Für Graugänse bietet Böblingen eine perfekte Kombination aus See, Inseln und Wiesen. Foto: factum/Granville

Bis zu 90 Graugänse tummeln sich momentan am Oberen See in Böblingen. Das Gewässer droht zu kippen. Die Stadt versucht die Tiere mit verschiedenen Maßnahmen zu vergraulen – bisher erfolglos.

Böblingen - Für manche Familien ist es schon zum Freizeitvergnügen geworden: Mit gefüllten Tragtaschen kommen sie an den Oberen See und füttern freudig hungrige Schnäbel mit Brotresten. Graugänse sind schließlich gefällige Tiere – und ihr Nachwuchs ist einfach nur süß. „Dabei ist das gar nicht gesund für die Tiere“, sagt Andrea Mayer. Laut der Biologin geben sich Graugänse auch mit Gras zufrieden. Und dass sich mittlerweile eine Herde von bis zu 90 Gänsen am Oberen See heimisch fühlt, ist auch für das Gewässer alles andere als gesund. Die Verwaltung hat deshalb einen ganzen Katalog an Maßnahmen aufgelegt, damit Böblingen kein Anziehungspunkt mehr für die unter Naturschutz stehenden Vögel ist. „Wir wollen kleine und gesunde Bestände“, erklärt Andrea Mayer.

Vor drei Jahren sind die Graugänse erstmals am Oberen See gelandet. Am Stuttgarter Max-Eyth-See wurde der Platz zu eng, die Vögel hielten nach einer neuen Brutstätte Ausschau. Bis nach Heilbronn und Plochingen sind sie ebenfalls schon ausgeschwärmt. Damals wurden die Tiere beringt, was ihre Herkunft erklärte. Diese Praxis ist aber mit ihrem starken Wachstum aufgegeben worden. Wild sind die Graugänse laut Andrea Mayer schon lange nicht mehr, stattdessen haben sie sich dem Stadtleben angepasst: „Sie sind handzahm und betteln aggressiv“, berichtet die Biologin von der Abteilung Umwelt und Grünflächen im Rathaus. Von den einstigen Zugvögeln fliegen im Winter auch nicht mehr alle in den Süden, sondern bleiben im Land.

Am Bootshaus-Ufer soll in einer solchen Walze Schilf wachsen

Für die Graugänse sind die Böblinger Gegebenheiten mit der Kombination aus Wasser, Inseln und Wiese perfekt. „Am Oberen See fühlen sie sich besonders wohl“, sagt Andrea Mayer, weshalb aus den anfänglich vier Paaren schnell mehr wurden. Nach Meinung einiger Experten ist die natürliche Grenze einer Herde erst bei 200 Vögeln erreicht. Bis dahin will die Verwaltung aber nicht warten. Abgesehen davon, dass die Wiesen im Stadtpark mit ihren Hinterlassenschaften übersät sind, gefährden sie die Fische im See. Für den Abbau des Kots wird Sauerstoff benötigt, laut den Messungen der Stadt ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Angler haben sich über die Verschmutzung bereits beschwert.

Da Graugänse niedrige Rasen mit Sichtkontakt zum Wasser mögen, wurde das Mähen beim Ufer – wo möglich – eingeschränkt. Auf diese Weise könnten auch die Spielplätze besser vor den Tieren geschützt werden. Am Südufer des Oberen Sees wurde eine Röhrichtwalze eingebaut. Dabei handelt es sich um eine Art Trog für ein Pflanzenbiotop im Uferbereich. Am Bootshaus-Ufer soll in einer solchen Walze Schilf wachsen, um den Graugänsen den Zugang zum Wasser zu versperren. Im vergangenen Dezember war die dortige kleine Insel schon abgeholzt worden, weshalb die Vögel dort ihre Brut aufgegeben haben. Diese Prozedur ist nun auf der zweiten Insel und auf der Insel im Murkenbach-See wiederholt worden. Außerdem untersucht die Abteilung Umwelt und Grünflächen gerade, ob die große Insel im Oberen See tiefer gelegt werden kann, um daraus ein hochwertiges Unterwasserbiotop zu machen.

Eine härtere Gangart ist nicht möglich

Die Abwehrmaßnahmen sind mit Experten des Naturkundemuseums Stuttgart, des Regierungspräsidiums und des Landratsamtes abgesprochen. Eine härtere Gangart ist gegen die geschützte Art nicht möglich. Ein Eiertausch würde allerdings nichts bringen, da die dadurch entstehenden Lücken durch nachziehende Vögel wieder aufgefüllt werden. Mit der verhältnismäßig behutsamen Vorgehensweise soll der Bestand langfristig reguliert werden. Dafür seien etwas Geduld und Disziplin nötig, sagt Andrea Mayer. „Wenn es ihnen gefällt, dann suchen Graugänse ihre alten Brut- und Überwinterungsgebiete immer wieder auf und bleiben“, sagt die Biologin. Besonders wenn sie gefüttert werden, entwickelten sie eine große Treue.