Bundestagspräsident Norbert Lammert kritisiert die Große Koalition Foto: dpa

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat die Diskussionskultur der Großen Koalition im Bundestag scharf kritisiert: „Es wird bei uns im Bundestag zu viel geredet und zu wenig debattiert“, sagte Lammert den Stuttgarter Nachrichten.

Stuttgart/Berlin – Bundestagspräsident Norbert Lammert hat die Diskussionskultur der Großen Koalition im Bundestag scharf kritisiert: „Es wird bei uns im Bundestag zu viel geredet und zu wenig debattiert“, sagte Lammert den Stuttgarter Nachrichten. „Insgesamt würde eine Akzentverlagerung von Rede- hin zu Debattenbeiträgen fast automatisch zu den kürzeren, prägnanteren Wortmeldungen führen.“ Auch wenn der Bundestag der vergleichsweise kleinen Opposition durch eine leichte Modifizierung seit Kurzem etwas mehr Redezeit zukommen lasse, bleibe der Effekt, „dass vor allem bei den längeren Debatten spätestens im letzten Drittel dieser Debatte die Koalition mit sich selbst redet, was nach innen wie nach außen nur einen sehr begrenzten Gewinn erwarten lässt“.

Eine „gründliche Reform“ mahnt Lammert bei der Regierungsbefragung an. „Dass die Regierungsbefragung ohne Mitglieder der Bundesregierung stattfindet, wie in der Vergangenheit mehrfach passiert, ist schlicht indiskutabel“, sagte der Bundestagspräsident. Als parlamentarisches Instrument sei die Regierungsbefragung „unverzichtbar“.

Auch das fehlende Fingerspitzengefühl beim Jobwechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft, wie zuletzt von Roland Pofalla (CDU) zur Deutschen Bahn, Dirk Niebel (FDP) zu Rheinmetall oder Daniel Bahr (FDP) zur Allianz, ist Lammert ein Dorn im Auge. „Meine Idealvorstellung wäre, dass es für so etwas förmliche Regeln gar nicht geben müsste. Weil es Dinge gibt, von denen man sich wünschen möchte, dass sie auch ohne gesetzliche Einschränkungen oder Verbote schlicht nicht gemacht werden“, sagte Lammert. Weil aber aufgrund der Erfahrungen der Bedarf für eine Regelung zum Jobwechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft bestehe, sei es gut, dass sich Union und SPD jetzt auf eine Regelung verständigt haben, „die einen Zeitraum vorgibt, der mindestens abgewartet werden soll, bevor eine andere Tätigkeit wahrgenommen werden darf“.

Lammert verteidigte das kurzzeitige Drehverbot für die ZDF-„heute-show“ im Bundestag. „Wenn uns Anträge auf Akkreditierung gestellt werden, die erkennbar mit dem Reglement des Bundestages nicht übereinstimmen, kann es dafür keine Genehmigung geben“, sagte der Bundestagspräsident. Er stellte jedoch klar: „Die Politik verträgt mindestens so viel Satire wie andere relevante Bereiche unserer Gesellschaft, tendenziell vermutlich mehr – sowohl unter quantitativen als auch unter qualitativen Gesichtspunkten.“