Vorerst die letzte Stuttgarter Produktion der Choreografin: Szene aus Nina Kurzejas Tanzstück „Ida Herion“. Foto: Yakup Zeyrek

Eigentlich ist sie aus der Stuttgarter Tanzszene nicht wegzudenken. Doch Nina Kurzeja macht Schluss, die Choreografin will hier nicht mehr produzieren. Wie sollen, fragt sie, künstlerische Entwicklungen ohne eigene Spielstätte für die freie Szene möglich sein?

Die Antwort kommt ohne Zögern. „Ja, definitiv! Die Perspektive wäre eine andere gewesen“, sagt Nina Kurzeja auf die Frage, ob sie bei grünem Licht für eine eigene Spielstätte für die freie Szene in Stuttgart weitergemacht hätte. Doch dem Gemeinderat war die Idee eines Produktionshauses, das auf dem Kulturareal IW8 in Feuerbach entstehen sollte, zu teuer. Und so gibt es für die Choreografin, die ihre Karriere hier als Tänzerin bei Marco Santi begann und seit 2002 selbst Stücke produziert, keinen Grund, ihre Meinung zu ändern. „Ich will in dieser Stadt nichts mehr machen. Das ist vielleicht auch ein Statement“, sagt Nina Kurzeja. Nach vielen Jahren in der freien Szene sei sie zu erschöpft. Dabei habe sie nicht einmal versucht, von der Kunst zu leben.

OB Fritz Kuhn lässt über sein Büro Bedauern über Nina Kurzejas Entscheidung ausdrücken und aufzählen, welche ihrer Stücke gefördert wurden. Undankbarkeit kann man der Choreografin aber auf keinen Fall vorwerfen. „Ich war eigentlich gesegnet mit Förderungen vonseiten der Stadt“, sagt sie. „Als freie Choreografin habe ich alles erreicht, was man in Stuttgart erreichen kann.“ Nina Kurzeja war Stipendiatin der Akademie Schloss Solitude und der Kunststiftung Baden-Württemberg, sie war zweimal beim Theaterpreis der Stadt Stuttgart erfolgreich – außerdem war sie mit ihrem Stück „Nell wartet“ 2006 bei der Tanzplattform Deutschland präsent und im Jahr darauf Stipendiatin beim Talente-Treffen der Berliner Festspiele.

Netzwerke laufen an Stuttgart vorbei

Mehr geht kaum, doch ohne einen festen Spielort in der eigenen Stadt, musste Nina Kurzeja erfahren, reicht das nicht, um überregional wahrgenommen zu werden. Nicht nur um in Stuttgart ein Publikum zu finden und zu binden, auch als Anlaufstelle für Veranstalter und Förderer brauche es einen solchen Ort. „Solange es keine Spielstätte gibt und keinen überregionalen Austausch, komme ich zum Beispiel nicht in die Förderung des nationalen Performance-Netzes. So laufen bundesweite Netzwerke an Stuttgart vorbei.“ Ohne Rückhalt in der eigenen Stadt, das zeigte vor kurzem auch der vom Tanzfonds Erbe abgelehnte Antrag des in Stuttgart geplanten Festivals „Tanzgang“, verpasst die freie Szene viele Chancen.

Bitter findet Nina Kurzeja die Art, wie die politisch Verantwortlichen mit den Künstlern der freien Szene umgehen. Vom Aus für das IW8 zum Beispiel hat sie aus der Zeitung erfahren. „Keiner hat mit uns gesprochen“, sagt sie. Eine der Absage vorangegangene Einladung zum runden Tisch ins Kulturamt entpuppt sich im Rückblick als Farce. „Von 60 Künstlern der freien Szene waren 18 da. Auf Karteikarten sollten wir unsere Wünsche formulieren.“ Dass dieses Stimmungsbild der durch Vielfalt geprägten Szene später in einer Beschlussvorlage als Abstimmung dargestellt wurde, findet Nina Kurzeja schlicht unfair.

Dezentral zu spielen kostet mehr

Das alte Straßenbahndepot im Osten hat Künstlern wie ihr für ein Jahr vermittelt, was ein eigenes Haus leisten kann. „Wir mussten dort sehr schnell starten und haben innerhalb von sechs Wochen den Spielbetrieb aufgebaut“, sagt Nina Kurzeja. Das ehrenamtliche Engagement hat sich gelohnt: Die anfängliche Auslastung von 40 Prozent kletterte im zweiten Halbjahr, als auch Premieren anstanden, auf über 60 Prozent.

„Dezentrale Aufführungen kosten mehr Geld. Wenn man diesen Weg wählt, wird weniger produziert“, so die Choreografin. Doch bringt die Suche nach Spielorten nicht eine neue Lebendigkeit in die Szene? Nina Kurzeja, die jüngst für ihr vielgelobtes Stück über die Stuttgarter Tanzpionierin Ida Herion Weißenburgpark und Marmorsaal bespielte, kann dieser Vorstellung nichts abgewinnen. „Ich finde es verheerend, die freie Szene in diese Ecke zu drängen und zu sagen, das macht kreativ. Das ist ein falscher Ansatz. Ich bezweifle, dass man mit dezentralen Spielorten langfristig die Zuschauerzahlen erhöhen kann.“

Für Nina Kurzeja geht es grundlegend um die Frage, wie Kunst in der freien Szene produziert wird – und um die Anerkennung dieser Arbeit. „Wir brauchen den Austausch mit anderen Häusern, wenn wir bundesweit mithalten wollen. Es ist eine falsche Annahme, dass sich Kunst ohne Struktur entwickeln kann. Kunst ist nur machbar und bewertbar, wenn die Möglichkeit gegeben ist, dass man sie unter angemessenen Bedingungen sehen kann.“

Zu Gast bei der Tanzbiennale in Heidelberg

Nach dem Aus fürs IW8 ist nun der Vorschlag im Spiel, die freie Szene in einem fürs Theaterhaus geplanten Anbau unterzubringen. Dieser soll nicht nur den hauseigenen Ensembles nach der Kündigung ihrer Studios am Löwentor Proberäume bieten, sondern auch den freien – 600 Quadratmeter sind dafür vorgesehen. Außerdem könnte die geplante Tanzhalle die Auftritte von Gauthier Dance und der freien Szene bündeln. Platz für 600 Zuschauer ist dort, möglicherweise etwas zu groß für freie Produktionen.

„Wenn es eine solche Idee und offenbar schon viele Vorgespräche dazu gibt, warum werden dann die offiziellen Vertreter der freien Szene nicht ein einziges Mal dazugebeten?“, wundert sich Nina Kurzeja. Und es bleibt die Frage, ob die freie Szene nicht ein Minimum an Autonomie braucht, um überregional wahrgenommen zu werden.

Baubeginn für den Theaterhaus-Anbau wird nicht vor 2017 sein. Allemal zu spät, um Nina Kurzeja für Stuttgart zu retten. Fest steht schon jetzt: Eine originelle und kluge Choreografin, die wie Nina Kurzeja den Sprung auf die Tanzplattform schaffte, die wie in ihrer Opernadaption „Aeneas Entscheidung“ spartenübergreifend arbeitet, die wie in „Zaubernacht“ ein zehnköpfiges Musikensemble einbinden kann, tut der freien Szene gut. Wer Kunst von Kurzeja sehen will, hat in Heidelberg bei der Tanzbiennale Gelegenheit. Dort macht die körperlich kleine Choreografin mit der auch körperlich großen Tänzerin Kira Senkpiel von diesem Sonntag an gemeinsame Sache. Die beiden gestalten ein Stück für Kinder, das unter dem Titel „Groß und klein“ mit körperlichen Voraussetzungen spielt.

In Stuttgart wird die Arbeit der Choreografin, die mit Stücken wie „Aeneas Entscheidung“ für große Tanzmomente sorgte, fehlen. Nachdem sie die Ausbildung abgeschlossen hat, will die 43-Jährige nun als Massagetherapeutin Geld verdienen. Die Arbeit in der kulturellen Bildung liegt ihr ebenfalls am Herzen – und auch das: „Wenn man meinen Rat will und meine Erfahrungen brauchen kann, bin ich immer für die freie Szene und ihre Künstler da.“