Die Angeklagte Beate Zschäpe (Mitte) am Dienstag im Gerichtssaal zwischen ihren Anwälten Anja Sturm (links) und Wolfgang Heer (rechts). Foto: dpa

Am 100. Verhandlungstag des NSU-Prozesses wird im Münchner Gerichtssaal versucht, mehr Licht in die rätselhafte Identität des Rechtsextremisten und V-Manns Tino Brandt zu bringen.

München - Austricksen habe er sie wollen. Immer wieder. Er habe mit ihnen spielen wollen. „Da haben wir ganz schnell einen Riegel vorgeschoben“, ist sich der frühere Verfassungsschützer sicher. Er spricht mit warmer Stimme, mit der er auch Märchen für ein Hörspiel einsprechen könnte. Eine Top-Quelle sei sein V-Mann für die Thüringer Geheimen gewesen, der am besten bezahlte Spitzel des Amtes: Tino Brandt. Neonazi, Skinhead und NPD-Funktionär.

Von ihm bekam der Mann mit dem Tarnnamen „Reiner Bode“ Informationen, mit denen in Thüringen Politik gemacht wurde: wo und wie viele Polizisten bereitgehalten wurden, wenn Rechtsextreme aufmarschierten. Wie viele Mitarbeiter sich im Thüringischen Landesamt für Verfassungsschutz mit Neonazis beschäftigten. Die Gegenleistung: Honorare in Höhe von 200 000 Deutschen Mark, Spesen und Sonderprämien. „So etwa 200 bis 400 Mark pro Woche“, gibt Reiner Bode vor dem Münchener Oberlandesgericht am 100. Verhandlungstag gegen die mutmaßlichen Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zu Protokoll.

Geld, das – glaubt man Tino Brandt – in den Aufbau rechtsextremer Strukturen in Thüringen floss. Und auch den drei 1998 abgetauchten Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zugutekam. Er habe natürlich in die Bewegung investiert, erzählte Brandt 2012 einem Reporter der „Super-Illu“. „Auch in Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos?“, hakte der Journalist nach. Brandt: „Die drei gehörten doch zu uns!“

Als „Otto“, „Oskar“ und „VM 2045“ schwatzte Brandt zwischen 1994 und Jahresbeginn 2001 mit den Inlandsgeheimen. Ein „in seinen rechtsextremen politischen Ansichten gefestigter, nicht aber in seiner Persönlichkeit gefestigter Mann“, sagt Bode. Und schwärmt: Brandt habe „sogar seinen Golf zur Verfügung gestellt, damit wir in den Spurtechnik einbauen konnten“. Das Auto mit dem Peilsender habe er dann André Kapke „untergejubelt“, dem ständig klammen Neonazi in Jena, der beim Abtauchen des Trios eine entscheidende Rolle spielte. Kapke sollte so die Agenten auf die Spur von Zschäpe und Co. bringen. Das Vorhaben schlug fehl.

Kein Wunder: Irgendwie habe man Brandt immer auch misstraut, räumt Bode ein. Die Geheimdienstler ließen oft die wöchentlichen Treffpunkte von ihren Spähern auskundschaften, bevor sie ihre Top-Quelle trafen. Der sei der Ort für die Treffen immer kurz vorher genannt worden.

An den Plaudereien ihres als „sehr zuverlässig“ bewerteten V-Mannes schienen die Geheimdienstler auch Zweifel zu haben. Mal beschreibt Bode den munter plaudernden Neonazi, der „glaubwürdige und zutreffende Informationen“ lieferte. Der auf alle Fragen „pünktlich lieferte“. Dann berichtet Bode, er habe bei Brandt nie gewusst, „ob er uns bewusst Informationen verschwieg oder ob sie ihm nur nicht erinnerlich waren“. Widersprüche, bei denen Richter Manfred Götzl nicht nachhakt – oder sie gar auflöst.

Die Berichte, die Bode seinerzeit verfasste, liegen unserer Zeitung vor. Aus ihnen wird deutlich: Zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sagte Brandt nichts, was die Ermittler auf deren Fährte hätte bringen können. Kein Wunder: Brandt habe die drei „in ihrem Drang zum bewaffneten Kampf bestärkt“, sagte ein Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) im Verfahren aus.

Vielleicht erklärt das, warum Brandt nicht um sein Leben fürchten musste, als er in der „Thüringer Allgemeinen“ im Mai 2001 als V-Mann enttarnt wurde. Im Gegenteil: NPD-Anwalt Horst Mahler präsentierte den Spitzel als Joker, als das Bundesverfassungsgericht zwischen 2001 und 2003 die Nationaldemokraten verbieten sollte: Brandt habe geliefert, was er als V-Mann liefern sollte, beschied Mahler den Richtern. Eben auch untergeschobene Informationen ohne Bezug zur Realität. „Da wurde dem Bundesverfassungsgericht sehr schön demonstriert, wie das mit den Geheimdiensten läuft“, gluckst Nazi-Jurist Mahler vor Freude.

Aufgeflogen, wandte sich Top-Quelle Brandt auch nach Baden-Württemberg. In Hardthausen am Kocher kaufte er bei einer Zwangsversteigerung im November 2004 ein Haus, 25 Autominuten von Heilbronn entfernt, wo am 27. April 2007 Böhnhardt und Mundlos die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen haben sollen. Im März 2008 verkaufte er wieder. Die Polizisten der Ermittlungsgruppe Umfeld, die für Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) die Bezüge des NSU in den Südwesten aufhellen sollten, glauben: Spitzel Otto habe in Hardthausen weder gewohnt, noch sei er dort gemeldet gewesen. Er habe nur einem in finanzielle Nöte geratenen Freund helfen wollen.

Wirklich? Die umfangreichen Akten, die Thüringens Abgeordnete im NSU-Untersuchungsausschuss dazu wälzen, kannten die Fahnder nicht. Sie standen ihnen schlicht nicht zur Verfügung.

Um die NSU-Mordserie aufzuklären und die Strukturen des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg zu beleuchten, beschlossen Grüne und SPD nun am Dienstag, eine Enquetekommission einzusetzen.