderer Strafrahmen, so Richter Anderer. Deshalb könne man auch den Bundesanwälten nicht folgen, die sieben Jahre beantragt hatten. Die Verteidigung hatte auf zwei Jahre mit Bewährung plädiert.

Das Opfer nimmt Entschuldigung nicht an

Die Entführer hatten sieben Millionen US-Dollar Lösegeld gefordert. Darauf waren die UN und die kanadische Regierung nicht eingegangen. Auch der Versuch der Terroristen, mit ihrer Geisel inhaftierte Gesinnungsgenossen freizupressen, lief ins Leere. Carl Campeau konnte schließlich nach acht Monaten Geiselhaft fliehen.

Zu dieser Zeit war der Angeklagte längst weg. Im März 2015 war der 26-Jährige im Rems-Murr-Kreis gelandet, wo er später als anerkannter Asylbewerber in Kernen-Stetten lebte – bis ihn die Fahnder in Backnang dingfest machten.

Vor Gericht hat er sich bei Carl Campeau entschuldigt und ihm 500 Euro angeboten. Campeau, der mit einer Syrerin verheiratet ist, hat die Entschuldigung nicht angenommen. Und die 500 Euro solle der Angeklagte doch spenden, so der Mitarbeiter der Vereinten Nationen.