Auf Motorschlitten und dick eingemummelt fahren die Einwohner raus, um die ersten Sonnenstrahlen zu begrüßen. Foto: Schaefer

Am 16. Februar taucht in Spitzbergen zum ersten Mal wieder die Sonne über dem Horizont auf. Ein Spektakel, das gefeiert wird.

Longyearbyen - An diesem Montag ist in Longyearbyen wenig los. Wo sind die Einwohner von Spitzbergens Hauptstadt alle hin? Sie sind weg, rausgefahren. Am 16. Februar schwingt sich alles, was Kufen in der Garage hat, und das haben so ziemlich alle Menschen auf Spitzbergen in Norwegen, auf einen Motorschlitten und fährt Richtung Osten. Hinein ins Adventsdalen und auf einen Hügel. Um dort die Sonne zu sehen. Sie stellen die schweren Maschinen ab. Rundum Stille. In tiefer Bläue liegen die Hügel und Berge da. Darüber dieses Blau der Arktis, das so süchtig machen kann. Denn mitnichten ist es in Spitzbergen, das auf dem halben Weg zwischen Norwegen und dem Nordpol liegt, im Winter dunkel.

Vielmehr leuchtet die Landschaft in einem kalten Blau. Die Einwohner von Longyearbyen, die heraufgefahren sind, packen aus Rucksäcken Thermoskannen aus, breiten Kekse und Schokolade auf den schwarzen Motorradsitzen aus. Die Bewegungen sind so langsam, als seien die Menschen auf dem Mond. Und sie sehen ja auch so aus. Über dicke Winterkleidung kommt für so eine Tour noch ein Schneeanzug. Schwer, gepolstert, warm. Aber etwas unelegant. Auf dem Kopf mehrere Lagen, erst dünne Sturmhaben, darüber dicke Mützen, darüber noch der Helm. Bei jedem Schritt knirscht der Schnee, denn auch wenn es nicht dunkel ist, kalt ist es sehr wohl.

Longyearbyen ist Heimat für rund 2000 Bewohner

Schließlich schauen alle hinaus aus dem Tal, dorthin, wo das Blau heller wird. Und mit etwas Wetterglück zeigt sich im Osten nicht nur puderrosafarbener Himmel, sondern wirklich und wahrhaftig: die Sonne. Immer am 16. Februar schiebt sie sich in Spitzbergen das erste Mal im Jahr wieder über den Horizont. Anschließend hüpfen alle ein bisschen herum, was aber weniger ein nordischer Kult ist, sondern der Kälte geschuldet. Dann tuckern alle zurück in die Stadt, die sich, umgeben von wie mit der Zackenschere ausgeschnittenen Bergen, am Fjord ausbreitet. Longyearbyen ist Heimat für rund 2000 Bewohner. Selbst gewählte Heimat.

Denn in Svalbard, wie Spitzbergen auf Norwegisch heißt, wird kaum jemand geboren. Hierher wandert man aus. Manche fahren in die Minen, manche forschen am Polar-Institut, manche arbeiten im Tourismus - für viele sind das nur Vorwände, die sie anführen, wenn sie nach dem Warum gefragt werden. Warum lebt jemand in so einer menschenfeindlichen Umwelt? Die Antwort heißt: Sie haben sich angesteckt mit dem Svalbardbasillen, mit dem Spitzbergen-Bazillus. So wie Thomas Hukkelas aus Südnorwegen. Er arbeitet in der Kohlemine Svea, am Abend sitzt er mit Freunden im Karlsberger Pub. Zur Feier des Tages, wobei es zum Feiern nicht viel braucht, trinken sie heute kein „Arctic“, das Bier in der blauen Dose, sondern „Svalbard“, norwegischen Kognak. Wie überhaupt die Männer im Norden wenig Whisky oder Wodka trinken, sondern am liebsten Kognak.

Hukkelas erzählt, er habe bei der Feuerwehr in Bergen gearbeitet, „alle haben immer von Svalbard erzählt, das wollte ich mir auch mal anschauen“. Im Sommer habe er es „o. k.“ gefunden und seinen Vertrag verlängert. Und nun gefalle es ihm vor allem im Winter so gut. Es sei „so schön gesellig in den Pubs. Und das Leben ist so billig.“ Sie leben steuerfrei und bestellen Klamotten bei einem deutschen Versand - viel günstiger als Kleidung in Norwegen. Außerdem sei der Lohn höher, nur, so Thomas Hukkelas, „das mit den Mädels ist ein Problem. Jeder kennt hier bald jeden.“ Einzig „mitreisenden Frauen“ würde es hier manchmal nicht so gefallen. Kellnerin Ida Maria Eilertsen (23) hatte auch anderes vor, als hinterm Tresen zu stehen. Sie wollte mit Freunden um die Welt segeln. Aber bevor es richtig losging, blieb sie in Longyearbyen hängen. Natürlich nicht, um zu kellnern.

Wein und Sekt werden nicht kontingentiert

„Ich wollte die Insel erleben, mit Ski, mit Snowscooter, vor allem im Winter.“ Wer hier lebt, müsse sich bemühen, aktiv zu bleiben, „sonst versumpft man“, es sei ja doch eine „sehr kleine Stadt“. Damit sich das mit dem Kognak in Grenzen hält, ist Alkohol auf Spitzbergen nicht frei erhältlich. Die Einwohner können jährlich eine genau geregelte Menge kaufen: „24 Liter harter Stoff, zwölfmal 24 Dosen Bier, zwölf Liter Süßwein.“ Wein und Sekt werden nicht kontingentiert. Danach befragt, warum Touristen hierherkommen, immerhin rund 40 000 im Jahr, sagen die Männer am Kneipentisch: „Die wollen das besondere Gefühl des Extremen spüren.“ Bis 1992 konnten Besucher nur auf Einladung anreisen, nun werden es immer mehr, vor allem im Winter. Wenn schon extrem, dann richtig. Im Winter, wenn es nachts stockfinster wird, stehen sie dann auf der Hauptstraße mit ihren Smartphones in der Hand.

Vielleicht fotografieren sie den bronzenen Minenarbeiter, der so theatralisch entlangschreitet. Eher wahrscheinlich ist aber, dass sie sich die „Aurora forecast app“ heruntergeladen haben. Eine App, die anzeigt, wann mit Polarlichtern zu rechnen ist. Die meisten aber schauen einfach so in den Himmel. Die Chancen sind groß, dass neben dem Blau der Wintertage und dem Schwarz der arktischen Nacht eine weitere, leuchtende Farbe zu sehen ist. Es beginnt mit einem grünen Schimmer, erst mag man es für eine Wolkentrübung halten, bis das Licht intensiver wird, bis ein grünes Leuchten vom Himmel strahlt, wie ein urbanes Neonlicht, unheimlich, auch weil es sich zu bewegen beginnt.

Nun aber wieder rein ins Warme, es kann auf Spitzbergen im Winter durchaus minus 40 Grad kalt werden. Früher, also vor 60 Jahren, wurde Alkohol nur im „Huset“ ausgeschenkt. Das gediegene Haus liegt etwas außerhalb, dort gab es Duschen für die Minenarbeiter. Das Huset war schon Krankenhaus, Priesterwohnung, Schule, Postschalter und Kulturhaus - und heute ist es ein Gourmet-Restaurant. Mit üppig sortiertem Weinkeller und, wie ein Kellner erklärt: Aufgrund der steuerfreien Einfuhrmöglichkeiten können sie Champagner billiger anbieten als in der Champagne. Wer hier isst, kommt in eleganter Abendkleidung, die Frauen auch in leichten Cocktailkleidchen. Im Pub, in den Hotels und auch im Huset - überall sind die Räume überheizt, überall ist es kuschlig warm.

Infos zu Spitzbergen

Anreise
Flüge nach Longyearbyen über Oslo oder Tromsø mit Norwegian ( www.norwegian.com ) oder SAS ( www.flysas.com ).

Unterkunft
Die Winterzeit gilt in Spitzbergen noch als Nebensaison. Eine Übernachtung im einfachen Hotel Mary-Anns Polarrigg ( www.polarriggen.com ) kostet von Januar bis Februar rund 80 Euro. Basecamp Hotel in Longyearbyen, Übernachtung/Frühstück ab 115 Euro pro Person, www.basecampspitsbergen.no

Winter-Aktivitäten
Eine Tour mit dem Snowmobil kostet rund 120 Euro, www.spitsbergentravel.com

Allgemeine Informationen
Innovation Norway/Norwegisches Fremdenverkehrsamt, Postfach 113317, 20433 Hamburg, Telefon 0 18 05 / 00 15 48, 0,14 Euro/Min.

Buchtipp
Rasso Knoller/Barbara Schaefer: Lesereise Inseln des Nordens. Von Island bis Spitzbergen. Picus Lesereisen, 14,90 Euro.