Die Retter sollen schnell, kompetent und freundlich sein – in der Praxis klappt das nicht immer Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Mitarbeiter des Rettungsdienstes raten einem schwer kranken Mann, er solle „mal richtig kacken“. Erst auf Druck der Ehefrau kommt er ins Krankenhaus. Das Rote Kreuz entschuldigt sich jetzt – aber so mancher Beobachter aus der Branche klagt über den steigenden Druck.

Stuttgart - In vielen Regionen des Landes liegt bei der Notfallrettung nach wie vor einiges im Argen. Häufig können die Helfer die gesetzlich vorgegebene Frist, binnen der sie am Einsatzort sein müssen, nicht einhalten. In Stuttgart hat sich die Situation zuletzt etwas beruhigt – wird hier die sogenannte Hilfsfrist nach einer Aufstockung der Rettungsmittel doch seit einigen Jahren eingehalten.

Doch ein Zwischenfall bei einem Einsatz entfacht die Diskussion jetzt aufs Neue. Wie berichtet klagt der 76-jährige Dieter Bossert darüber, in der Nacht auf den 21. Mai vom Rettungsdienst „vulgär und grenzwertig“ behandelt worden zu sein. Seine Frau rief am frühen Morgen die 112 an, als sich ihr Mann unter starken Bauchkoliken krümmte. Am Telefon wurde ihr von der Leitstelle erst nach einigen Diskussionen Hilfe geschickt – ein Rettungswagen ohne Signal, der knapp eine halbe Stunde brauchte. In der Wohnung fühlte sich der Patient anschließend von den Rettungsdienstmitarbeitern nicht ernst genommen. Sie rieten ihm, er solle die Treppe auf und ab gehen, Kamillentee trinken und „mal richtig kacken“. Erst auf Druck der Ehefrau wurde der Mann in ein Krankenhaus gebracht – wo man ihm wenige Stunden später die stark entzündete Gallenblase entfernen musste.

Das Rote Kreuz in Stuttgart hat sich jetzt schriftlich bei Bossert gemeldet. „In der Zwischenzeit konnten wir den Sachverhalt prüfen und wir haben allen Grund, uns bei Ihnen in aller Form zu entschuldigen“, heißt es in der E-Mail von Kreisgeschäftsführer Frieder Frischling. Sowohl der Umgangston als auch die mangelnde Kommunikation über die getroffenen Maßnahmen seien „nicht akzeptabel“ gewesen. Man werde „den Vorgang in angemessener Weise aufarbeiten und der Mitarbeiter wird sich für dieses Verhalten verantworten müssen“.

Von der menschlichen Komponente in diesem Fall einmal abgesehen ist es für viele Mitarbeiter und Beobachter der Rettungsbranche aber kein Zufall, dass solche Situationen entstehen. „Wir haben hier ein System mit seinen Beschäftigten, das bereits im roten Bereich des Drehzahlmessers läuft“, sagt ein Rettungsdienstmitarbeiter. Daran sei zum einen der ständig wachsende Druck auf die Angestellten schuld. Zum anderen aber auch manche Patienten selbst. Man erlebe immer häufiger Anrufer, die wegen Kopfschmerzen oder einer starken Erkältung den Notruf wählten, heißt es unisono aus der Szene. Das löse unnötige Einsätze und damit Zeitdruck aus – und vielleicht auch den einen oder anderen Fall, in dem ein Patient nicht ganz ernst genommen wird, auch wenn das nicht vorkommen dürfe.

Trotz mehr Wagen und Personal kommt jedoch auch die Ausstattung in Stuttgart nicht gut weg. „Die Leute im Rettungsdienst machen großteils einen super Job zu schlechten Rahmenbedingungen“, klagt ein Beobachter. Es kranke am System, denn nach wie vor bezahlten die Krankenkassen in der Landeshauptstadt viel weniger Notarzt- und Rettungswagen als in vergleichbaren Städten. Angesichts steigender Einsatzzahlen könne das auf Dauer nicht gut gehen.

Auch außerhalb der Branche hat der Vorfall viele Reaktionen ausgelöst. Zahlreiche Leser berichten ebenfalls von Problemen, die sie mit dem Rettungsdienst hatten – bis hin zu schweren gesundheitlichen Folgen. „Als ich den Notruf gewählt habe, wurde ich ausgelacht. Kurz darauf wurde eine schwere Blinddarmentzündung festgestellt“, erzählt eine Frau. Andere berichten von langen Wartezeiten oder den Verweis auf einen Besuch beim Hausarzt bei nächtlichen Notrufen. Und es gibt auch viel Zuspruch für die Helfer: „Sie retten jeden Tag Leben“, so ein Leser, „meine Hochachtung davor.“