„Es ist nichts passiert, außer dass ich mich selbst geschädigt habe.“ Jürgen Kessing bedauert seine Trunkenheitsfahrt. Foto: factum/Archiv

Der Oberbürgermeister wird mit mehr als 1,1 Promille Alkohol am Steuer erwischt. Nun bedauert er sein Verhalten – und dass „solche Dinge hochkochen müssen“. Bis gestern hat er den Verlust seiner Fahrerlaubnis als Geheimsache behandelt.

Bietigheim-Bissingen - Die Sache, um die es geht, liegt exakt fünf Wochen zurück. In der Nacht zum 21. Juni ist der Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen, Jürgen Kessing in eine Polizeikontrolle geraten – und hat an Ort und Stelle seinen Führerschein abgeben müssen. Knapp über 1,1 Promille hat der Alkoholtest ergeben. „Es tut mir Leid, dass das passiert ist“, sagt Jürgen Kessing, SPD, nun, da sein Verhalten bekannt geworden ist. Und der 60-Jährige betont, dass bei der verhängnisvollen Fahrt nichts passiert sei – „außer dass ich mich selbst geschädigt habe“.

Absolute Fahruntüchtigkeit

In jener Nacht war Jürgen Kessing auf dem Heimweg von der geselligen Nachsitzung des Gemeinderats, der zuvor im Ratssaal – unter anderem – den aktuellen Bericht über die Kriminalitäts- und Verkehrsstatistik in Bietigheim-Bissingen präsentiert bekommen hatte. Was genau er in der Gaststätte getrunken hat, sagt Jürgen Kessing nicht. Nur dass es Nacht war, sagt er, „nach einem langen Arbeitstag“. Und dass er knapp über 1,1 Promille Alkohol im Blut hatte, gibt er zu.

Ab einem Wert von 1,1 Promille ist die so genannte absolute Fahruntüchtigkeit erreicht. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Zustand einen Unfall zu verursachen, ist zehnmal höher als unter nüchternen Bedingungen. Selbst wenn ein derart betrunkener Fahrer keinen Unfall verursacht, ist das Fahren strafbar. Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamts in Flensburg wird eine solche Tat mit drei Punkten geahndet, einer Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren und natürlich mit dem Entzug des Führerscheins. Die Dauer variiert laut dem Bundesamt zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. In extremen Fällen, kann der Führerschein auch für immer einbehalten werden.

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Was Jürgen Kessing erwartet, weiß er noch nicht. Und auch nicht, wann die Strafe feststeht. Er weiß aber schon jetzt: „Die Strafe trage ich natürlich.“ Seinen Angaben zufolge hatte er abwarten wollen, bis die Staatsanwaltschaft das Verfahren abgeschlossen hat – und die Information dann öffentlich machen wollen. Bis jetzt wusste nur seine unmittelbare Umgebung vom Verlust seiner Fahrerlaubnis.

Gleichwohl war einigen Bietigheimern bereits aufgefallen, dass der Oberbürgermeister in den vergangenen Wochen viele Termine mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln absolvierte – und dass er Gesellschaften früher verließ oder später zu ihnen stieß. Als ob, so wurde spekuliert, es nicht auffallen sollte, dass der OB seinen Mercedes E 350 nicht selbst lenkt, sondern dass er gefahren wird. „Zum Glück gibt es viele nette Menschen, die angeboten haben, mich zu fahren“, sagt Kessing, der für bestimmte Anlässe seit jeher auf einen Chauffeur zurückgreifen konnte. „Ich kann meinen Dienst weiter verrichten“, sagt Kessing, der am Montagabend schließlich den Ältestenrat über die Geschehnisse in der Nacht zum 21. Juni informierte.

Trost vom Staatsanwalt

Dass sie unbemerkt bleiben würden, hatte der OB eigenen Angaben zufolge nicht zu hoffen gewagt. „Das war nur eine Frage der Zeit“, sagt Kessing, als er am Montag von dieser Zeitung auf seinen abgegebenen Führerschein angesprochen wird. Und dass es bedauerlich sei, „dass solche Dinge hochkochen müssen“.

Kessing, der außer Oberbürgermeister auch Kreis- und Regionalrat ist, soll im November der neue Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes werden. Eine Findungskommission hatte den sportaffinen Rathauschef zum Nachfolger von Clemens Prokop auserkoren.

Die zuständige Staatsanwaltschaft in Heilbronn äußert sich zu dem Verfahren übrigens nicht. Allerdings hat Jürgen Kessing, wie er berichtet, von dort tröstende Worte gehört. Ein Oberbürgermeister, soll der Strafverfolger gesagt haben, sei auch nur ein Mensch.

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