Die Todesumstände des V-Manns „Corelli“ sind ungeklärt. Foto: sb

Im Fall Corelli gibt es neue Merkwürdigkeiten. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss hat ein Rechtsmediziner seine Aussage über einen natürlichen Tod des V-Manns relativiert.

Düsseldorf - Vor gut zwei Jahren war der in einem Schutzprogramm betreute V-Mann „Corelli“ tot in seiner Wohnung aufgefunden worden. Nachdem die Behörden bislang von einer natürlichen Todesursache in Folge einer nicht entdeckten Diabetes-Erkrankung ausgingen, steht dies jetzt wieder in Frage. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag hat der damals verantwortliche Rechtsmediziner gesagt, dem früheren V-Mann könne damals sehr wohl auch ein Gift beigebracht worden sein, dass den tödlichen Zuckerschock erst ausgelöst habe.

Die Obduktion des Anfang April 2014 unerwartet verstorbenen „Corelli“ hatte als Todesursache ein sogenanntes ketotisches Koma nach Hyperglykämie ergeben, also ein diabetisches Koma nach einem krankhaften Anstieg des Blutzuckerspiegels. Zwar war eine Diabetes-Erkrankung des Ex-V-Manns bis dahin medizinisch nie festgestellt worden, was zu Spekulationen über eine mögliche Vergiftung führte. Der Rechtsmediziner Professor Werner A. Scherbaum, der die Obduktion damals vornahm, stellte in seinem Gutachten jedoch fest, es gebe „keine Substanz, die eine zu ketotischem Koma führende Hyperglykämie auslösen kann“.

Gutachter bringt Rattengift ins Spiel

Diese Schlussfolgerung seines Gutachtens nahm Scherbaum nun vor dem NSU-Ausschuss in Düsseldorf überraschend zurück. Nachdem er sich in den letzten Monaten noch einmal mit dem Thema befasst habe, sei er nun sicher, dass das Rattengift Vacor sehr wohl ein solches diabetisches Koma auslösen könne, sagte er. Deshalb wollte der Rechtsmediziner nun nicht mehr ausschließen, dass der V-Mann seinerzeit auch vergiftet worden sein könnte. In einem neuen toxikologischen Gutachten ließe sich dies aber aufklären, da noch Gewebematerial des Leichnams vorhanden sei, so Scherbaum.

Hinter dem Decknamen „Corelli“ verbarg sich der Neonazi Thomas Richter, der 18 Jahre lang für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die rechte Szene ausspionierte und dafür insgesamt mehr als 300 000 Euro Agentenlohn erhalten hatte. Er gilt auch als eine Schlüsselfigur in der NSU-Affäre, obwohl seine mögliche Verbindung zum NSU-Trio bislang ungeklärt ist. Allerdings war der V-Mann unter anderem 2005 an der Herstellung einer CD mit rechtsextremen Bild- und Textmaterial beteiligt, die den Namen „NSU/NSDAP“ trug und die er damals selbst dem Bundesamt übergab. Nach dem zufälligen Fund der CD im Archiv des BfV im Jahr 2014 sollte „Corelli“ vom Bundeskriminalamt dazu vernommen werden. Kurz vor dem Termin aber verstarb er.

Der V-Mann war im September 2012 im Zuge des NSU-Skandals enttarnt und daraufhin vom BfV in ein Schutzprogramm übernommen worden. Er bekam eine neue Identität unter dem Namen „Thomas Dellig“, das BfV finanzierte ihm Umschulungsmaßnahmen sowie einen Englischkurs mit Privatlehrer im Ausland. Seit Oktober 2013 lebte „Dellig“ alias Richter in einer Mietwohnung im Paderborner Stadtteil Schloss Neuhaus.

Tot aufgefunden

Dort hatte sich der abgeschaltete V-Mann am 2. April 2014, einem Mittwoch, per Telefon bei seinem Betreuungsteam krank gemeldet und einen für den darauffolgenden Tag angesetzten Treff abgesagt. Einen Tag später schickte er eine letzte WhatsApp-Nachricht an seine Kontaktleute vom BfV, in der er erneut schrieb, dass er krank sei. Obwohl „Corelli“ auf wiederholte Anrufe an den folgenden Tagen nicht reagierte, tauchten seine Betreuer vom BfV erst am Montagnachmittag, dem 7. April, an dessen Wohnhaus auf. Vom Vermieter ließen sie schließlich die von innen verriegelte Wohnungstür aufbrechen, wo sie „Corelli“ tot auf dem Bett fanden.

Aus den in der Wohnung aufgefundenen Handys geht hervor, dass der frühere V-Mann am frühen Morgen des 4. April im Internet nach Ärzten in Paderborn gesucht hat, an die er sich wegen heftiger Bauch- und Magenschmerzen wenden könnte. Der letzte Seitenaufruf stammt von 4.51 Uhr. Bald danach ist „Corelli“ vermutlich ins Koma gefallen. Bei der Wohnungsdurchsuchung stieß die Polizei auch auf rund 120 Tabletten eines Viagra-Generikamittels. Woher diese stammen und ob der ehemalige V-Mann damit vielleicht gehandelt hatte, wurde nie aufgeklärt. Auch wurden die Tabletten nicht auf mögliche toxische Inhaltsstoffe untersucht, weil sich der Rechtsmediziner frühzeitig auf einen natürlichen Tod festgelegt hatte.