Notrufsäulen an Landstraße werden verschwinden. Foto: dpa

In vielen Bundesländern gibt es künftig nur noch an Autobahnen Notrufsäulen. An den anderen Straßen werden die meisten verschwinden. Experten sehen bei dieser Entwicklung auch Gefahren.

Stuttgart - Wenn man nach Jahrzehnten den Dienst quittiert, kann die Würde schon mal auf der Strecke bleiben. Manchen Einsatz beendet ein schlichter blauer Plastiksack. So geht es derzeit zahlreichen Notrufsäulen an deutschen Bundes- und Landesstraßen. Seit den 50er Jahren vor allem von Stiftungen flächendeckend aufgebaut, in früheren Tagen unersetzlich als Lebensretter am Straßenrand, haben die meisten von ihnen ausgedient. Und müssen ihren endgültigen Abbau von einem Sack verhüllt ertragen. Außer Betrieb.

Wie viele Notrufsäulen abseits der Autobahnen noch in Deutschland stehen, weiß kein Mensch. Das Bundesinnenministerium, der ADAC und auch viele Landesregierungen kennen keine genauen Zahlen. Zu unterschiedlich sind die Strukturen. Mal ist die Polizei dafür verantwortlich, mal bezahlt die Kommune für den Betrieb. Sicher ist nur: Noch in diesem Jahr wird der größere Teil der noch verbliebenen Notruftelefone verschwinden.

Die Technik

3300 Säulen an Bundes- und Landesstraßen, aber auch an einigen Polizeidienststellen, die nicht rund um die Uhr besetzt sind, werden abgebaut. Der Grund liegt in der veralteten Technik des weit verbreiteten Bautyps NRT 80. Die Telekom hat bisher viele Standorte betreut und die Geräte im Auftrag von Dritten gewartet. Damit ist nun Schluss. Das Unternehmen hat sämtliche Verträge bundesweit auf Ende Februar gekündigt. Die Säulen sollen nun nach und nach verschwinden. „Für diese analoge Technik kann die Industrie heute keine Ersatzteile mehr liefern“, sagt Telekom-Sprecher George-Stephen McKinney. Deshalb und auch weil Notrufe inzwischen in erster Linie per Mobiltelefon abgesetzt würden, biete man „diesen Service nicht mehr an“.

Nach Recherchen unserer Zeitung bedeutet das, dass bundesweit nur noch einige Hundert Notrufsäulen abseits der Autobahnen übrig bleiben. In mindestens einem halben Dutzend Bundesländer wie Bremen, Rheinland-Pfalz oder dem Saarland gibt es künftig überhaupt keine mehr. Und der öffentlichen Hand ist das in vielen Fällen gar nicht so unrecht, denn die Geräte kosten Geld. Wirklich erhoben, wie oft sie noch gebraucht werden, hat allerdings kaum jemand. Bei manchen Säulen, so der Tenor allerorten, gehe die Nutzung gegen null.

Der Südwesten

Fast ungeschoren kommt lediglich Baden-Württemberg davon. Das liegt daran, dass in Winnenden die Björn-Steiger-Stiftung ihren Sitz hat. Gemeinsam mit der Heilbronner Rettungsstiftung Jürgen Pegler hat sie einstmals die Notruftelefone bundesweit finanziert, aufgestellt und verbreitet. Die Steiger-Stiftung hat sich inzwischen aus diesem Feld weitgehend zurückgezogen. Lediglich in Baden-Württemberg betreibt sie noch 1694 Standorte. Bei denen soll es auch bleiben. Immer noch deutlich mehr als in allen anderen Ländern.

Doch auch in Baden-Württemberg wird es Verluste geben. Das Innenministerium geht von derzeit etwa 2000 Säulen aus. Vom Abbau betroffen „sind nach unserem derzeitigen Kenntnisstand etwa 250 Telefone“, sagt Sprecher Rüdiger Felber. Übrig bleiben werden also fast ausschließlich die Geräte der Steiger-Stiftung.

Die Pegler-Stiftung aus Heilbronn will sich mittelfristig ganz aus dem Geschäft zurückziehen. „Wir haben eine Übergangsfrist bis 2018“, sagt Vorstand Andreas Sosniczka. Dann sollen auch die letzten 250 Geräte der Stiftung verschwunden sein. So viele bleiben nach der Telekom-Kündigung vorerst bundesweit noch übrig.

Die Öffentlichkeit

Experten wundern sich darüber, dass der großflächige Abbau bisher kaum in die Öffentlichkeit gedrungen ist. So haben lediglich einige Polizeidirektionen in Niedersachsen mitgeteilt, dass und wie viele Notrufsäulen in ihrem Zuständigkeitsgebiet künftig nicht mehr zur Verfügung stehen. Nachfragen zeigen jedoch, dass praktisch jeder Stadt- und Landkreis bundesweit betroffen ist. Und das nicht nur an Straßen. In Stuttgart etwa werden nach der Telekom-Kündigung 22 Säulen abgebaut – vorwiegend in öffentlichen Anlagen und an beliebten Ausflugszielen wie dem Oberen Schlossgarten, dem Park der Villa Berg, am Bärenschlössle oder Bismarckturm.

Damit muss es jedoch noch nicht getan sein. Denn auch der öffentliche Nahverkehr bietet an seinen Haltestellen, besonders den unterirdischen, oftmals Notruftelefone an. Die Stuttgarter Straßenbahnen zum Beispiel rüsten ihre Geräte in den nächsten Monaten um. „Wir übernehmen die Säulen von der Telekom, behalten die Hülle und bauen unsere eigene Technik ein. Die Anrufe gehen dann über die SSB direkt zur Polizei“, sagt Sprecherin Susanne Schupp.

Die Nachfolger

Während die Säulen an Haltestellen überleben, hält sich die Trauer um die liebgewonnenen Helfer am Straßenrand in Grenzen. „Man muss die Entwicklung akzeptieren. Die Säulen werden nicht mehr allzu häufig benutzt und haben sich überholt“, sagt ein Sprecher des ADAC in München. Mittlerweile sei es an vielen Straßen leichter, jemanden mit einem Handy zu finden, als ein Notruftelefon. Zudem kosteten die Geräte Geld. Außerdem, so glaubt der ADAC, werde das neue System E-Call, bei dem künftig aus Fahrzeugen automatisch Notrufe abgesetzt werden sollen, für Abhilfe sorgen, auch wenn es derzeit noch Probleme damit gebe.

Darauf setzt auch das Innenministerium Baden-Württemberg. Durch die Verbreitung von Mobiltelefonen sowie der anstehenden Einführung von E-Call werde „dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung getragen“, sagt Sprecher Felber. Durch den Wegfall der NRT 80 „dürfte somit keine Sicherheitslücke entstehen“.

Die Vorteile

Doch nicht jeder ist dieser Meinung. Während in der Fläche die meisten Notrufsäulen verschwinden, bleiben die rund 16 000 Geräte entlang der deutschen Autobahnen vorerst stehen. Sie werden im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherer von der GDV Dienstleistungs-GmbH in Hamburg betrieben. Trotz der zunehmenden Handynutzung und geplanter neuer Unfallmeldesysteme in Autos denkt man dort derzeit nicht an einen Abbau. „Die Geräte werden nach wie vor genutzt“, sagt eine Sprecherin. Noch immer besitze nicht jeder ein Handy, zudem gebe es Funklöcher. Ebenso könne der Akku eines Mobiltelefons im Notfall leer sein.

Außerdem haben die Säulen einen weiteren großen Vorteil: Bei einem Notruf wird der Standort automatisch an die Zentrale übermittelt, so dass sofort klar ist, von wo die Meldung kommt. Das kann in dringenden Fällen wichtige Zeit sparen und die Helfer schneller an den Unfallort bringen. Auch beim ADAC räumt man ein: „Die Säulen senden automatisch eine Ortskennung mit. Solche Standards gibt es für Handys bisher noch nicht.“

Die Zahlen sprechen zumindest an den Autobahnen nicht unbedingt gegen die gute alte Notrufsäule. 72 400 Notrufe und Pannenmeldungen sind dort im vergangenen Jahr abgesetzt worden. Das ist nur ein leichter Rückgang im Vergleich zu den 74 171 Meldungen im Jahr 2012 gewesen. „Die Leute kennen die Säulen schon seit vielen Jahren als Helfer an der Autobahn“, so die GDV-Sprecherin, „deshalb wollen wir weiterhin daran festhalten.“

Das Funkloch

Ganz allein ist sie mit dieser Sichtweise nicht. „Der Abbau im Zeitalter der Handys ist in Ordnung“, sagt Rettungsexperte Jörn Fries aus dem rheinland-pfälzischen Nassau. Allerdings sei es wichtig, an Standorten mit Funklöchern, in Tunneln und an Unfallschwerpunkten nicht auf die auffälligen Säulen samt Hinweisschildern zu verzichten. Andreas Sosniczka von der Pegler-Stiftung weist darauf hin, dass es „schon noch große Funklöcher“ in einigen Gebieten gebe. Und tatsächlich trauen auch nicht alle Bundesländer dem Abbau so ganz. In Hessen etwa, wo fast 800 Säulen betroffen sind, sollen 182 an besonderen Stellen auf eine neuere Technik umgerüstet werden. Auch Bayern will einige Geräte in Tunneln und an Brennpunkten behalten.

Für viele Geräte an anderen Straßen gilt das nicht. Sie warten unter blauen Plastiksäcken auf ihr baldiges Ende. Auf den Dienstschluss nach Jahrzehnten im Einsatz.