Beate Zschäpe vor Gericht. Im Münchner NSU-Prozess hat die Hauptangeklagte bisher eisern geschwiegen. Doch jetzt will sie sich äußern. Foto: dpa

Werden die Taten der NSU doch noch aufgeklärt? An diesem Mittwoch will die mutmaßliche Rechtsterroristin Stellung nehmen.

München - Nach 248 Verhandlungstagen will Beate Zschäpe ihr Schweigen brechen und ihren Anwalt eine Erklärung verlesen lassen. Auch Fragen will sie beantworten – aber in ungewöhnlicher Weise.
Was wird Zschäpe vorgeworfen?
Seit sich die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe am 8. November 2011 selbst der Polizei in Jena stellte, schweigt die 40-Jährige. Der Jenaerin wird vorgeworfen, zwischen 2000 und 2007 als Mitglied des mutmaßlich rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds ( NSU) zehn Menschen heimtückisch ermordet zu haben: neun Migranten sowie die Polizistin Michèle Kiesewetter. Zudem soll sie an zwei Sprengstoffanschlägen 2001 und 2004 in Köln und an 15 Banküberfällen beteiligt gewesen sein. Zschäpe, sind die Ankläger der Bundesanwaltschaft überzeugt, habe als gleichberechtigtes Mitglied des NSU zusammen mit ihren Kumpanen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos geplant.
Warum sagt Zschäpe jetzt aus?
Die bisherige Beweisaufnahme ergab an 248 Verhandlungstagen, dass Zschäpe von den mutmaßlich auch von Böhnhardt und Mundlos ausgeführten Morden wusste: Sie hat offenbar das sogenannte Paulchen-Panther-Video, in dem sich der NSU zu den Bluttaten bekennt, geschnitten. Ihre Fingerabdrücke wurde auf Umschlägen gefunden, in denen das Video im November 2011 verschickt wurde. Dass Zschäpe eines der Verstecke des Trios in Zwickau in Brand setzte und dabei den Tod einer alten Nachbarin in Kauf nahm, scheint erwiesen. Ihr droht lebenslange Haft. Mit ihrer Aussage wird Zschäpe vermeiden wollen, dass die Richter die besondere Schwere ihrer Schuld feststellen. Das würde bedeuten: Nachdem Zschäpe ihre Haftstrafe verbüßt hat, würde sie für den Rest ihres Lebens in sogenannte Sicherheitsverwahrung kommen. Sagt Zschäpe jetzt überprüfbar aus, dürfte sie als etwa 50-Jährige aus dem Gefängnis entlassen werden, könnte die Sicherheitsverwahrung entfallen. Übrigens: Als sich Zschäpe 2011 der Polizei stellte, kündigte sie an, umfassend auszusagen.
Was sagt Zschäpe aus?
Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird Zschäpe die deutschen Inlandsgeheimdienste belasten: Die ließen sich zeitweise von bis zu 40 bezahlten Spitzeln im Umfeld des NSU berichten. Ein Verfassungsschützer war 2006 am Tatort, als in Kassel Halit Yozgat ermordet wurde. Vorstellbar ist, dass Zschäpe aussagt, der sogenannte V-Mann-Führer Andreas Temme sei an dieser Bluttat beteiligt gewesen. Zudem wird Zschäpe den Verfassungsschutzinformanten Tino Brandt belasten. Der leitete den rechtsradikalen Thüringer Heimatschutz, aus dem der NSU hervorging. Zschäpe könnte zudem aussagen, dass Böhnhardt und Mundlos für den Verfassungsschutz spitzelten.
Wie wird der Verhandlungstag an diesem Mittwoch ablaufen?
Sollte es zu keinen weiteren Verzögerungen oder Zwischenfällen kommen, wird der Vorsitzende Richter Manfred Götzl Mathias Grasel gleich zu Beginn das Wort erteilen. Der Verteidiger will dann die Erklärung Zschäpes vorlesen. Eine bis eineinhalb Stunden werde das dauern, hat er im Vorfeld angekündigt – wobei Zweifel bestehen, ob das reicht.
Und wie geht es dann weiter?
Unklar. Grasel hat erklärt, dass Zschäpe Fragen beantworten will – aber nur des Gerichts und nur schriftlich und erst später. Konkret: Grasel hat Götzl um einen schriftlichen Fragenkatalog gebeten. Den will er mit Zschäpe durcharbeiten – und die Antworten dann kommende Woche liefern. Ob Götzl damit einverstanden ist, ist noch offen. Unklar ist auch, ob er Grasels Bitte nachkommt, den Prozesstag an diesem Donnerstag ausfallen zu lassen – wegen der „Belastung“ Zschäpes.
Ist das überhaupt zulässig, schriftliche Fragen und Antworten?
Gerichtssprecherin Andrea Titz sagt: grundsätzlich ja. Die Entscheidung über das konkrete Vorgehen liege aber beim Gericht. Auch wenn der Senat zustimmt, müssten Fragen und Antworten aber mündlich in die Hauptverhandlung eingeführt werden – also verlesen werden.
Was passiert nach Zschäpes Erklärung?
Die Ermittlungsbehörden werden jedes Detail in Zschäpes Erklärung überprüfen. Die Dauer dieser Recherchen hängt davon ab, welche Beweise Zschäpe dem Gericht präsentiert. Opferanwälte gehen davon aus, dass sich das Verfahren um etwa anderthalb bis zwei Jahre verlängern wird. Jeder Prozesstag kostet etwa 230 000 Euro; bislang kostete das Verfahren 59 Millionen Euro.
Was hat Zschäpes Aussage mit ihrem neuen Anwalt Mathias Grasel zu tun?
Im Konflikt mit ihren alten Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm berieten die beiden neuen Verteidiger Borchert und Grasel ihre Mandantin Zschäpe. So fasste die Hauptangeklagte Vertrauen zu den beiden Juristen. Das Duo überzeugte offenbar Zschäpe davon, mit der bisherigen Schweige-Strategie zu brechen und sich vor Gericht zu erklären. Dabei war offenbar auch hilfreich gewesen, dass die beiden Strafverteidiger der psychisch angeschlagenen Zschäpe anboten, die Erklärung für sie zu verlesen. Mit Heer, Stahl und Sturm brach die Angeklagte im Frühjahr, weil sie sich von den drei Pflichtverteidigern nicht richtig vertreten fühlt. Seitdem ignoriert sie das Trio konsequent, verweigert jeden Gruß.