Akten des NSU-Untersuchungsausschusses im baden-württembergischen Landtag: Der Abschlussbericht der Parlamentarier umfasst 997 Seiten. Foto: dpa

Baden-Württembergs Abgeordnete hören für diese Wahlperiode auf, dem NSU nachzuspüren . Ihr Fazit: Die Polizistin Kiesewetter wurde von den NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt ermordet. Es gibt keine Hinweise, dass die beiden Helfer hatten.

Stuttgart - Fast 1000 Seiten ist der Bericht dick, dem die Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschusses im baden-württembergischen Landtag am heutigen Freitag ihren Segen geben wollen. Ein Jahr lang haben sie sich bemüht, vor allem eine Frage zu beantworten: Welche Verbindungen hatte die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) in den Südwesten Deutschlands?

Der NSU soll zwischen den Jahren 2001 und 2007 zehn Menschen – neun türkisch- und griechischstämmigen Männer – ermordet haben. Und als letzte Bluttat im April 2007 in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter. Sie sei, legen sich die Parlamentarier fest, zweifelsfrei von den NSU-Mitgliedern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen worden. Das Duo hätte auch auf Kiesewetters Kollegen Martin Arnold geschossen und diesen lebensgefährlich verletzt.

Für ihre These führen die Abgeordneten vor allem Indizien ins Feld: So wurde in einem Zimmer des mutmaßlichen Unterschlupfs des NSU-Trios in Zwickau eine Jogginghose gefunden, die außer Blutspuren Kiesewetters auch DNA-Mischspuren von Mundlos und Böhnhardt aufweist. Böhnhardt soll das Wohnmobil angemietet haben, dass Fahnder am Mordtag bei einer Ringfahndung nahe der Autobahn 81 bei Oberstenfeld beobachteten.

Kieswetter und ihr Kollege seien – sagen die Abgeordneten – zufällig als Opfer ausgewählt worden. Zwar könnten sie nicht ausschließen, dass Helfer die Mundlos und Böhnhardt unterstützt hätten. Es gebe aber auch keine Hinweise, die dies nahelegten.

Diplomatisch behutsam beschreiben die Parlamentarier auf 997 Seiten und zwölf als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ eingestuften Seiten auch Ermittlungsfehler und -pannen – eine zaghafte Kritik. Denn: „In der Gesamtschau der Ermittlungen ist der Ausschuss zu der Überzeugung gelangt, dass selbst bei einer fehlerfreien Abarbeitung aller Spuren ein Zusammenhang zwischen der Tat auf der Theresienwiese am 25. April 2007 und einer Täterschaft des NSU-Trios zeitlich früher nicht erkennbar war“, bilanzieren die Politiker.

„Keine Anhaltspunkte“, aus denen sich ein Mord-Motiv herleiten ließe

Die finden vor allem „keine Anhaltspunkte“, aus denen sich ein Motiv für den Mord herleiten ließe. Sie formulieren, sie hätten „in den gesamten Ermittlungsakten ... keinen einzigen Anhaltspunkt dafür gefunden hat, dass Michèle Kiesewetter wie auch immer geartete Kontakte zur rechtsextremistischen Szene gehabt haben könnte“. Dabei gibt es gerade bei den Vernehmungen von Zeugen in Kiesewetters thüringischem Heimatort etliche Hinweise, dass Kiesewetter bei ihrem letzten Besuch in Oberweißbach mit dem Bruder einer Rechtsrockband sprach, die vom thüringischen Verfassungsschutz beobachtet wird. Der Lebensgefährte von Kiesewetters bester Freundin, sagen Zeugen, werde „Aushilfs-Nazi“ genannt.

Die Abgeordneten sind zudem sicher, dass die blutverschmierten Männer, die Zeugen in der Nähe des Tatortes auf der Theresienwiese sahen, nichts mit dem Mord zu tun haben: „Im Ergebnis kann der Ausschuss nicht ausschließen, dass bei einzelnen ‚Blutverschmierten’ ein Tatzusammenhang bestehen könnte, hält dies jedoch für sehr unwahrscheinlich.“

Greifbarer sind für die NSU-Rechercheure die Konsequenzen, die sie in harmonischer Eintracht aus ihrer Beschäftigung mit dem NSU ziehen: So fordern die Parlamentarier die Landesregierung auf, „ob dem verfassungsrechtlichen Gebot der effektiven Strafverfolgung zur besseren Durchsetzung verholfen werden kann, indem den Ermittlungsbehörden die Befugnis erteilt wird, auf die für eine beschränkte Zeit durch Telekommunikationsanbieter zu speichernden Daten bei schweren Straftaten zuzugreifen“. Das heißt: Selbst Grüne wollen den Ermittlern erlauben, auf Informationen aus der Vorratsdatenspeicherung zuzugreifen. Zudem sei „zu überlegen, ob die Landespolizei und das Landesamt für Verfassungsschutz zum Zweck der Terrorismusbekämpfung die Befugnis zur Durchführung von Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung erhalten“ soll.

Der Polizei empfehlen die Parlamentarier, „bei der Verfolgung schwerer, insbesondere gewaltbezogener Straftaten in der rechtsextremistischen Szene vor dem Ermittlungsinstrument des verdeckten Ermittlers nicht zurückschrecken und dessen Einsatz in geeigneten Fällen stets“ zu prüfen.