Schüler mit Anne: 44 000 Puppen sollen an Schulen geliefert werden Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

1000 Menschen in synchroner Bewegung zum gleichem Takt, tausend neue Lebensretter: Beim 4. Notfalltag lernten Laien am Samstag auf dem Marktplatz die Druckmassage bei Herzstillstand. Die ersten fünf Minuten entscheiden über Leben und Tod.

Stuttgart - „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind jetzt Lebensretter“, sagt Manuel Kuhner und überreicht die Urkunde. Der angehende Mediziner ist einer von annähernd hundert Tutoren, unter deren Anleitung sich die Teilnehmer am Notfalltag an einer gewissen Anne abarbeiten, um diesen Status zu erreichen. Anne hat gerade einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten, ist klinisch tot und braucht sofort Erste Hilfe, wenn sie überleben soll. Da gibt es nur eines: Sich ein Herz fassen und keine Berührungsangst zeigen. Sondern Hand an Anne legen. Präzise gesagt, beide Hände, um die Patientin mit Druckmassage zu reanimieren. „Man kann dabei gar nichts falsch machen“, beruhigt Manuel Kuhner. Die Patientin sei ja sowieso tot. „Falsch ist es nur, gar nichts zu machen. Dann bleibt sie auch tot.“

Zum Glück ist Anne eine so genannte Phantom-Puppe. Ein Trainingsmodell. Aber es kann auch ganz schnell dramatische Realität sein: „Täglich erleiden in Deutschland 250 Menschen einen Herz-Kreislauf-Stillstand und dann weiß nur eine von fünf Personen, was zu tun ist“, schildert Professor Dr. Andreas Walther, Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin am Katharinenhospital des Klinikums Stuttgart, den für ihn unerträglichen Notstand. Er hat sich deshalb das gewaltige logistische Unternehmen vorgenommen, am Notfalltag tausend Menschen zum Lebensretter zu schulen. Denn der Notarzt komme in Stuttgart frühestens nach acht Minuten, „die Gehirnzellen sterben aber ohne Sauerstoffversorgung schon nach den ersten fünf Minuten irreversibel ab, die Patienten sterben oder bleiben zumindest Pflegefälle.“

Prüfen, rufen, drücken

Fakten, die eine überwältigende Resonanz ausgelöst haben. Weil sie aufrütteln und beschämend klar machen, dass man im Ernstfall so hilflos da stünde wie der Jogger im gezeigten Videoclip, dessen Kumpel gerade ins Gras gesunken ist: „Is was, Alter?“ Nicht nur der Jogger weiß es jetzt besser, auch der Stuttgarter Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle bekennt, diese Lektion nötig zu haben. „Prüfen, rufen, drücken“, heißen die drei notwendigen Schritte, die von Andreas Walther und seinen Anästhesie-Kollegen Joanna Eller und Fabian Wagenblast auf der SWR-Bühne, moderiert von Stefanie Anhalt, wie ein Mantra wiederholt werden: „Das üben wir jetzt.“ 67 Gruppen, darunter Schulklassen aus dem Friedrich-Eugens– und dem Eberhard-Ludwigs-Gymnasium, holen dafür jetzt Anne aus der Notfall-Box. Sie soll demnächst in großer Auflage an Schulen des Landes verteilt werden, so Staatssekretärin Marion von Wartenberg aus dem Kultusministerium.

Für die Prüfung von Lebenszeichen rütteln wir an ihren Schultern. Keine Reaktion. Atmet sie? Eine Hand auf ihre Stirn, mit der anderen das Kinn anheben, das Ohr am Mund und die Zunge aus dem Rachen holen. Kein Hauch. Sofort um Hilfe und die Rettung unter 112 rufen. Aber nun nicht untätig abwarten, sondern beherzt drücken: Mit beiden übereinander gelegten Händen auf den Brustkorb in Höhe der Brustwarzen. Damit wieder Sauerstoff durch den Körper gepumpt wird, mindestens 100 Mal pro Minute, mindestens fünf Zentimeter tief. Mit durchgedrückten Armen und nicht zimperlich. Ohne Rücksicht auf Rippen. Und nicht schlapp machen. Bis der Notarzt kommt. Das kostet ganz schön Kraft. „Im Ernstfall gibt einem das Adrenalin Kraft“, weiß Julia Moos, die schon einmal ein 17-Jähriges Alkohol-Opfer gerettet hat. Als Zahnarzthelferin ist sie dafür geschult. Die Urkunde sorgt bei den neuen Lebensrettern für eine gewisse Beruhigung. Den Ernstfall möchte trotzdem lieber keiner erleben.