Blick an der „Aida“ vorbei in den Geirangerfjord, wo noch ein anderes Kreuzfahrtschiff, die „Ryndam“ der Holland-Amerika-Linie, vor Anker liegt. Foto: Burkhardt

Wie ergeht es einem Kreuzfahrtneuling an Bord? Unser Autor ist gemeinsam mit seinem Sohn auf der „Aida“ entlang der norwegischen Küste gefahren.

Bergen - Auf Wunsch des Sohnes wird gebucht. „Aida Sol“, Nordroute, geräumige Balkonkabine auf Deck 9 mit Aussicht, wirklich nett, gewaltige 18 Meter über dem Wasser. „Da springt man nicht freiwillig runter“, denkt der skeptische Vater, während das Schiff majestätisch den Hamburger Hafen verlässt und sich die Passagiere mit allen Daheimbleibenden links und rechts der Elbe ein Winkduell liefern. Das erste Ziel ist Bergen. In der norwegischen Hafenstadt, behauptet das Bordblatt, sollen erste Kreuzfahrtpassagiere bereits um 1850 von Bord gegangen sein. Damals waren die Kähne Raddampfer, im Linienverkehr unterwegs, um die 90 Meter lang, fassten 300 Passagiere auf drei Decks. Und heute? Kein Vergleich. Der gebuchte Cruiser, die „Aida Sol“, ist 253 Meter lang, hat 14 Decks, drei Pools und 2400 Passagiere. Viel? Schon, aber die verteilen sich. In der Regel. Nur in den Restaurants muss man aufpassen. Gedränge, ruckartige Bewegungen und bei einigen Mitreisenden fehlende Rundumkontrolle. Dafür können die Leute nichts. Die Büfetts sind schuld. Die Auswahl zu groß. Und nicht der Seegang, sondern die leckeren Speisen bewirken Taumelprozesse. Weil jeder zwei, drei Teller zu viel isst.

Nach dem Lachsspieß muss es Zürcher Geschnetzeltes sein. Danach noch Saltimbocca und Kaiserschmarrn. Und danach ist man für nichts mehr zu gebrauchen. Einfahrt in den wolkenverhangenen Geirangerfjord mit seinen schneebedeckten Gipfeln. Passend dazu die Deckmusik: „Peer Gynt“. Fast alle an Bord spüren jede Menge Mystik - und die Ersten bereits den Stauraum ihres Magens. Signal: Ich bin pickepacke voll, aber ein zweites Frühstück wäre jetzt sehr angenehm . . . „Wehren Sie sich nicht dagegen“, sagt Sven Gärtner, der Kapitän, „zum Genießen sind Sie hier, am Ende der 14-tägigen Tour wird jeder von Ihnen im Schnitt 2,3 Kilo zugenommen haben.“

Die Harten wehren sich doch, steuern täglich das Fitnessstudio an. Ob bei der Vorbeifahrt an den malerischen Lofoten, die man nicht sieht, weil Nebel und zu weit weg, oder beim Durchqueren der berüchtigten Barentssee - es sind immer dieselben, die sich fit halten. Bald kennt man sich. Auch die schrägen Vögel. „Sie sind aber schnell unterwegs“, sagt der Vater zu seinem Nachbarn, während beide auf dem Ergo um die Wette strampeln. „Pssst,“ flüstert der Nachbar zurück, „das hat einen Grund. Ich werde verfolgt.“ Auf Kreuzfahrtschiffen findet man schnell Anschluss, steht so ähnlich auf Wikipedia. Diese Information muss man relativieren.

„So viel Programm braucht kein Mensch“

Der Filius hat keine Anschlussprobleme, Jugend ist ausreichend vorhanden. Für den Vater hingegen sieht es eher mau aus, denn nach der Jugend kommt lange nichts, das heißt, ab 60 nehmen die Anschlussmöglichkeiten wieder zu, und zwar rapide. Um Anschlüsse und Kurzweil zu befördern, haben die Reedereien ein umfangreiches Entertainmentprogramm erfunden. Eine bunte Mischung von leicht bis anspruchsvoller. Ob Show, Theater, Vorträge, Kunstauktion, Basteln, Cocktailkurse, eine „Nautische Stunde“ oder eine „Umweltstunde“, auch einen „Kennenlerntreff“ gibt es. Spiele nicht zu vergessen, wie den Klassiker auf Deck 5, der jeden Tag etliche Fans anlockt: Shuffleboard. „So viel Programm braucht kein Mensch“, äußert ein kritischer Geist mit Haarausfall dem Vater gegenüber bei einer Lektürestunde im Bugraum der Bibliothek, „sollten mal lieber alle ein Buch lesen. Oder Kabinenyoga treiben.“

Ein passender Moment, um Beifall zu klatschen, gäbe es da nicht diesen merkwürdigen Widerspruch, der Vater und Sohn und wohl die meisten Passagiere befällt: unbedingt bei jedem Programmpunkt dabei sein zu müssen, obwohl die individuelle Teilnahmebedürfnisgrenze längst überschritten ist. Es ist wie mit dem Essen: Man kriegt den Hals nicht voll. Nordkap in Sicht. Schleichtempo. Prächtiges Wetter, schlaffe See, Kameras werden in Stellung gebracht, Kinder bringen die Whirlpools zum Überlaufen, und alle anderen baden im Glück. Dann Lautsprecherdurchsage eines Offiziers: „Von jetzt an wird die Sonne nicht mehr untergehen. Und der nördlichste Festlandpunkt Europas ist genau genommen nicht der Schieferfelsen mit der Weltkugel dort vor uns, sondern die unscheinbare Landzunge hier, die wir gerade passieren.“ Letzte Station, die Insel der Inseln: Island. Auf der Fahrt dorthin Tipp des Kapitäns: „Achten Sie auf Wale.“ Und tatsächlich, der eine sichtet Fluken, der andere Flossen. Was folgt, sind wilde Beobachtungen. Wer hat wo welchen Wal gesehen? „Ich“, meldet sich ein Komiker zu Wort, „habe Wale gesehen, jede Menge, auf Deck 12.“

Deck 12? Dort befinden sich die Saunen, und fürwahr, dort treibt sich jede Menge Fleisch rum, wahre Pfundstypen. Sobald der Kahn anlegt in Akureyri und Reykjavík, fahren die Reisebusse vor. Die Tagestouren, ohnehin viel zu kurz, um Land und Leute kennenzulernen, kosten. Verena (28) aus Ingolstadt bringt’s auf den Punkt: „Die Preise sind g’schmolzen.“ G’schmolzen wie übrigens so manches an Bord. Zum Beispiel die Führung durch die Crew-only-Bereiche: 64 Euro pro Person. Heimwärts. Die Temperaturen schießen in die Höhe. Es ist wie am Mittelmeer. Vor allem auf dem Sonnendeck, das einen nie gekannten Ansturm erlebt.

Spaß und Anarchie

Kinder und Jugendliche okkupieren den größten der drei Swimmingpools und wandeln ihn um zum Springpool. Regeln gibt’s schlagartig keine mehr, nur noch Spaß und Anarchie. „Das reinste Tollhaus!“, bemerkt eine ältere Dame, ihres Zeichens passionierte Schwimmerin, konsterniert und macht Meldung bei einem Offizier. Der bedankt sich formvollendet, geht zu den Wilden, sorgt für Ordnung. Die hält dann auch ein Weilchen, gefühlte sieben Minuten, dann verlässt der Offizier das Deck, und am Pool kehrt die Anarchie mit noch größerer Wucht zurück. Farewell-Party auf Höhe Helgoland. Die elektronische Seekarte, die ab diesem Sommer auf Kreuzfahrtschiffen die Papierseekarte ablöst, zeigt genau an, was steuer- und backbord liegt: ein U-Boot-Übungsgebiet, ein aufgegebenes Unterwasserkabel, eine Plattfischschutzzone.

Die Musik brummt, die Jugend knutscht irgendwo rum zwischen Sportdeck und Disco, die älteren Semester vergnügen sich bei Sekt und Caipirinhas, die Crew auf der Bühne sagt Servus, und der General Manager verrät Verbrauchszahlen. „Verbraucht wurden 35 280 Eier, 18,8 Tonnen Fleisch, 6,4 Tonnen Fisch, 45 280 Kugeln Eis.“ Es folgt die Statistik der Fundstücke. „Liegen geblieben sind 27 Hörgeräte, 18 Gebisse, 473 linke und 377 rechte Schuhe. Ach ja, und ein paar Handschellen.“ Wird man wiederkommen? Es gibt ein Buch von David Foster Wallace, einen Kreuzfahrtklassiker: „Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich“. Toller Titel, aber auch mit Lust zur Überzeichnung.

Die Nordtour ist durchaus etwas für kontemplative Geister und stille Genießer. Denn eins begreift man relativ schnell: Es sind nicht allein die spektakulären Anlegemanöver in den Häfen und die Landgänge, sondern es sind die Seetage, die einer Kreuzfahrt ihren Charakter geben: das beruhigende Dahingleiten durch die Zeit mit dem immer gleichen Bild vor Augen, dem weiten Nichts des Meeres.

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Infos zur Nordland-Kreuzfahrt

Anreise
Zum Abfahrtshafen in Hamburg gelangt man am besten mit dem Zug ( www.bahn.de ). Wer mit dem Auto anreisen möchte, kann seinen Wagen während der Reise versichert unterstellen lassen. Preis für 14 Tage: ca 166 Euro. Es gibt verschiedene Anbieter: www.kuehne-nagel.de, www.parken-und-meer.de , www.holidayextras.de/kreuzfahrten-extras.html, www.park-cruise.de.

Nordland-Route der „Aida“
Die beschriebene Route auf der „Aida Sol“ wird im kommenden Jahr von der „Aida Cara“ durchgeführt. Beispiel: 14-tägige Nordtour ab Kiel nach Bergen, Andalsnes, Molde, Nordkap/Honningsvåg, Akureyri, Reykjavik und zurück nach Kiel. Preis für eine Innenkabine pro Person ab 2045 Euro, Balkonkabine ab 4885 Euro. www.aida.de.

Im Reisepreis enthalten sind die Mahlzeiten in den Büfett-Restaurants, Tischgetränke, Sportangebote, Entertainment, Kinderbetreuung. Zusatzkosten entstehen für Internet oder Ausflüge. Preisbeispiel: Bustransfer vom Hafen Honningsvåg zum Nordkap 69 Euro. Alle Kosten werden per Bordkarte abgerechnet und können per iTV in der Kabine nachgesehen werden.

Weitere Anbieter
Eine ähnliche Route fahren auch weitere Kreuzfahrtunternehmen. Die 14-tägige Nordtour mit der „MSC Splendida“ zum Beispiel von Hamburg über Norwegen, Svalbard, Jan Mayen, Island, Hamburg vom 7. bis 21. Juni 2015 ist ab 1999 Euro p. P. buchbar. www.msc-kreuzfahrten.de.

Auch die „Mein Schiff 1“ ist entlang der norwegischen Küste unterwegs. Die 14-tägige Nordtour von Hamburg über Bergen, Geirangerfjord, Hellesylt, Nordkap/Honningsvåg, Longyearbyen/Spitzbergen, Alta, Tromsø, Ålesund, Hamburg vom 17. Juni bis 1. Juli 2015 ist ab 2747 Euro p. P. buchbar. www.tuicruises.com.