Die OB-Kandidaten (von links): Wilhelm, Loewe, Rockenbauch, Turner und Kuhn. Foto: Peter-Michael Petsch

OB-Bewerber diskutieren auch über die Zukunft von S21. Turner empört das Publikum.

Stuttgart - Mit einem derart großen Andrang hatte wohl niemand gerechnet: Bei einer Diskussionsveranstaltung der „ArchitektInnen für K 21“ mit den Kandidaten für die anstehende Oberbürgermeisterwahl platzten Großer und Kleiner Saal (Videoübertragung) im Rathaus aus allen Nähten. Niemand wurde mehr eingelassen, am Tor machten die verhinderten Besucher ihrer Empörung Luft.

Nicht minder rüde ging es im Saal bei der Diskussion zu, bei der sich die Kandidaten kritischen Fragen auch aus dem überwiegend Stuttgart-21-kritischen Publikum stellen mussten. Letzteres zeigte während der fast dreistündigen Veranstaltung unverhohlen seine Abneigung besonders gegenüber dem S-21-Befürworter Sebastian Turner, der für CDU, Freie Wähler und FDP ins Rennen geht und offenbar nicht gedachte, die bisweilen feindselige Menge mit versöhnlichen Tönen zu umwerben. Auf die einleitende Frage des Moderators Jo Frühwirth, was die Kandidaten denn an Stuttgart liebten, antwortete Turner, die maximale Redezeit von einer Minute deutlich unterschreitend, schlicht: „Ich liebe eine Stuttgarterin, und habe sie deshalb geheiratet.“

In der Diskussionsrunde Platz genommen hatten auch die anderen Kandidaten Bettina Wilhelm (für die SPD), Fritz Kuhn (Grüne), Jens Loewe (parteilos) und Hannes Rockenbauch (SÖS). Nur der sechste Bewerber, der Pirat Harald Hermann, war verhindert.

Wilhelm schien derweil von ihrer einst S-21-kritischen Haltung ein wenig abzurücken

Im Zentrum der Podiumsdiskussion stand erwartungsgemäß die Position der möglichen künftigen Stadtoberhäupter zum Projekt S 21. Der parteilose Werbeunternehmer Sebastian Turner stand gerade in dieser Frage allein auf weiter Flur. Er wolle als OB dafür sorgen, sagte er, dass die Rechnung, die auf die Stadt zukomme, nicht größer werde. „Es darf zudem keine Verzögerung beim Bau geben, hier muss Druck auf die Bahn ausgeübt werden.“ Buhrufe im Publikum.

Bettina Wilhelm schien derweil von ihrer einst S-21-kritischen Haltung ein wenig abzurücken. Sie erklärte, der Kostendeckel sei „weit angeknabbert“, über eine mögliche Hebung müsse es einen Bürgerentscheid geben. Bei der höchst umstrittenen Frage der Kapazität müsse sie auf die „Expertenmeinung“ der Bahn verweisen. Gelächter im Raum. Grünen-Kandidat Fritz Kuhn machte klar, es sei Aufgabe des künftigen OB, „der Bahn auf die Finger zu schauen und notfalls zu hauen“. Noch sei unklar, ob die Bahn die Sicherheit in dem „Engpassbahnhof“ gewährleisten könne. Kuhn erklärte, die alten Gleisanlagen müssten daher erhalten bleiben, bis alle Fragen geklärt seien. Dafür machte sich auch Hannes Rockenbauch stark, auch wenn er ansonsten kategorisch blieb: „Zum Wohle der Stadt muss der neue OB das Projekt stoppen.“ Jubel im Saal. Der Wasserforumsaktivist Jens Loewe bezeichnete das Bahnhofsprojekt als „Jahrhundert-Täuschung“. Er gehe davon aus, dass S 21 am Ende nicht realisiert werde.

Falsche Einschätzung der Ausgangslage

Auch bedingt durch ihre politischen Haltungen waren die Positionen der Kandidaten in der Diskussion höchst unterschiedlich. So tat sich Fritz Kuhn zuweilen schwer damit, zwischen grüner Regierungsverantwortung und kritischer Grundhaltung einen Standpunkt zu finden. Bettina Wilhelm versuchte es mit einer eher emotionalen Ansprache, stieß damit jedoch auf unerwarteten Gegenwind und bemerkte schließlich: „Ich spüre hier eine gewisse Aggressivität.“

Auch Sebastian Turner schien die schwierige Ausgangslage an diesem Abend falsch eingeschätzt zu haben und traf den Nerv der Zuhörer nicht. Etwa als er den S-21-Konflikt mit der Diskussion um den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche verglich. „Wollen Sie den Bahnhof wieder aufbauen?“, spöttelte darauf Hannes Rockenbauch. Das Publikum hätte sich mit diesem Gedanken wahrscheinlich anfreunden können.