In Nürtingen feiern die Bewohner ein buntes Fest. Foto: Franz Feyder

In Nürtingen feiern Hunderte ein Fest in der Innenstadt – und demonstrieren damit lautstark gegen sich abschottende Rechtspopulisten.

Nürtingen - Drinnen in der lichtdurchfluteten Nürtinger Stadthalle ließen die, die sich in Baden-Württemberg für die Alternative für Deutschland halten, die grauen Jalousien runter. Draußen färbte die Sonne den Himmel blau, wölbte sich ein zentimeterdicker Eispanzer über den Wasserstrahl des Ochsenbrunnens im Stadtzentrum und feierte das Volk. Christen, Gewerkschaftler, Schüler, Lehrer, Sozialdemokraten, Linke, Flüchtlinge und Sportler schenkten Kaffee, Tee und Punsch aus, musizierten und tanzten auf der Straße. Gerade anderthalb Wochen hatten sie Zeit, die Party zu organisieren. Deren Motto: „Nürtingen ist bunt!“

Wir zeigen, sagte Stadtrat Pot Lohse, dass wir „eine Stadt mit vielen Gesichtern und Facetten sind: Lebenslustig, diskussionsfreudig und tolerant“. Der Sozialpädagoge und seine ungezählten Mitstreiter wollen nicht nur ein positives Bild in den Köpfen der Nürtinger entstehen lassen, sondern „Vielfalt und Kreativität, Kompromissbereit und Einfühlungsvermögen, erlebbar machen“. Waffelduft wehte über den Wochenmarkt, die Melodien eines Chores perlten durch die Innenstadt, eine Reggaeband übertönte das Knattern des Polizeihubschraubers, der seine Runden schwebte.

Provozierte Rangelei

Flugstunden, die die Polizei nicht brauchte. Zweimal blockierten Demonstranten die Schleusen, durch AfD-Delegierte zur hermetisch abgeriegelten Stadthalle und ihrem Landesparteitag eilten. Bereitschaftspolizisten hatten Gassen freigehalten, durch die die Abgesandten zu ihrem Versammlungsort gelangen konnten. Ein System, dass nicht jeder AfDler verstand: „Lassen Sie mich durch! Das ist mein Recht“, herrschte einer die Jugendlichen an, die ihm den direkten Zugang mit einem Transparent versperrten. Als der Rechtspopulist einem Demonstranten an den Oberarm griff, kam es zur Rangelei. Die beendete eine Handvoll Polizisten sekundenschnell. Ihr Pressesprecher verzeichnete zudem einzelne Eier und Tomaten, die in Richtung Stadthalle geflogen seien. „Insgesamt war das ein unglaublich friedlich Protest“, resümierte ein Schutzmann. Vor ihm spielten Kinder mit Luftballons, schwätzten Alte beim Kaffee und lachten im Zentrum der fast 800 Jahre alten Stadt. Auf das Schaufenster einer nahegelegenen Buchhandlung kleben Passanten bunte Zettel. Auf denen haben sie geschrieben, warum ihre Heimatstadt für sie bunt und weltoffen ist: „Weil Liebe keine Grenzen kennt!“

Hinter den verdunkelten Fenstern und verschlossenen Türen der Stadthalle steckten derweil die Funktionäre der sogenannten „Alternative für Deutschland“ (AfD) ihre Köpfe zusammen, sammelten draußen Nürtingerinnen und Nürtinger Geld für weitere solcher Aktionen. Immer wieder griff einer der Organisatoren des Volksfestes ein Mikrofon und berichtete, wieviel Geld die Aktionsgemeinschaft für künftige Aktionen eingenommen hat. Ein älterer Mann witzelte: „Von dieser Transparenz können sich die AfDler eine Scheibe abschneiden!“ Obwohl einen Löwenanteil der Parteieinnahmen Steuergelder und –begünstigungen ausmachen, verweigerten die Parteifunktionäre Journalisten auch in Nürtingen, an ihrem Treffen teilzunehmen.

Probleme mit den Medien

Offenbar eine strategische Entscheidung. Dem Berliner Tagesspiegel liegt ein parteiinternes, als vertraulich gekennzeichnetes Papier vor. Nach dem betont die AfD, „mit dem größten Teil der Medienlandschaft“ Probleme zu haben, vor allem mit den Fernsehsendern und den Printmedien. Deshalb diskutieren die AfDler, eigene Medien zu gründen: „Hierzu können zum Beispiel ein eigenes Fernsehstudio, eigener Radiosender, eine eigene Zeitung/Zeitschrift oder andere Publikationen, zum Beispiel Bücher AfD-freundlicher Autoren gehören.“

Das passt den Parteistrategen vor allem aus einem Grund in den Kram: Nach dem Konzept wollen sie „ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein“ und auch „vor sorgfältig geplanten Provokationen nicht zurückschrecken“. Als solche dürfte auch die Rede des Thüringer AfDlers Bernd Höcke am vergangenen Dienstag in Dresden gelten. Der frühere Geschichts- und Sportlehrer hatte das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und eine „eriunnerungspolitische Wende um 180 Grad“ in Deutschland gefordert. Parteifreunde distanzierten sich zwar von einem „Alleingang Höckes“, nicht jedoch von dessen Äußerungen.

„Danke Deutschland!“

Das tun dafür Nürtingens Bürger umso eindeutiger: Nicht das Holocaust-Denkmal sei eine Schande, „sondern Sie Herr Höcke“ druckten sie auf Plakate. Und: Sie verfassten eine gemeinsame Erklärung. Nach der basiert das Parteiprogramm der AfD darauf, Wähler durch Angst und Ausgrenzung zu mobilisieren. „Dem gegenüber stehen wir mit einer Haltung, deren Grundlage Respekt, Toleranz, Solidariät, (Welt-) Offenheit und Nächstenliebe in einem demokratischen, vielfältigen und lebensbejahenden Umfeld verkörpert.“

Dem fühlten sich auch die aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan und Athiopien Geflohenen, die in Nürtingen eine neue Heimat gefunden haben. Viele von ihnen sprechen Deutsch, das sie bei ungezählten ehrenamtlichen Helfern gelernt haben. „Danke Deutschland!“ schrieben sie auf ein Transparent. Und: „Unser Beileid für die Familien der Opfer in Berlin!“ Die Banner hätten die Flüchtlinge selbst gemalt, erzählte eine Helferin. Lediglich auf die Grammatik hätten die Deutschen ein Auge geworfen.

Schon vor Monaten hatten viele Flüchtlinge sich nach den Attentaten in Würzburg und Ansbach an ihre deutschen Freunde gewandt. Sie wollten sich von den Taten der islamistischen Terroristen distanzieren. Denn, sagt ein junger Mann aus Aleppo, „Deutschland hat mir ein neues Leben geschenkt“. Das Stadtfest sei ein guter Moment gewesen, sagte die deutsche Helferin, den Wunsch der Geflohenen in die Öffentlichkeit und in die Stadt zu bringen.

In der feierten Nürtinger lautstark. Das muss selbst hinter den heruntergelassenen Jalousien der Stadthalle bei denen zu hören gewesen sein, die die Öffentlichkeit scheuen und sich abschotten.