Einer der erstaunlichsten Songwriter Deutschlands: Niels Frevert Foto: Erik Weiss

Niels Frevert hat mit „Paradies der gefälschten Dinge“ das vielleicht beste deutschsprachige Album des Jahres veröffentlicht. Am Sonntag hat er es im ClubCann in Stuttgart vorgestellt.

Stuttgart - Zürich und Niels Frevert werden so schnell keine Freunde mehr: „Ich bin ganz normal empfindlich, nur die Lieder taugen wirklich nicht zur Untermalung“, beschwert sich Frevert in der zartbitteren Ballade, die den Namen „Zürich“ trägt. Sie erzählt von einem angebrochenen Samstagabend, einem Konzert, das doch nicht stattfindet, weil ein Restaurant kein Club ist. Nebenbei vertont der Song mit watteweichen Harmonien auch noch die Tristesse des Tourens, das Warten, das Zweifeln, die Demütigungen des Alltags.

Das ClubCann in Cannstatt ist zwar kein Restaurant, ein richtiger Club aber auch nicht, sondern ein etwas fades Jugendhaus. Doch als Niels Frevert dort am Sonntagabend „Zürich“ spielt und die Discokugel das Publikum in glitzernde Lichtflecken tunkt, sind Ort und Zeit vergessen. Es zählt nur noch die betörende Intimität der Geschichten, die Frevert erzählt, die Sensibilität der brüchigen Stimme, die filigrane Architektur der Songs.

Niels Frevert, 47, ist kein Mann für große Hallen. Die Schönheit seiner Lieder ist zu spröde-empfindlich, um wirklich zur Massenunterhaltung zu taugen. Und das obwohl er wunderbare Liebeslieder schreiben kann. Zum Beispiel das Stück „Das mit dem Glücklichsein ist relativ“, das in der Liveversion zwar ohne Streichern und Bläsern auskommen muss, aber dennoch mit einer Opulenz und Grandezza, wie man sie nur sehr selten im deutschsprachigen Pop zu hören bekommt, vom Stolpern und Verhaspeln des Liebenden berichtet.

Zwar hat Frevert Anfang der 1990er Jahre mit der Band Nationalgalerie seine Karriere in Hamburg begonnen. Der Diskurspop der Hamburger Schule lag ihm aber nie wirklich. Anders als Blumfeld, Tocotronic oder Die Sterne wühlte Frevert immer schon am liebsten im Privaten, erfand dabei eine ganz eigene feine poetische Sprache, die er mit Nationalgalerie zunächst vor allem im Rockkontext inszenierte („Evelin“), inzwischen aber in große, vielschichtige Popentwürfe einbettet. Etwa in dem Lied „Nadel im Heuhaufen“ mit seinen eleganten Harmoniewechseln oder in dem Nachtstück „Morgen ist egal“, durch das ein Latinrhythmus schimmert.

Frevert singt vom Eichhörnchenfüttern und vom Tischtennisspielen, schwärmt von Riesenrädern, erzählt vom Müll-vor-die-Tür-Bringen und von den Monaten mit R, rettet in seinen hochwertig und kunstvoll arrangierten Popkostbarkeiten das Alltägliche vor der Belanglosigkeit. Und nebenbei erfindet er wunderbare Slogans wie „Wohin hat es deine Sprache verschlagen“, „Seltsam öffne mich“, oder „Frustrationstoleranz, Herr Frevert!“.

Als Songwriter – in der Band Nationalgalerie, aber auch auf seinen Soloalben – hat sich Frevert immer schon am liebsten in Innenwelten verbarrikadiert, sich als introvertiert-empfindsamer Songwriter etabliert. Und eigenbrötlerisch gibt er sich nach wie vor, singt im verstörend-schönen „Schwör“ von einem Anruf in der Psychiatrie, vertont das Leiden am Einsiedlerdasein: „Zuhause ist es immer noch am schönsten und am schrecklichsten“

Freverts Musik klingt am Sonntag sanfter als früher, aber auch komplexer. Die Akustikgitarre gibt meistens den Ton an. Flirts mit Grunge und Americana sind abgehakt. Und in Stuttgart stellt er sogar in Aussicht, dass er irgendwann auch mit Zürich seinen Frieden schließen könnte: „Ich habe da letzte Woche wieder einmal gespielt“, sagt er, „das Konzert war sogar richtig gut. Seltsam wurde es diesmal erst hinterher.“