Wer sich an mindestens fünf Tagen der Woche 30 bis 60 Minuten ertüchtigt, der gönnt seinem ganzen Körper eine Art zelluläre Rundumerneuerung. Foto: dpa

Krebs, Diabetes, Alzheimer, Parkinson – eine Vielzahl dieser Krankheiten entsteht, weil sich in den Körperzellen auf Dauer überflüssige Bestandteile anhäufen. Bei ihnen funktioniert die körpereigene Müllabfuhr nicht richtig. Die wurde von dem Japaner Yoshinori Ohsumi erforscht – der nun dafür den Medizin-Nobelpreis 2016 erhalten wird.

Stockholm - Wer rastet, der rostet – so heißt es schon im Volksmund. Und die Senioren rosten lieber. Nicht einmal jeder dritte über 65-Jährige treibt laut einer GfK-Umfrage vom August dieses Jahres regelmäßig Sport. Dabei wünscht sich fast jeder, möglichst fit und munter alt zu werden. Doch das ist ohne ein bisschen eigenes Zutun nicht möglich: Wer sich, wie allgemein empfohlen, an mindestens fünf Tagen der Woche 30 bis 60 Minuten ertüchtigt, der gönnt seinem ganzen Körper eine Art Rundumerneuerung: Bewegung verbessert die sogenannte Autophagie – also die Fähigkeit der Zelle, alte und nicht benötigte Bestandteile selber zu fressen.

Diese Müllabfuhr in den Zellen bewirkt, dass alte Proteine und anderes molekulares Gerümpel, das sich im Zellinneren angehäuft hat, zerlegt und wieder verwertet werden, um Energie freizusetzen. Diese nutzen die Zellen anschließend, um dringend gebrauchte Moleküle herzustellen.

Kann die zelle den Müll nicht entsorgen, entstehen Krankheiten wie Krebs oder Diabetes

Bei Bewegungsmangel wiederum funktioniert die Autophagie nicht mehr so gut: In den Zellen sammelt sich molekularer Krempel. Das ist schlecht für die Gesundheit. So ist eine gestörte Autophagie mit diversen Krankheiten in Verbindung gebracht worden, unter anderem mit der Parkinson-Krankheit, Alzheimer, Diabetes und Krebs. Bei vielen dieser Krankheiten häufen sich Proteine im Gehirn an, die eine toxische Wirkung entfalten. Mit Hilfe der Autophagie versucht der Körper, diese krankmachenden Stoffe loszuwerden.

Dieser nur mikroskopisch sichtbare Selbst-Kannibalismus wurde erstmals in den 60er Jahren beobachtet. Dafür hatte bereits 1974 Christian de Duve den Nobelpreis erhalten. Yoshinori Ohsumi wiederum war allerdings der erste Wissenschaftler, der erkannte, welche Gene diesen Prozess beim Menschen steuern. Bislang sind mehr als 35 Gene bekannt, Ohsumi entdeckte die ersten von ihnen. So konnte der Japaner, der in den 90er Jahren an der Universität in Tokio forschte, erklären, wie Autophagie funktioniert und welcher Nutzen sich dahinter verbirgt.

Das Nobelpreis-Komitee lobt Ohsumis Entdeckung

Für diese Leistung wurde der Mediziner am Montag vom Karolinska-Institut in Stockholm als Preisträger des Medizin-Nobelpreises 2016 benannt. Die höchste Auszeichnung für Mediziner ist mit acht Millionen schwedischen Kronen dotiert, also fast 834 000 Euro. Der heute 71-jährige Mediziner habe „brillante Experimente“ mit Bäckerhefe vorgenommen und es damit geschafft, die Gene der Autophagie zu identifizieren. „Seine Entdeckungen haben den Weg geebnet, um die immense Wichtigkeit der Autophagie in vielen physiologischen Prozessen zu verstehen, etwa bei der Anpassung an Mangelversorgung oder bei der Antwort auf Infektionen“, heißt es in der Begründung des Karolinska-Instituts.

Dass er mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, kam für Ohsumi überraschend. „Das ist eine Freude für einen Forscher, die nicht zu übertreffen ist“, sagt der Mediziner in einem Gespräch mit dem japanischen TV-Sender NHK. Auf die Frage, warum er sich auf die Auflösung von Proteinen fokussiert habe, antwortete er: „Ich wollte etwas tun, das die anderen nicht taten.“

Nicht nur Bewegung, auch die Ernährung beeinflusst den Zellmüll-Abtransport

Das hat sich geändert: Inzwischen konzentrieren sich Forscher auf der ganzen Welt darauf, was alles getan werden kann, um den Autophagieprozess anzutreiben – um die Vermüllung der Zellen und damit die Entstehung von altersbedingten Krankheiten zu stoppen. So ist inzwischen bekannt, dass eine Förderung der Autophagie zu Beginn einer Krebserkrankung den Krebs bremsen, im fortgeschrittenen Stadium sogar bekämpfen kann. Auch zeigte sich, dass die Ernährung die Autophagie beeinflussen kann: So rät der Biochemiker Frank Madeo von der Uni Graz etwa zu mehrstündigen Essenspausen zwischen den Mahlzeiten. Denn recycelt, so erklärt es der Wissenschaftler, wird vor allem dann, wenn der Körper kein Insulin ausschüttet – also nach der Verdauung.

Das Insulin aus der Bauchspeicheldrüse wird nach jeder Mahlzeit freigesetzt und sorgt dafür, dass die aus der Nahrung zugeführte Glukose in die Muskel- und Fettzellen eingeschleust wird. Allerdings hemmt das den Autophagie-Prozess. „Die Zellen brauchen Zeit, um sich zu säubern und ihren Abfall zu recyceln“, sagt Madeo gegenüber der Fachzeitschrift „Bild der Wissenschaft“. Die fehlt ihnen, wenn der Körper ständig Insulin ausschüttet und mit Verdauung beschäftigt ist. Weshalb Madeo dazu rät, weniger häufig und auch insgesamt maßvoller zu essen. Das würde die Autophagie ankurbeln.

Dass da irgendetwas dran sein muss, zeigt sich übrigens ebenfalls in Japan: Die Bewohner der Okinawa-Inseln folgen einem konfuzianischem Brauch und essen nur so viel, bis sie sich zu 80 Prozent satt fühlen. Und siehe da: Auf der gesamten Inselgruppe gibt es deutlich mehr Hundertjährige als irgendwo sonst im Land.

Wer ist Yoshinori Ohsumi?

Der stille Forscher

Zur Person

Yoshinori Ohsumi ist ein japanischer Zellbiologe, geboren 1945 in Fukuoka.

Während des Studiums an der Universität Tokio wechselte er von der Chemie zur Molekularbiologie. Er war zudem auch Post-Doktorand an der Rockefeller University in New York City.

1986 wurde er Dozent, zwei Jahre später Assistenzprofessor. Schon damals beschäftigte Yoshinori Ohsumi sich mit dem Membrantransport in Vakuolen in der Zelle, die Teil des Systems der Autophagie sind.

1996 ging Ohsumi als Professor an das Nationale Institut für Grundlagenforschung in der Biologie in Okazaki und war später Professor in Hayama. Seit 2009 ist er Ehrenprofessor am Institut für Technologie in Tokio.

Für seine Autophagie-Entdeckungen wurde Ohsumi schon mehrfach ausgezeichnet.