Bald ist es geschafft: Abiturienten bei der schriftlichen Prüfung Foto: dpa

Noch nie gab es so viele Einser-Abiturienten wie bisher. Der Philologenverband vermutet, dass die Ansprüche gesenkt wurden. Musterland Thüringen lässt das für sich nicht gelten.

Noch nie gab es so viele Einser-Abiturienten wie bisher. Der Philologenverband vermutet, dass die Ansprüche gesenkt wurden. Musterland Thüringen lässt das für sich nicht gelten.

Stuttgart - Thüringen ist auf dem Vormarsch. Schon 2006 war das Land mit einem Abiturschnitt von 2,33 Spitzenreiter unter den Bundesländern, in diesem Jahr haben die Abiturienten sogar einen Notendurchschnitt von 2,17 erreicht. Auch in anderen Bundesländern haben sich die Abiturnoten auffällig verbessert. Von 2006 bis 2012 erhöhte sich der Anteil der Abiturzeugnisse mit einem Schnitt von 1,0 bundesweit um 40 Prozent. Den größten Sprung machte dabei Berlin. Während dort der Durchschnitt der Abiturzeugnisse im Jahr 2006 noch bei 2,7 lag, verbesserte er sich bis 2012 auf 2,4.

Hier unsere bundesweite Übersicht:

Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern sind von dieser Notenverbesserung ausgenommen. Im Südwesten hat sich der Schnitt sogar leicht verschlechtert – von 2,38 im Jahr 2006 auf 2,41 im Schuljahr 2012/13. Auch der Anteil der Abiturienten, die mit einer glatten Eins die Schule verließen, ging von 1,79 auf 1,44 Prozent zurück. Damit rutschte Baden-Württemberg von Platz eins auf Platz sechs.

Bei den Abschlussnoten im Südwesten gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen den allgemeinbildenden und den beruflichen Gymnasien. Nach Angaben des Statistischen Landesamts schwanken die Werte seit 1990 zwischen 2,42 und 2,29 an den allgemeinbildenden Gymnasien, an den beruflichen Gymnasien zwischen 2,64 und 2,55. Die Schüler der beruflichen Gymnasien kämen von vielen unterschiedlichen Schulen – etwa Realschulen, Hauptschulen und Berufsfachschulen – und brächtenhäufig „etwas schwächere Eingangsvoraussetzungen mit als die der gleichen Altersgruppe, die nach der Grundschule direkt auf ein allgemein bildendes Gymnasium wechseln“, sagte Ministeriumssprecher Roland Peter.

Aber auch Schwankungen bei den Notendurchschnitten und beim Anteil der Einserabiturienten sind aus Peters Sicht nicht ungewöhnlich. Aus diesen Unterschieden zwischen den Ländern könne man nicht darauf schließen, dass die Anforderungen weit auseinandergehen.

„Dass unsere Abiturnoten in Baden-Württemberg relativ stabil sind, ist eine Folge davon, dass auch unsere Anforderungen am Gymnasium stabil sind“, sagt Bernd Saur, Landesvorsitzender des Philologenverbandes Baden-Württemberg, der Vertretung von Gymnasiallehrern. Er ist jedoch davon überzeugt, dass in anderen Ländern die Leistungsansprüche beim Abitur teilweise reduziert wurden. Bei der geplanten Angleichung der Abiturstandards in der Kultusministerkonferenz ab 2017 dürfe das Niveau keinesfalls weiter gesenkt werden, warnt er. „Damit wird den Menschen Sand in die Augen gestreut.“

Der Deutsche Philologenverband spricht gar von einer „Noteninflation“. Dieselbe Leistung werde heute vielerorts besser bewertet als früher, sagt der Bundesvorsitzende Heinz-Peter Meidinger. Mit einer milderen Bewertung des Abiturs wollten manche Landesregierungen erreichen, dass Eltern und Schüler die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre akzeptieren. Einen weiteren Schwachpunkt sieht er in der sogenannten Kompetenzorientierung der neueren Bildungspläne. Im Unterschied zu früher stehe nicht mehr das Fachwissen im Vordergrund der Bewertung.

Durch diese Entwicklung werde das Abitur immer mehr entwertet, befürchtet Meidinger. Das schade den Studenten. Trotz guter Noten würden sie den Ansprüchen der Hochschulen nicht gerecht. Benachteiligt würden aber auch die Abiturienten aus Ländern mit strengeren Maßstäben – dies werde bei der Vergabe von Studienplätzen nicht berücksichtigt.

In Thüringen gebe es keine Noteninflation, sagt Stefan Schuhmacher, ein Sprecher im Kultusministerium. Vielmehr könnten die Gymnasien gut arbeiten, weil es schon seit der DDR-Zeit das achtjährige Gymnasium gibt – andere Ostländer hatten die Gymnasialzeit zeitweise auf neun Jahre verlängert. Außerdem gebe es klare Vorgaben – in Deutsch, Mathe, Heimat- und Sachkunde müssen die Grundschüler mindestens eine Zwei haben. Das erreichen über 43 Prozent der Grundschüler. Möglicherweise, weil sie in der Grundschule wöchentlich zwei Stunden mehr Pflichtunterricht haben als etwa die Grundschüler im Südwesten.