Foto: dpa

Die Verteidigerriege Zschäpes keilt gegen vorsitzenden Richter Manfred Götzel. Anwälte der Nebenkläger gegen die Anwälte der Angeklagten.

München - Rechtsanwältin Nicole Schneiders liest viele Zeitungen. Penibel. In ihnen fand die Karlsruher Juristin denn auch die Gründe, warum das Münchener Oberlandesgericht das Strafverfahren gegen ihren Mandanten Ralf Wohlleben einstellen müsse. Dem werfen im Verfahren gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) die Staatsanwälte vor, Beihilfe zu neun der zehn Morden geleistet zu haben, die die mutmaßlichen Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen haben sollen.

Die Medien, ist sich Schneiders sicher, hätten den früheren NPD-Vorsitzenden Jenas in ihren Berichten bereits verurteilt. "Nazibraut" und über den schick gekleideten "Teufel" hätte der Boulevard zum Prozessauftakt über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe getitelt. In vielen Zeitungen, TV- und Radiosendungen seien die mutmaßliche Rechtsterroristin und die vier Männer, die sie unterstützt haben sollen, bereits schuldig gesprochen. "Ein faires Verfahren ist jetzt nicht mehr möglich", ist sich Schneiders sicher.

Chaos bricht in Saal A101 des Münchener Gerichtes aus

Zumal auch an anderer Stelle deutlich werde, dass in der Öffentlichkeit längst das Urteil über das angeklagte Quintett gefällt worden sei: Die Hinterbliebenen der zehn Morde und den Opfern der beiden Bombenattentate seien von der Bundesregierung bereits mit 900.000 Euro entschädigt worden. Geld, das aus dem Fond für die Opfer rechtsextremistischer Gewalttaten stammt. Und damit seien die Beschuldigten auch politisch eindeutig verurteilt worden. In Städten seien Gedenktafeln enthüllt worden, auf denen die Ermordeten bereits zu Opfern des NSU gemacht würden. Straßen und Plätze seien nach den zumeist türkischstämmigen Opfern benannt worden. Politiker wie SPD-Chef Siegmar Gabriel oder Altkanzler Helmut Schmidt hätten sich vorverurteilend geäußert.

Daher schlussfolgert Schneiders: "Die Öffentlichkeit ist von der Täterschaft Uwe Böhnhardts und Uwe Mundlos' bereits überzeugt." Das Verfahren sei einzustellen, es liege "ein nicht-behebbares Prozesshindernis vor", wie es der Paragraph 260 der Strafprozessordnung verstehe. Denn: Die Öffentlichkeit erwarte, dass die Richter die Angeklagten schuldig sprechen.

Chaos bricht in Saal A101 des Münchener Gerichtes aus. Die Verteidigerriege Zschäpes keilt gegen Vorsitzenden Richter Manfred Götzel. Anwälte der Nebenkläger gegen die Anwälte der Angeklagten. Diese sollten die Hauptverhandlung nicht "für die Verlesung von Presseerklärungen missbrauchen", giftet der Hamburger Strafrechtler Thomas Bliwier. Kein Wort habe die frühere Jenaer NPD-Vize Schneiders darüber verloren, ob die Richter tatsächlich daran gehindert seien, ein faires Verfahren zu führen. Irgendeiner im Gerichtssaal ruft, der Schneiders-Antrag sei "nichts als heiße Luft".

Zschäpes Anwalt Heer beanstandet, dass über ihn gelacht wird

Gelächter, Zwischenrufe. Egal, ob das rote Lämpchen an den Mikrofonen leuchtet und damit die Rede über Lautsprecher übertragen wird. Zschäpes Advokat Wolfgang Heer will, dass Götzel alle Beteiligten zur Sachlichkeit ermahnt. Vor allem beanstandet er, dass über ihn gelacht werde. Bundesanwalt Herbert Diemer kontert: "Lachen ist ein Reflex, Herr Verteidiger!" Der beantragt, dass erst einmal ihm das Wort erteilt werde. Denn das "bedeutet nämlich, dass dann ich rede und niemand sonst." Schallendes Gelächter in A101. Diemer mosert: "Ich finde das Verhalten von Rechtsanwalt Heer ungehörig." Zschäpes zweiter Verteidiger Wolfgang Stahl zieht seine Robe aus und stapft aus den Saal - ungerügt.

Richter Götzel versucht, die Gemüter zu beruhigen. Erst energisch. Dann testet er, ob den Anwälten mit Einsicht und Kooperation beizukommen ist. Schließlich unterbricht er die Sitzung - es scheint ihm - wie auch vielen anderen Juristen im Saal - schwer zu fallen, Provokationen unkommentiert im Raum stehen zu lassen.

Nach der Unterbrechung weitere Anträge. Mit denen soll festgestellt werden, dass zwei der vier Ankläger befangen sind. Dass den Verteidigern "erhebliche Teile der Ermittlungsakten vorenthalten werden". Dass die Inlandsgeheimdienste tief in die Mordfälle verstrickt sind. Fast alle Anträge haben zum Ziel, dass Verfahren einzustellen oder zumindest zu unterbrechen., "Für drei Wochen zumindest", fordert Heer eine Pause der Hauptverhandlung.

Ein Antrag des Zschäpe Anwaltstrios Heer, Stahl, Sturm scheint schließlich konsenzfähig zu sein: Dass das gesamte Verfahren aufgezeichnet wird, möglichst per Video, wollen die Verteidiger. Damit die Aussagen der Zeugen auch "in Jahren noch nachvollziehbar und prüfbar sind". Die Juristen der Nebenkläger stimmen dem zu, die Bundesanwälte mauern.

Eigentlich sollte heute mit der Beweisaufnahme begonnen werden. Dazu sollte Carsten S. befragt werden. Ihm werfen die Ermittler Beihilfe zum Mord vor. Er soll die Ceska-Pistole, mit der die acht türkischen und der griechische Kleinunternehmer erschossen wurden, an den NSU geliefert haben. S. war vom 1. Februar 2012 bis 29. Mai 2012 in Untersuchungshaft. Für die Ankläger könnte der Sozialarbeiter ein Kronzeuge werden: Bei den Beamten des Bundeskriminalamtes und den Staatsanwälten soll er umfangreich ausgesagt haben. Das Bundeskriminalamt hat ihn in ein Zeugenschutzprogramm genommen: Die rechtsextreme Szene sieht in S. einen Verräter, den es zu töten gilt. Dass er am Donnerstag seine Geschichte des NSU erzählt, ist unwahrscheinlich: Denn die Verteidiger haben weitere Anträge angekündigt.

Der Prozess wird am Donnerstag, 16.5. fortgesetzt.

Franz Feyder, Stuttgarter Nachrichten