Bizarre Kulisse: die Travertin-Säulen in der Nachbarschaft zum Müllheizkraftwerk in Münster Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Albert Speer war der Architekt Hitlers und sein buchstäblich brutal erfolgreicher Rüstungsminister. Der Historiker Magnus Brechtken hat Buch über den gebürtigen Mannheimer verfasst, das er an diesem Mittwoch im Stadtarchiv vorstellt. Einen Stuttgart-Bezug gibt es auch.

Stuttgart - Sie sehen aus wie fehl am Platz. Und das sind sie auch, die 14 Travertin-Säulen an der Neckartalstraße. Baumaterial für Hitlers „Welthauptstadt Germania“, die glücklicherweise nie über den Status des Albtraums hinauskam. Seit 80 Jahren befinden sie sich da, 600 Kilometer von ihrem ursprünglichen Bestimmungsort entfernt, trotz ihrer Monumentalität eingezwängt und überlagert vom Müllheizkraftwerk Münster. Eine bizarre Kulisse, bei deren Anblick orts- und geschichtsunkundige Autofahrern Fragezeichen in den Augen haben.

Die Geschichte der Säulen ist schnell erzählt. Sie stammen aus dem ehemaligen Travertin-Steinbruch

Lauster, dessen optisches Entrée sie heute bilden. Die Gesamtanlage mit Werkshallen und Fabrikantenvilla, ist seit 1987 als Kulturdenkmal klassifiziert, was ihrer Verwendung als Recyclinghof nicht entgegensteht.

1936 ging bei der Firma Lauster ein Auftrag für 14 Travertin-Säulen ein, die nach dorisch-toskanischer Ordnung gestaltet sein sollten. Gewünscht waren „Säulen für ein Denkmal am Mussoliniplatz in Berlin“ – Teil der von Hitlers Architekt Albert Speer geplanten riesenhaften „Welthauptstadt Germania“, von der noch Toilettenhäuschen und die Anlage der heutigen Straße des 17. Juni zeugen.

In Stuttgart nahm Speer einen Mercedes in Empfang

Ein Jahr nach Auftragserteilung standen die aus dem gelblichen Travertin gebrochenen und auftragsgemäß bearbeiteten Säulen zur Abholung bereit. Ihren vorgesehen Standort in Berlin-Charlottenburg erreichten sie jedoch nie. „Germania“ blieb Utopie. Dann kam der Krieg. Später kaufte die Firma Lauster die Säulen zurück. Bis heute stehen sie da wie stumpfe Speer-Spitzen. „In ihrer Unfertigkeit dokumentieren sie beispielhaft Gigantonomie, Hybris und Scheitern des Nationalsozialismus und seiner Staatsarchitektur“, bemerkte Karsten Preßler vom Landesamt für Denkmalpflege treffend.

Speer, „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Berlin“ und später hoch effizienter Rüstungsminister, hatte noch eine weitere entfernte Berührung mit Stuttgart. Am 30. Oktober 1941 nahm er im Daimler-Werk einen großen Mercedes in Empfang einen „Kompressor“, den er durch Frankreich und Spanien bis nach Portugal steuerte, um dort eine Ausstellung über Nazi-Baukunst zu besuchen.

Ein Fall von Geschichtsklitterung

In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen entging Speer einem Todesurteil, wohl auch weil er mit den Amerikanern früh kooperierte. Seine 20-jährige Haftstrafe saß er in Berlin Spandau ab, wo er seine Memoiren verfasste, die der Historiker Magnus Brechtken einen „Teppich der eigenen Erzählungen“ nennt. Historiker und Verleger nahmen ihm diese Selbststilisierung offenbar bereitwillig ab. Ein Fall von Geschichtsklitterung. Der 1981 verstorbene smarte Herr Speer erschien als angeblich unpolitischer Mensch in mildem Licht. Brechtken, der stellvertretende Leiter des renommierten Münchner Instituts für Zeitgeschichte ist, nennt das „skandalös“. Er ordnet Speer dem inneren Kreis der Nazi-Macht zu. „Von Mitte 1943 waren Speer, Heinrich Himmler und Joseph Goebbels Kooperationspartner für die Totalisierung des Krieges“, hebt Brechtken hervor. Ein Architekt des Monströsen, Bösen.

Am heutigen Mittwoch (28. Juni) stellt der Historiker seine unter dem Titel „Albert Speer – Eine deutsche Karriere“ erschienene wissenschaftliche Arbeit im Stuttgarter Stadtarchiv im Bellingweg 21 vor. Beginn ist um 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.